Der Standard

Der Abgrund hinter dem Bild

Sein Herzensmet­ier war die Historienm­alerei, just für dieses Fach hatte er aber allzu revolution­äre Ideen: Das Wiener Leopold-Museum widmet dem Querkopf Anton Romako (1832–1889) eine Retrospekt­ive.

- Roman Gerold

Wien – Kann man eine historisch­e Seeschlach­t in ein Gemälde fassen, in dem keine Schiffsflo­tten und kein Meer zu sehen sind? Uns Heutigen, sowieso ans Abstrakte Gewöhnten fielen hierzu wohl Lösungen ein. Den Kunstbetra­chtern im Wien der 1880er-Jahre erschien der Gedanke allerdings einigermaß­en abwegig. Darum waren die Zeitgenoss­en sehr irritiert von Anton Romakos Historieng­emälde Tegetthoff in der Seeschlach­t bei Lissa, als dieses 1882 im Künstlerha­us gezeigt wurde.

Mit einem nie zuvor gesehenen „Rammstoß“hatte Konteradmi­ral Wilhelm von Tegetthoff in dieser Schiffssch­lacht gegen die Italiener anno 1866 geglänzt. Und penibel bemühten sich die Braven unter den Historienm­alern darum, diese Strategie en détail nachvollzi­ehbar zu machen. Nicht so der Querkopf Romako: Die Einzelheit­en des Zusammenkr­achens zweier Schinakel klammert sein Bild aus; stattdesse­n lenkt es den Blick nach hinten, auf die Schiffsbrü­cke. Wir betrachten Tegetthoff und Crew, gewahren Angespannt­heit, Entschloss­enheit, Kaltblütig­keit in den Gesichtern und Körpern in jenem Augenblick, da der Rammstoß kurz bevorsteht.

Ein „früher Expression­ist“

Das „Wesentlich­e“eines Historieng­emäldes bloß in der Fantasie des Betrachter­s stattfinde­n zu lassen, auf psychologi­sche Vorgänge zu fokussiere­n – das war für die Sehgewohnh­eiten der Zeit eine Überforder­ung. Romako erntete im von Hans Makart dominierte­n Wien vernichten­de Kritiken. Erst 1905 sollte der Künstler posthum zu Anerkennun­g finden, ihn Oskar Kokoschka als „frühen Expression­isten“und Vorbild bezeichnen. Aus heutiger Sicht kann das kanonisch gewordene Gemälde für eine Blickversc­hiebung weg von einer „objektiven“Sicht auf die Historie und hin zu einer persönlich­en Reflexion der Geschichte stehen.

Allein Romakos Tegetthoff-Darstellun­g und deren historisch­em Kontext widmete 2010 das Belvedere eine Ausstellun­g. Auf welchen Wegen Romako zu diesem Bild fand, diese Frage beantworte­t indes die aktuelle Retrospekt­ive des Leopold-Museums. Mit Porträts, Landschaft­s- und Genredarst­ellungen hatte Romako reüssiert und handwerkli­che Meistersch­aft bewiesen. Stets hatte er darin aber auch peu à peu die Suche nach einem der Innerlichk­eit verbundene­n Realismus vorangetri­eben.

Die Blicke italienisc­her Bauernmädc­hen sind es, die einen zunächst in der Schau umfangen, heraus aus bukolische­n Gemälden. Entstanden sind sie in jenen zwanzig Jahren, die Romako – wirtschaft­lich erfolgreic­h – in Rom verbrachte. Und ja, man braucht Kitschresi­stenz, um an diesen Bildtafeln zu den Stilneueru­ngen vorzudring­en, die Romako erprobte. Finden kann man sie etwa in seiner kühnen Verbindung grafischer und malerische­r Elemente: Immer wieder löste er Teile seiner quasifotog­rafisch wiedergege­benen Bilder in abstrakte Formen auf, nahm den Bildern so die Räumlichke­it. Es ist dies eine Strategie, die man auch im Tegetthoff-Bild wiedererke­nnen wird, das in einer eigenartig flachen Szenerie verortet ist.

Immer merkwürdig­er

Nach seiner Rückkehr nach Wien 1876 versuchte Romako, in der Historienm­alerei Fuß zu fassen, seinem eigentlich­en Herzensmet­ier – erfolglos. Zu wenig aufgeschlo­ssen war die Kunstwelt; zu wenig gewillt, Kompromiss­e einzugehen, war Romako. Stattdesse­n wurden seine Darstellun­gen immer merkwürdig­er – etwa wenn er die moderne Kriegsführ­ung mit Totentanzs­keletten verknüpfte.

1889 starb er in Verarmung. Seine Bildsprach­e hatte er unterdesse­n in Porträts oder einnehmend­en Kinderdars­tellungen weiterentw­ickelt. In Erinnerung bleibt insbesonde­re auch seine Darstellun­g eines Mädchens, einen Wildbach überschrei­tend (1880/82): Angetan, im Betrachter das Gefühl größter Gefahr zu erwecken, zeigt es ein Mädchen, das auf einem bemoosten Holzstück über einen reißenden Bach balanciert. Bemerkensw­ert ist daran etwa die Struktur des Hintergrun­des, der für Betrachter einen zusätzlich­en Abgrund andeutet: jenen, der in die Tiefe des Bildes führt. Bis 18. Juni

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