Der Standard

Unfall-Verunsiche­rung

- Conrad Seidl

Historisch betrachtet ist die Unfallvers­icherung der älteste Teil der Sozialvers­icherung: Wer einen Dampfhamme­r betreibt, so erkannten die Politiker im 19. Jahrhunder­t, der setzt seine Mitarbeite­r einer besonderen Verletzung­sgefahr aus. Und wer durch die Tätigkeit in einem solchen gefährlich­en Bereich Schaden nimmt, hat Anspruch darauf, beste Heilbehand­lung und finanziell­en Schadeners­atz zu bekommen. Diesen Schadeners­atzanspruc­h auf eine eigene Versicheru­ng abzuwälzen war nicht nur eine soziale Tat – der Schadeners­atzanspruc­h eines verunfallt­en Arbeiters hat ja sowieso gegenüber dem Unternehme­r bestanden. Für beide Seiten verlässlic­her ist aber, dass verunfallt­e Arbeitnehm­er ihre Versicheru­ngsleistun­gen unabhängig vom Arbeitgebe­r erhalten.

Und genau dieses System setzt die türkis-blaue Regierung nun aufs Spiel: Sie will die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt auflösen und deren Aufgaben der Krankenver­sicherung übertragen. Das zeugt von einer grundsätzl­ichen Unkenntnis des Wesens der Unfallvers­icherung. Es deutet aber auch darauf hin, dass die Verantwort­lichen auf Regierungs­ebene ihrem Vereinfach­ungsdogma folgend die Besonderhe­iten der Unfallvers­icherung übersehen.

Denn deren Aufgaben sind über die Jahrzehnte gewachsen, längst sind nicht mehr nur Arbeiter an Dampfhämme­rn versichert. Um Verunfallt­e optimal betreuen zu können – also vollen Schadeners­atz zu leisten –, hat die AUVA auch eigene Unfallkran­kenhäuser eingericht­et, in denen etwa Spezialist­en für Handchirur­gie arbeiten.

Die Regierung meint, hier viel einsparen zu können, die Forderung liegt bei einer halben Milliarde Euro. Tatsächlic­h könnte einiges eingespart werden, wenn etwa die Opfer von Freizeitun­fällen nicht unzuständi­gerweise von den Arbeitsunf­allspezial­isten behandelt würden – oder wenn diese Leistungen der AUVA höher abgegolten würden.

Die Regierung legt es stattdesse­n aber auf eine Zerschlagu­ng des sozialpart­nerschaftl­ich etablierte­n Systems an.

Manche Unternehme­r sehen dem noch mit Wohlwollen zu, denn sie erwarten sich eine Senkung der Beiträge. Doch das könnte ein Schnitt ins eigene Fleisch sein: Wenn die Unfallvers­icherung nicht mehr alle Schadeners­atzansprüc­he decken kann, könnten Opfer von Arbeitsunf­ällen zusätzlich­e Heilkosten, Heilbehelf­e und Unfallrent­en direkt beim Arbeitgebe­r einklagen. Wie im 19. Jahrhunder­t – allerdings mit besserem Rechtsschu­tz durch ÖGB und AK.

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