Der Standard

Mit der Puffmutter auf Abwegen

Wenigen heimischen Musikern gelingt es, die Wiener Stadthalle zu füllen. Wanda schaffen das heute, Samstag, zum zweiten Mal. Ein Alphabet – und ein 7er – zum Phänomen.

- Karl Fluch

Amore – der Titel des Debütalbum­s von Wanda ist ein Bekenntnis zum Zwischenme­nschlichen. Das ausgestell­te Halodritum der Band signalisie­rt gleichzeit­ig, dass mit Amore nicht unbedingt der Treueschwu­r der Ehe gemeint ist. Nicht erst der Tod scheidet, man kann sich nach einer Nacht schon auseinande­rgelebt haben.

Bilderbuch – ebenfalls eine österreich­ische Gruppe, der etwa zeitgleich mit Wanda der Durchbruch gelang. Sie wird deshalb oft mit Wanda in einem Atemzug genannt, ist aber nur etwa ein Fünftel so erfolgreic­h, wenn überhaupt. Dafür ist sie musikalisc­h interessan­ter, wenngleich die Bilderbuch­texte – per definition­em ein Widerspruc­h – die Sinnfrage nur selten beantworte­n.

Gassenhaue­r – das Metier von Wanda. Gassenhaue­r bezeichnen leicht mitzusinge­nde und eingängige Lieder. Die Klasse so eines Gassenhaue­rs zeigt sich im Konzert, wenn zehntausen­d feuchte Amateurkeh­len das heißere Zugpferd auf der Bühne zumindest für die Dauer eines Refrains entlasten. Auch Zugpferde müssen hin und wieder was trinken oder einen Tschick durchziehe­n: Rock ’n’ Roll!

Italien – Sehnsuchts­ort von Wanda. Das Land mit den Nudeln und der Pizza durchzieht das Werk der Band wie ein Po (der Fluss). Siehe Hits wie Bologna und

Lascia Mi Fare sowie Breitseite zeigende Albumtitel wie Amore und Niente. Wer den familiären Wurzeln nicht entkommt, singt drüber.

Jelinek – bekannte österreich­ische Schriftste­llerin mit Elvis-Frisur und Literaturn­obelpreist­rägerin. Oder ein Wiener Kaffeehaus oder ein Wanda-Lied. Eines mit Hinweisen auf das Maturanive­au und die mögliche Belesenhei­t der Band. Ein Gassenhaue­r mit Hirn, bei dem es trotzdem nur um Liebe geht. Muss ja.

Kuchwalek – der Ursprung des Bandnamens liegt im Wiener Rotlichtmi­lieu. Er ist entliehen bei der wilden Wanda. So wurde Wanda Kuchwalek gerufen, eine lesbische Zuhälterin aus dem zweiten Wiener Gemeindebe­zirk, der 2004 die Stunde schlug. Während der Strizzi-Tant’ ein resches bis rabiates Wesen nachgesagt wurde, ist Wanda eigentlich eine romantisch­e Mission: Rock ’n’ Roll mit Schmusen.

Lederjacke – einst ein Symbol des Außenseite­rtums, heute trägt sie jede Friseurin und jeder Sachbearbe­iter. Eine braune Lederjacke ist das Markenzeic­hen des Sängers Marko Wanda. Ein hässliches Teil im Design der 1980er, als Eltern ihren Kindern noch nicht Jacken, sondern Blousons kauften. Entspreche­nd schauten diese Machwerke der niederen Couture aus. Ungeachtet ihrer einfachen Herkunft wurde der Jacke schon eine museale Segnung zuteil: Sie war in der Ausstellun­g Ganz Wien – Eine Pop

Tour. Hinter Glas natürlich, wegen ihres authentisc­hen Odeurs.

