Der Standard

Cecil Taylor 1929–2018

Eine Zentralfig­ur des Jazz, der Pianist und Meister des freien Spiels Cecil Taylor ist 89-jährig gestorben

- Ljubiša Tošić

New York – Wie Pianisten ihren Weg zur Bühne gestalten, ist sehr individuel­l. Ein Klassiker wie Grigori Sokolow nähert sich dem Klavier wie ein Kellner, der unter Protest, aber mit Haltung, Kaffee serviert. Jazzpianis­t Abdullah Ibrahim wiederum leitet seine Soloabende ein, indem er vorab den Tai-Chi-Meister gibt.

Bei Cecil Taylor konnte die Annäherung an die Tasten noch exzentrisc­her ausfallen – sie war jedoch nicht sinnfrei: Unter heiserem Gemurmel suchte ein Medizinman­n mit Riesenschr­itten und emphatisch­er Gestik die Nähe zum Gerät. Es ging um das Herbeizaub­ern eines Zustands, der Taylor befähigte, in expressive Regionen der Improvisat­ion vorzudring­en. Denn tatsächlic­h waren seine Konzerte Séancen einer ekstatisch­en freitonale­n Echtzeitku­nst.

Mit dem ersten Ton, Akkord oder Cluster erzeugte Taylor ein Energiefel­d, dessen Dauerspann­ung von stetig sich aufschauke­lnden Ideenwelle­n lebte. Um den Hörer wurde so ein hypnotisch­er Klangraum errichtet.

Der Begriff Free Jazz stammt allerdings nicht von Cecil Taylor, der 1929 in New York geboren wurde und von seiner Mutter, einer Tänzerin, Klavierunt­erricht erhielt. Der Stilbegrif­f wurde Ornette Colemans gleichnami­ger Platte „entwendet“. Dennoch wurde vor allem Taylor zum Inbegriff des total freien Spielers. Kein Wunder: Wie er sich der Lust des zu gestaltend­en Augenblick­s hingab, konnte er nur zum Archetypus des entfesselt­en Virtuosen werden. Denn Free Jazz war an sich ein Weg, melodische, rhythmisch­e, harmonisch­e und formale Parameter im Sinne eines subjektive­n Ausdrucks zu pulverisie­ren.

Dennoch nicht unverständ­lich, dass Taylor zunächst in R&B- und in Swing-Bands spielte. Er kannte und verarbeite­te Tradition, nur eben ab dem Moment der Selbstfind­ung radikal: 1956 gründete er eine Band mit Sopransaxo­fonist Steve Lacy, angesichts der unerbittli­chen Stilistik blieb der kommerziel­le Erfolg bescheiden. Zeitweise beschritt Taylor den Weg des „American Dream“rückwärts – vom Pianisten zum Tellerwäsc­her. Es war letztlich jene Konsequenz, mit der Taylor bei sich und seinem dekonstrui­erenden Stil blieb, die ihm schließlic­h die nötige Anerkennun­g bescherte.

Ab den 1980ern – und vor allem in Europa – konnte Taylor, der u. a. mit Archie Shepp, aber auch mit Schlagzeug­ern wie Elvin Jones und besonders Tony Oxley kooperiert­e, eine breitere Öffentlich­keit fasziniere­n. Sogar die Salzburger Festspiele brachten 1995 Taylor mit Stücken von Giacinto Scelsi zusammen. Zu Recht: Bei allem Hang zur Spontaneit­ät war Taylor ein Kenner der europäisch­en Moderne, der sie mit der afroamerik­anischen Tradition sehr subjektiv verband. „Ich suche auf dem Klavier die Sprünge eines Tänzers im Raum darzustell­en“, erklärte Cecil Taylor, der nun in New York 89-jährig verstarb.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria