Unfall-Verunsicherung
Historisch betrachtet ist die Unfallversicherung der älteste Teil der Sozialversicherung: Wer einen Dampfhammer betreibt, so erkannten die Politiker im 19. Jahrhundert, der setzt seine Mitarbeiter einer besonderen Verletzungsgefahr aus. Und wer durch die Tätigkeit in einem solchen gefährlichen Bereich Schaden nimmt, hat Anspruch darauf, beste Heilbehandlung und finanziellen Schadenersatz zu bekommen. Diesen Schadenersatzanspruch auf eine eigene Versicherung abzuwälzen war nicht nur eine soziale Tat – der Schadenersatzanspruch eines verunfallten Arbeiters hat ja sowieso gegenüber dem Unternehmer bestanden. Für beide Seiten verlässlicher ist aber, dass verunfallte Arbeitnehmer ihre Versicherungsleistungen unabhängig vom Arbeitgeber erhalten.
Und genau dieses System setzt die türkis-blaue Regierung nun aufs Spiel: Sie will die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt auflösen und deren Aufgaben der Krankenversicherung übertragen. Das zeugt von einer grundsätzlichen Unkenntnis des Wesens der Unfallversicherung. Es deutet aber auch darauf hin, dass die Verantwortlichen auf Regierungsebene ihrem Vereinfachungsdogma folgend die Besonderheiten der Unfallversicherung übersehen.
Denn deren Aufgaben sind über die Jahrzehnte gewachsen, längst sind nicht mehr nur Arbeiter an Dampfhämmern versichert. Um Verunfallte optimal betreuen zu können – also vollen Schadenersatz zu leisten –, hat die AUVA auch eigene Unfallkrankenhäuser eingerichtet, in denen etwa Spezialisten für Handchirurgie arbeiten.
Die Regierung meint, hier viel einsparen zu können, die Forderung liegt bei einer halben Milliarde Euro. Tatsächlich könnte einiges eingespart werden, wenn etwa die Opfer von Freizeitunfällen nicht unzuständigerweise von den Arbeitsunfallspezialisten behandelt würden – oder wenn diese Leistungen der AUVA höher abgegolten würden.
Die Regierung legt es stattdessen aber auf eine Zerschlagung des sozialpartnerschaftlich etablierten Systems an.
Manche Unternehmer sehen dem noch mit Wohlwollen zu, denn sie erwarten sich eine Senkung der Beiträge. Doch das könnte ein Schnitt ins eigene Fleisch sein: Wenn die Unfallversicherung nicht mehr alle Schadenersatzansprüche decken kann, könnten Opfer von Arbeitsunfällen zusätzliche Heilkosten, Heilbehelfe und Unfallrenten direkt beim Arbeitgeber einklagen. Wie im 19. Jahrhundert – allerdings mit besserem Rechtsschutz durch ÖGB und AK.