Mädchen ist durch das Verbot nicht geholfen
Kevser Muratovic bezweifelt dass es der Politik beim Verbot wirklich um Kindeswohl und Gleichberechtigung geht. Die Pädagogin und Islamwissenschafterin sieht sich durch eine Studie bestätigt, die untersucht hat, wie präsent frauenpolitische Themen in Medien sind: Kopftuch-Artikel rangieren demnach weit vor Themen wie Sexismus, Gewalt gegen Frauen oder Frauen am Arbeitsplatz. Das Kopftuch wird auch vor allen im Zusammenhang mit Themen wie Integration, Sicherheit oder Werten und nicht mit Frauenrechten in Zusammenhang gebracht. Für Muratovic sind diese Diskussionen „Scheindebatten“, auch der fehlenden Daten wegen. „Um wie viele Kindergartenkinder oder Volksschülerinnen geht es überhaupt?“
Dass Eltern ihre Töchter in diesem Alter zwingen, ein Kopftuch zu tragen, sei selten. „Wir sollten auf Basis von Ausnahmen keine Gesetze einführen, die für die Allgemeinheit gelten“, sagt Muratovic. Fest stehe, dass es keine Interpretation des Islams gibt, nach der Mädchen in diesem Alter schon ein Kopftuch tragen müssten. Falls es aber doch vorkommt, müsse man sich fragen, warum die Mädchen das tun, „da wäre mehr Tiefe gefragt“. Man müsste mit den Eltern in Kontakt treten und mediativ eingreifen.
„Wie ist einem Mädchen durch ein Verbot geholfen, wenn es tatsächlich Eltern hat, die es zu einem Kopftuch zwingen?“, fragt die Pädagogin. Stattdessen müsste man fragen, was Schule leisten muss. Auch andere kritische Themen wie der Umgang mit sozialen Medien könnten nicht mit pauschalen Verboten aus der Welt geschafft werden. Toleranz stelle eine Basistugend für ein gewaltfreies Zusammenleben dar und müsse Teil unserer Bildung sein. Muratovic: „Wir können nicht die nordwesteuropäischen Heiligkeiten und Selbstverständlichkeiten nehmen und sie über alles drüberlegen.“Zwar müsse es einen Kern von Werten geben, der uns zusammenhält – aber dazu gehöre das Kopftuch nicht, „es stellt diese Werte nicht infrage, wir dürfen es auch nicht dahingehend politisieren“.
Auch spreche gegen ein Verbot, dass manche der Mädchen Kopftücher aus einer kindlichen Lust an Nachahmung aufsetzen wollen. Sie würden etwa ihre Mutter sehen, die ein Kopftuch trage, und fänden es interessant. „Wenn ich das Kopftuch aufsetze, will meine achtjährige Tochter das manchmal auch, genauso wie sie auch manchmal meinen Nagellack ausprobieren will – jetzt stellen Sie sich einmal eine Mutter vor, die ihrem Kind sagen muss: Nein, du darfst das nicht, so darfst du nicht in die Schule gehen. Was vermittelt einem Kind die Kriminalisierung eines ganz normalen Kleidungsstückes?“
Kevser Muratovic glaubt, dass es innerhalb der feministischen Debatten der letzten Jahre durchaus Annäherungen und differenziertere Herangehensweisen gibt. „Durch diese Diskussionen fordern wir den ‚weißen Feminismus‘ heraus, die eigenen Rassismen zu hinterfragen und das eigene Ideal ernst zu nehmen und nicht auf der Ebene des Feminismus Chauvinismus zu betreiben und zu behaupten, „nur wir haben den echten Feminismus“.