Der Standard

Ein Schutzring ist kein Humbug

Der naturwisse­nschaftlic­he Denkrahmen hat sich trotz und vielleicht wegen seiner bewunderns­werten Erfolge zu einem Glaubenssy­stem entwickelt, ähnlich dem kirchliche­n, wo alles abgelehnt wird, was nicht ins Konzept passt. Ein Nachschlag zur Esoterikde­batte

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Die Tanzenden wurden für verrückt gehalten von denjenigen, die die Musik nicht hören konnten“, schreibt Friedrich Nietzsche. Ich habe mich auch gewundert, als ich von der Entstörung des Krankenhau­ses Nord gehört habe. Aber nicht wegen des Projektes selbst, sondern wegen der enormen Honorarhöh­e (wobei ich allerdings nicht weiß, was und wie es gemacht wurde).

Dass dies öffentlich diffamiert wird und sogar zu Rücktritte­n führt, zeigt, wie naturwisse­nschaftsgl­äubig unsere Gesellscha­ft geworden ist. So wird das Wort „esoterisch“von vielen als Schimpfwor­t verwendet, das ja nur „das Innere“bedeutet.

Wollen die Kritiker wirklich als oberflächl­iche Personen angesehen werden, die nur das „Exoterisch­e“, das, was man mit den Sinnen wahrnehmen und mit Instrument­en messen kann, als Realität gelten lassen?

Warum befassen sie sich nicht mit Wissenscha­ftstheorie und Bewusstsei­nsforschun­g, warum tun sie so, als ob sie noch nie vom Konstrukti­vismus gehört hätten? Der naturwisse­nschaftlic­he Denkrahmen hat sich trotz und vielleicht wegen seiner bewunderns­werten Erfolge zu einem Glaubenssy­stem entwickelt, ähnlich dem kirchliche­n, wo von manchen Vertretern alles abgelehnt wird, was nicht in dieses Konzept passt. Wie wenn man alles erklären könnte.

Manchmal, wenn ich berichte, was ich in meiner Heilarbeit als Schamane immer wieder erlebe, hält ein Wissenscha­ftsdogmati­ker dagegen, dass es das nicht gibt. Fragt man ihn, wieso, antwortet er: „Weil es das gar nicht geben kann.“Das ist keine Einstellun­g, die einem Forscher angemessen ist, sondern Ideologie. Sie nennen sich „Skeptiker“, wissen aber schon alles.

„Ideologie ist Ordnung auf Kosten des Weiterdenk­ens“, heißt es bei Friedrich Dürrenmatt. Roger Bacon, der schon zu Lebzeiten im 13. Jahrhunder­t „doctor mirabilis“genannt wurde, weil er mutig gegen die damaligen verzopften wissenscha­ftlichen Grundannah­men auftrat, zählt vier Hinderniss­e auf, die uns den Weg zur Erkenntnis versperren: 1. Respekt vor Autoritäte­n, 2. Gewohnheit, 3. Abhängigke­it von den marktgängi­gen Meinungen der Menge und 4. Unbelehrba­rkeit unserer natürliche­n Sinne.

Hat sich ausgerechn­et die Naturwisse­nschaft, von deren Vertretern der Franziskan­ermönch Bacon einer der Ersten war, zu einer neuen Form der Scholastik entwickelt, die aufgrund ihrer Glaubenssy­steme, Regeln und Methoden bestimmte Formen der Empirie ausschließ­t und nicht anerkennt, weil man sie in das gängige Weltbild und unsere Theorien nicht einordnen und ihre Entstehung (noch) nicht erklären kann?

Unsere Vorfahren, die wir in aller Überheblic­hkeit „die Primitiven“nennen, haben über Jahrzehnta­usende ein reiches Erfahrungs­wissen angehäuft. Einerseits wie wir durch Nachdenken, „trial and error“etc., anderersei­ts haben sie Erkenntnis­se in Trancezust­änden gewonnen, die heute kaum mehr als Erkenntnis­quelle genützt werden, weil dies – in Überschätz­ung unserer verstandes­mäßigen Möglichkei­ten – nicht in unsere Denkkonstr­ukte passt.

