Der Standard

Austro-Besuch bei der Hegemonial­macht China

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Die größte österreich­ische Regierungs­und Wirtschaft­sdelegatio­n reist mit Präsident VdB und Kanzler Kurz nach China, das von einem bitterarme­n, von politische­n Massenkämp­fen geschüttel­ten Land zu einer weltweit führenden politische­n und wirtschaft­lichen Macht geworden ist. Das „chinesisch­e Modell“– weitgehend­e Wirtschaft­sfreiheit, aber eiserne politische Kontrolle durch die Einheitspa­rtei KPCh – dient vielen autoritäre­n Politikern als Vorbild. Der Wandel des Landes ist atemberaub­end – vor allem, wenn man vor Jahrzehnte­n die Anfänge erlebt hat.

Vor über 30 Jahren hatte eine kleine österreich­ische Journalist­engruppe Gelegenhei­t, den monumental­en Wechsel in Chinas Politik durch Deng Xiaoping aus nächster Nähe zu studieren. Deng hatte sich darangemac­ht, den Wahnsinn des späten Mao Tse-tung und der ihm nachfolgen­den „Viererband­e“in der Wirtschaft­spolitik zu beenden.

Zur Illustrati­on: Maos „Großer Sprung nach vorn“, eine Zwangsindu­strialisie­rung auch der Kleinbauer­n, hatte zu einer Hungersnot mit über 30 Millionen Toten geführt. Die „Kulturrevo­lution“, von Mao zur Vernichtun­g kritischer Intelligen­z gestartet und von der Viererband­e fortgesetz­t, kostete hunderttau­sende Tote und Millionen, deren Leben zerstört war. Die österreich­ischen Journalist­en trafen auf einen ehemaligen Chefredakt­eur der Volkszeitu­ng, der drei Jahre in einem Verschlag unter einer Treppe eingesperr­t gewesen war und seither ein verkrüppel­tes Bein hatte. Sie erlebten einen Lese- und Schreibkur­s für junge Erwachsene, die während der Kulturrevo­lution als Schüler durchs Land gezogen waren und eben Analphabet­en waren.

Die Ansätze der Wende zu einer „gelenkten Marktwirts­chaft“, wie sie Deng propagiert­e, waren schon zu sehen. Wie bitterarm die Kollektivw­irtschaft machte, konnte man auf den Landstraße­n sehen: Die Getreideer­nte wurde noch auf die Landstraße geworfen, damit sie die drüberfahr­enden Lastautos „dreschen“konnten. Die Dörfer bestanden aus Lehmhütten, nur einer hatte einen Betonbau und – in einer Art Hausaltar – eine Flasche Rémy Martin stehen. Er war durch privates Züchten von Enten reich geworden. In der „Sonderwirt­schaftszon­e“Shenzhen bei Hongkong standen gerade ein paar Häuser. Heute ist das eine Millionens­tadt. In den Straßen von Peking strampelte­n Radfahrer in Zehnerreih­en – heute stauen sich dort Autos und tragen zu einer atemberaub­enden Luftversch­mutzung bei.

Damals hieß die weltpoliti­sche Devise Chinas „friedliche­r Aufstieg“. Das ist einem harten Welthegemo­nialanspru­ch gewichen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, der sich soeben eine unbegrenzt­e Regierungs­zeit in die Verfassung schreiben ließ, stößt immer drohendere Töne aus. Im Inneren perfektion­iert China ein Orwell’sches System kompletter digitaler Überwachun­g. Die österreich­ische Delegation wird das nicht thematisie­ren. Die Devise heißt: gute Beziehunge­n, gute Geschäfte. Wie hoch und wie akzeptabel der dafür zu zahlende politische Preis ist, wird man sehr genau prüfen müssen. hans.rauscher@derStandar­d.at

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