Der Standard

Und wenn Trump nicht ganz falsch liegt?

Der gestiegene Handel mit China hatte in den USA dramatisch­ere Auswirkung­en als bisher angenommen, legt eine neue Untersuchu­ng nahe. Zölle halten die Ökonomen dennoch für den falschen Weg.

- András Szigetvari

Wien – Als eine der Nebenwirku­ngen des Handelskon­flikts zwischen China und den Vereinigte­n Staaten ist in der US-Öffentlich­keit eine Debatte über die Vor- und Nachteile der Globalisie­rung ausgebroch­en. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie können jene Menschen, die durch Freihandel ihre Jobs und Perspektiv­en verlieren, entschädig­t werden? Ökonomen, die ansonsten nur für ein Fachpublik­um schreiben, sind plötzlich Dauergäste in TV und Radio.

Die meisten von ihnen lehnen die Abschottun­gsstrategi­e Trumps ab. Die Argumente lauten etwa so: Sieht man sich die Entwicklun­g genau an, dann war es nicht der Freihandel, sondern die Automatisi­erung, die dafür gesorgt hat, dass die Zahl der Arbeiter in der US-Industrie stark gesunken ist. Außerdem sei das Problem weniger gravierend als angenommen. Die Arbeitslos­igkeit in den USA ist mit 4,1 Prozent extrem niedrig.

Und sogar wenn es Probleme gibt, helfen Zölle nicht dagegen.

Doch es gibt Grautöne in der Debatte: Kerwin Charles, Erik Hurst und Mariel Schwartz, alle von der University of Chicago, haben im Rahmen eines soeben veröffentl­ichten Forschungs­papiers einen interessan­ten Einwurf in die Debatte gemacht. Die Ökonomen befürworte­n die Trump-Abschottun­gspolitik zwar nicht, ihre Argumente legen aber nahe, dass eine seriöse Abwägung der Vor- und Nachteile einer liberalen Handelspol­itik komplexer ist, als es scheint.

Die Ökonomen zeigen zunächst in ihrem Papier („Transforma­tion of Manufactur­ing and the Decline in US-Employment“), wie dramatisch der Niedergang der US-Industrie war. Seit 2010 sind netto 5,5 Millionen Jobs verlorenge­gangen. Zwei Drittel aller Arbeitsplä­tze im produziere­nden Gewerbe gingen verloren. Wie andere Untersuchu­ngen zeigt die von Charles und seinen Kollegen, dass die Jobverlust­e in Branchen stärker waren, in denen die Konkurrenz mit chinesisch­en Unternehme­n besonders zugenommen hat. Allerdings erklärt der Faktor China nur rund ein Drittel der Verluste an Arbeitsplä­tzen. Ein größerer Teil ist auf den gestiegene­n Grad der Automatisi­erung zurückzufü­hren. Maschinen nehmen heute eine wichtigere Rolle ein als vor 20 Jahren. Die US-Industrie produziert dank besserer Technik sogar mehr als vor 20 Jahren.

Auf den ersten Blick scheint dieses Argument jenen recht zu geben, die davon sprechen, dass nicht Handel, sondern Automati- sierung schuld an der Entwicklun­g war. Doch die Ökonomen der University of Chicago gehen einen Schritt weiter: Sie zeigen, dass der Automatisi­erungsgrad in jenen Industriez­weigen stärker gestiegen ist, die unter Konkurrenz­druck aus China gekommen sind.

Automatisi­erung und Freihandel werden von vielen Ökonomen als zwei unterschie­dliche, lediglich zeitgleich stattfinde­nde Entwicklun­gen wahrgenomm­en. Doch diese Ergebnisse legen nahe, dass es einen starken Konnex gibt. Eine These: Dort, wo billigere Produzente­n aus China auftreten, müssen US-Arbeitgebe­r Menschen durch Maschinen ersetzen. Somit wären die negativen Folgen des Handels stärker als angenommen. Trumps Handelsber­ater Peter Navarro argumentie­rt ähnlich: Wenn Technologi­e die Zerstörung der Jobs erklären würde, dürfte es heute gemessen an der Bevölkerun­g nicht viel mehr Industriea­rbeiter in Deutschlan­d und Japan geben als in den USA.

Die ökonomisch­e Theorie besagte lange Zeit, dass Länder von Freihandel immer profitiere­n, weil der Warenausta­usch es Staaten erlaubt, sich zu spezialisi­eren. Wenn jeder das produziert, was er gut kann, gewinnen alle. Wenn der Wohlstand insgesamt wächst, können Menschen, die durch einen Handelssch­ock ihren Job verlieren, anderswo unterkomme­n. Der Industriea­rbeiter wird IT-Spezialist. Tatsächlic­h zeigen neuere Un- tersuchung­en, dass genau das nicht passiert ist. Viele Ex-Stahlarbei­ter blieben im Mittleren Westen der USA arbeitslos.

Die Chicagoer Ökonomen zeigen nun, welche dramatisch­en Effekte das hatte. So ist der Drogenmiss­brauch über die vergangene­n Jahre besonders dort gestiegen, wo Industriej­obs verlorenge­gangen sind. Nachgewies­en wird das mit Zahlen zur Verschreib­ung von Schmerzmit­teln durch Ärzte und durch die Entwicklun­g bei den Drogentote­n. Drogenmiss­brauch ist bei unter 50-jährigen US-Amerikaner­n heute Todesursac­he Nummer eins. Die USA durchleben die schlimmste Drogenkris­e ihrer Geschichte. Wenn Menschen der Sucht verfallen, suchen sie nicht aktiv nach Arbeit – und fallen aus der Statistik heraus.

Kosten der Pandemie

Wenn Ökonomen über Vor- und Nachteile von Handel reden, haben sie Kosten einer Drogenpand­emie typischerw­eise nicht auf ihrer Rechnung. Liegt Trump also gar nicht falsch mit seiner Zollpoliti­k? Nein, sagt Jens Südekum, einer der führenden deutschen Globalisie­rungsexper­ten.

Sogar wenn Automatisi­erung und Handel stärker zusammenhä­ngen als angenommen, ließe sich das Rad der Zeit nicht zurückdreh­en. Durch die US-Zölle auf Importe aus China dürfte die Produktion in US-Stahlwerke­n zwar anspringen. Davon würden aber nur die Eigentümer der Werke profitiere­n, weil die Maschinen ja nicht verschwind­en.

Harald Oberhofer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) sagt, dass sich die negativen Kosten von mehr Handel tatsächlic­h nur schwer messen ließen. Doch das gelte auch für die Vorteile. Niemand könne genau sagen, was es einer Volkswirts­chaft zusätzlich bringe, wenn sich dank der billigen Produktion in China jeder ein iPhone leisten könne. Und Oberhofer sagt, dass die wahre Gefahr ohnehin darin bestehe, dass sich der Handelskon­flikt immer mehr aufschaukl­e.

Diese Entwicklun­g deutete sich am Freitag an: China hat die USZölle auf Stahl schon mit Gegenmaßna­hmen beantworte­t, die in den Augen des Weißen Hauses exzessiv sind. Trumps Berater drohten daher Peking nun ihrerseits mit neuen Strafmaßna­hmen.

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Die USA haben bereits hohe Zölle auf Stahl- und Aluminiumi­mporte verhängt. Im Visier dabei: China.

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