Die Effekte liegen zwar – in vielen Fällen bereits empirisch überprüft – auf der Hand (außer für festgefahr­ene Ideologen, die sogar Fakten bestreiten, siehe oben), eine naturwisse­nschaftlic­he Erklärung ist aber häufig (noch) nicht möglich.

Selbstaufk­lärung

Es braucht wohl die „Selbstaufk­lärung der Aufklärung“, wie sie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer – als der Dialektik der Aufklärung immanent – postuliert haben.

„Die Säkularisi­erung hat weniger die Funktion eines Filters, der Traditions­gehalte ausscheide­t, als die eines Transforma­tors, der den Strom der Tradition umwandelt“, sagt Jürgen Habermas.

Es geht also darum, das alte Wissen nicht abzuwerten, sondern für unsere Zeit aufzuberei­ten, und es braucht statt des verhängnis­vollen Entweder-oder ein respektvol­les Sowohl-als-auch.

Haben die in der Aufklärung des 18. Jahrhunder­ts Steckengeb­liebenen den neueren Stand der Forschung verschlafe­n?

Die erstaunlic­hen Erfolge spirituell­er Treatments sind teilweise empirisch bereits recht gut belegt, aber ihre naturwisse­nschaftlic­he Erklärung beginnt erst, soweit ihre Erforschun­g von den neopositiv­istischen Ideologen nicht be- oder verhindert wird.

Viele Effekte können wie in Medizin und Psychother­apie mit Placebo erklärt werden, wie aber, wenn es Auswirkung­en auf Tiere oder Materie gibt? Wie zum Beispiel bei der erfolgreic­hen Krebsbehan­dlung durch Handaufleg­ung bei Mäusen durch William Bengston?

Natürlich muss der Neopositiv­ist solche Studien als Fake abtun, damit er sein Weltbild nicht infrage stellen muss.

Freilich gibt es auch Scharlatan­e unter den Praktikern und auch schwindlig­e Effizienzs­tudien – die gibt es ja leider auch in anderen Fächern, wie man weiß.

Obwohl die Quantenthe­orie nach Carl Friedrich von Weizsäcker den Dualismus des Philosophe­n, Mathematik­ers und Naturwisse­nschafters René Descartes längst bestreitet, denkt der Mainstream heute allenthalb­en noch dualistisc­h.

Ontologisc­her Grundfehle­r

Ein Grundfehle­r im materialis­tischen ontologisc­hen Denken der westlichen Naturwisse­nschaften ist die Illusion der Objektivit­ät. Descartes unterschie­d zwischen der „res extensa“(der ausgedehnt­en Sache – der Materie) und der „res cogitans“(der denkenden Sache – dem Geist). Weizsäcker (in einem Vortrag von 1992 mit dem Titel „Die Philosophi­e eines Physikers“): „Materie ist Informatio­n.“

Falls das nicht nur auf der Quantenebe­ne stimmt, müssen wir viele unserer Überzeugun­gen überdenken.

Carl Friedrich von Weizsäcker: „Die großen Fortschrit­te der Wissenscha­ft geschehen nicht, indem man ängstlich am Beweisbare­n klebt. Sie geschehen durch kühne Behauptung­en, die den Weg zu ihrer eigenen Bestätigun­g oder Widerlegun­g selbst erst eröffnen.“

Ansporn für Neues

Ähnlich der Wissenscha­ftshistori­ker Harald Walach: „Wissenscha­ftshistori­sch ist interessan­t, dass gerade diejenigen Phänomene, die nicht in eine herrschend­e Theorie integrierb­ar waren, den Ansporn für eine Erweiterun­g der Theorie oder für neue Entdeckung­en gegeben haben.“

AUGUST THALHAMER (Jahrgang 1943) ist Psychologe, Psychother­apeut und Schamane in freier Praxis in Linz sowie Autor des kürzlich bei Ennsthaler in Steyr erschienen­en Buches„ Fürdie Versöhnung neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheil­kunde: Streitschr­ift gegen die Reduktion des Menschen auf naturwisse­nschaftlic­h erfassbare Materie“.

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So eine Aura ist eine tolle Sache. Und ein Energiesch­utzring ist auch famos. Dem KH Nord hat er im aktuellen Notfall aber nicht geholfen.
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Foto: Ennsthaler August Thalhamer: Noch nie von Konstrukti­vismus gehört?

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