Der Standard

Schimmel in Ballettkle­idern

Eine Ausstellun­g über ukrainisch­e Gegenwarts­kunst in Ungarn: Das birgt jede Menge Konfliktst­off

- Michael Freund aus Budapest

Ein staatliche­s Museum stellt revolution­äre Kunst aus einem Nachbarlan­d aus, mit dem es einen Konflikt gibt. Ein mit dem Gastland befreundet­er Staat kommt in der Schau und im Katalog ziemlich schlecht weg. Und die Eröff- nung fand mitten in einem nationalis­tisch aufgeheizt­en Wahlkampf statt. Keine günstige Konstellat­ion, doch die befürchtet­en Misstöne blieben aus.

Die Gegenwarts­kunst in der Ukraine sei extrem lebendig, sagt Julia Fabényi, Direktorin des Budapester Ludwig-Museums, aber sie sei immer noch ein blinder Fleck auf der kulturelle­n Landkarte Europas. Permanente Revolution ist der Titel der Ausstellun­g, die Fabényi am Donnerstag eröffnete, er verweist darauf, dass ukrainisch­e Künstler seit der Unabhängig­keit des Landes ständig auf die politische­n Unruhen reagieren, anderersei­ts auch auf die durch Korruption und Oligarchen­tum hervorgeru­fene Grabesruhe.

Die Arbeiten von 37 Künstlern zeigen, wie vielfältig diese Reaktionen sind. Ein überdimens­ionales Schachbret­t aus kleinen Aquarellen stellt das Tagebuch von Vlada Ralko während der Monate der Euromaidan-Besetzung dar. Jevgen Nikiforow hat fotografis­ch dokumentie­rt, was aus den Monumenten der Sowjetzeit geworden ist – eher Schrott und clowneske Verkleidun­g in den Zentren, mehr Respekt in den Dörfern. „Büroaffen“, kleine Angestellt­enfiguren auf einem Leuchttisc­h, sollen die „schimmelig­e“Existenz der Mittelschi­cht darstellen (Oleksiy Sai), Fotos von Bergarbeit­ern nackt bzw. in Ballettkle­idern verweisen hingegen auf die absurde und gefährlich­e Arbeitswel­t im Donbass.

Die meisten Exponate verstören. Alexander Roytburd, 1961 in Odessa geboren, kombiniert Material des Filmpionie­rs Dziga Vertov mit den seinerzeit tabuisiert­en Themen von Eros und Thanatos – sprich Ausschnitt­en aus Pornofilme­n und Dokumentat­ionen von Autopsien.

Brachial oder ironisiere­nd, pathetisch oder subtil behandeln die Arbeiten vor allem den Konflikt der Ukraine mit Russland. Im Vorfeld gab es Vermutunge­n, dass dies in Ungarn nicht so gern gesehen wird, hat die jetzige und wahr- scheinlich nächste Regierung doch gute Beziehunge­n zu Putin und weniger gute zur Ukraine – seit zwei Jahren schwelt ein Konflikt mit der ungarische­n Minderheit im Westen des Landes.

Zenko Aftanaziv berichtet jedoch von nur anfänglich­en Schwierigk­eiten mit den Behörden. Die Stiftung des ukrainisch­en Politikers und Sammlers unterstütz­t die Schau mit Geld und Leihgaben. „Die Behörden haben keine Schwierigk­eiten gemacht“, eine Einschätzu­ng, die Co-Kurator Konstantin Akinsha teilt. „Sie lassen das Museum in Ruhe. Die Ukraine ihrerseits unterstütz­t die Ausstellun­g trotz der massiv kritischen Haltung der Produzente­n.“

Zur Eröffnung kam denn der ukrainisch­e Botschafte­r – und seine Kollegen aus den USA, Frankreich und Mexiko. Ungarische Vertreter waren nicht anwesend. Die hätten in den letzten Tagen des Wahlkampfs genug anderes zu tun, meint Fabényi. „Und das war besser so, da konnte niemand ins Fettnäpfch­en treten.“Bis 26. Juni

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