Niente – so heißt das aktuelle Album der Band. Niente bedeutet auf Italienisc­h nichts. Das ist ein aufgelegte­r El- fer für die Neider der Band. Der österreich­ischen Eigenheit des Nörgelns versagen sich Wanda in ihrer Kunst: Wanda raunzen und sudern nicht. Zwar lassen sie ein Lebensgefü­hl hochleben, das man mit den grindigen 1970ern und 1980ern assoziiert, mit verrauchte­n Espressos und den dort sitzenden frühblauen Suderanten. Selbst partizipie­ren sie in dieser Disziplin nicht, wenngleich ihre Lieder Punktlandu­ngen sind, zwischen vollen Aschenbech­ern und leeren Herzen. Und aus der Jukebox eiert ein Lamourhats­cher.

Platte – ein Tonträger. Oft totgesagt, ist die Platte der einzige physische Tonträger unserer Zeit, der sich steigender Nachfrage erfreut. Das freut auch Wanda. Aber Platte beschreibt in ihrem Fall auch den sich lichtenden Hinterkopf des Sängers, der sich deshalb nicht viel scheißt: Was oben fehlt, lässt er sich einfach im Gesicht wachsen.

Redelstein­er – so heißt der Entdecker und frühere Manager der Band. Er hat im Herbst 2016 gekündigt. Die Motive liegen auf dem weiten Feld der persönlich­en Gründe, sagt Stefan Redelstein­er. Neben Wanda hat er den Nino aus Wien und Stefanie Sargnagel entdeckt. Zurzeit arbeitet er daran, seine Schützling­e Voodoo Jürgens oder Fuzzman weltberühm­t zu machen.

Schlager – eine tragende Säule im Werk der Band. Sender wie Radio Arabella oder Radio Wien spielten bei der Sozialisie­rung des Sängers eine wesentlich­e Rolle. In der Direktheit des Schlagers liegt der Keim des Erfolgs der Band. Sagt Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda. Gleichzeit­ig besteht er darauf, dass Wanda Rockmusik spielen. Alles ist immer komplizier­t.

7– so viele Leute sollen beim ersten Wanda-Konzert 2012 im Publikum gewesen sein. Drei Jahre später spielte die Band bereits vor 300.000 Menschen im Jahr. Und 2018? Frage nicht. Die Konzerte der laufenden Tour sind meist ausverkauf­t, in Berlin füllte die Band die Max-Schmeling-Halle. Die hat eine Kapazität von knapp 12.000 Besuchern.

Tagesfreiz­eit – davon hat eine Band auf Tour zu wenig oder zu viel. Sie verbringt sie im Tourbus oder im Hotel. Wie qualitativ­e Tagesfreiz­eit aussieht, davon singen Wanda. Zum Beispiel in ihrer Hitsingle Columbo. Nicht vor die Tür gehen. Zu Hause bleiben, im Pyjama mit der aktuellen Herzdame Columbo schauen. Der Mantel des TV-Ermittlers und Marco Wandas Frisur dürften sowieso über drei Ecken verwandt sein.

Verunglimp­fung – Neid gilt als österreich­ischer Ausdruck der Anerkennun­g. Er äußert sich unter anderem in Namensspie­lchen. Im Falle von Wanda führt das zu halblustig­en Kreationen wie „Wandahure“oder „Stevie Wanda“. Was das mit der Band zu tun hat? Gute Frage.

Wiener Stadthalle – zum zweiten Mal füllen Wanda heute, Samstag, die Wiener Stadthalle. Sie ist die größte Mehrzweckh­alle Österreich­s mit einer Kapazität bis zu 16.000 Besuchern. Nur wenigen heimischen Musiker gelang es bisher, diesen akustische­n Zwangskomp­romiss zu füllen: Wolfgang Ambros, Austria 3 oder, mit ein paar Sesseln im Saal, Hansi Hinterseer.

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Wer sich dem Rock ’n’ Roll verschreib­t, begibt sich auf eine Gratwander­ung. Da darf man sich für nichts zu gut sein. Marco Michael Wanda hat damit kein Problem.

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