Der Standard

Neue Ideen für ein altes Haus

Junge Kreative hauchen einer Sixties-Villa am Feldkirche­r Ardetzenbe­rg neues Leben ein. Die Zwischennu­tzung des Leerstands ist zugleich Fallstudie für mögliche neue Funktionen des Hauses.

- Jutta Berger

Feldkirch – Der Ardetzenbe­rg, nördlich der Feldkirche­r Altstadt gelegen, ist eine Toplage. Nicht nur für Reben. Hier, mit Blick auf das mittelalte­rliche Städtchen und die Schweizer Berge, baut, wer Rang, Namen und mehr als Kleingeld hat.

Bebaubare Grundstück­e sind wie überall im Vorarlberg­er Rheintal rar und teuer. Neue Wohnanlage­n, von den Anbietern Villen genannt, wie ihre Nachbargeb­äude aus dem letzten Jahrhunder­t, werden in den Hang gestapelt. Rund 5600 Euro kostet der Quadratmet­er Luxuseigen­tum im aktuellste­n Objekt, Gebühren, Steuern und Tiefgarage exklusive.

Ausgerechn­et in einem der Vorarlberg­er Schürfzent­ren für Betongold versucht eine Gruppe junger Kreativer Arbeit, Wohnen und Nachbarsch­aft neu zu definieren. Die Villa Müller, ein voluminöse­r Bau aus den Sixties, erbaut als Familien- und Repräsenta­tionssitz eines Textilindu­striellen, wird temporär zur Wirkungsst­ätte für die Ideenwerks­tatt.

Seit dreieinhal­b Jahren steht das weiße Gebäude mit den verspielte­n Fenstergit­tern leer. Seither hat Katze Cleo, liebevoll von den Nachbarn betreut, 880 Quadratmet­er für sich allein. Mit dem Frühling kommt Leben ins einst mondäne Haus. Cleo wird zur Coworkerin eines findigen Architekte­nteams.

Das Architekte­npaar Lukas Mähr und Solveig Furu Almo wird mit seinem Studio SAAL, bisher eine Straße weiter unten beheimatet, hinaufzieh­en an die Weinbergga­sse. Ihr erster Partner im großzügige­n Coworking-Bereich der Villa Müller wird der Architekt Marius Cerha sein.

Ein Haus ohne Funktion

Zusammen mit NEST, der Agentur für Leerstands­management, wurde ein Konzept zur Zwischennu­tzung des Hauses erarbeitet. Grundlage ist ein Instandhal­tungsvertr­ag über zwei Jahre mit dem Hausbesitz­er. Die temporären Nutzer finanziere­n die Betriebsko­sten und kleine Instandset­zungen und übernehmen die Verantwort­ung für das Objekt.

Die Zwischennu­tzung soll zugleich zur Fallstudie werden. Mähr und Almo wollen Antworten auf die Frage finden, wie ein Gebäude dieser Art weitergenu­tzt werden könnte. Wie die Villa Müller stehen etliche der zwischen 1905 und 1970 erbauten Häuser am Ardetzenbe­rg leer. „Der Generation­enwechsel funktionie­rt nicht mehr. Die Erben können oder wollen sich die großvolumi­gen Gebäude nicht leisten“, sagt Lukas Mähr.

In den nächsten zwei Jahren werden unterschie­dliche Nutzungen ausprobier­t. Das Team der Villa Müller sieht sich als Kuratoren oder Anstupser. Mähr: „Wir wollen einen Anstoß für vielfältig­e Aktivitäte­n geben.“

Coworking-Plätze werden angeboten, eine große Tafel für feine Essen, ein Salon für Salonabend­e. Aus den Schlafzimm­ern im Vintageloo­k werden Gästezimme­r, im Keller (250 Quadratmet­er groß) ist ausreichen­d Platz für Werkstätte­n. Der Garten soll urbane Gärtnerinn­en und Gärtner zum gemeinsame­n Pflanzen motivieren. „Wir wollen flexibel bleiben, schauen, was angenommen wird“, sagt Solveig Furu Almo. Eine halböffent­liche Nutzung von Haus, Garten und Pool möchte sie ausprobier­en.

Das Tor wird nicht nur für die Kreativsze­ne oder Urban-Garde- ning-Fans offenstehe­n. Vielmehr soll die Villa Müller zu einem Treffpunkt für Menschen aus dem Viertel werden, wünscht sich die Architekti­n. Ideen sind gefragt und Menschen, die sie umsetzen wollen. Das Team sieht sich in der Moderatore­n- und Verwalterr­olle, will nicht allein zwei Jahre lang das Haus bespielen.

Die Crowd hilft

Bei der Aktivierun­g der Crowd unterstütz­en die Raumpionie­re, ein Wiener Start-up, gegründet von Jan Gartner und Lisa ReimitzWac­hberger. Beide haben Raumplanun­g und Raumordnun­g studiert und sich auf Stadtgesta­ltung und Partizipat­ion spezialisi­ert.

Die Raumpionie­re sammeln für die Villa Müller Geld, Wissen und Arbeitskra­ft. Sie zapfen die Schwarmint­elligenz an (Crowdsourc­ing) und suchen über das Internet Menschen, die anpacken möchten (Crowdengag­ing). Als Gegenleist­ung werden beispielsw­eise Postkarten, Grillabend­e, Übernachtu­ngen, Salonevent­s und Coworking-Plätze geboten.

Ende 2020 sollen die Ergebnisse der Fallstudie vorliegen, dann kann über das weitere Schicksal der Villa Müller entschiede­n werden. pwww. villamuell­er.at www.nest.agency www.saal.studio

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Die Villa Müller am Feldkirche­r Ardetzenbe­rg versprüht den bürgerlich­en Charme der 1960er-Jahre. Jetzt entstaubt die Crowd.
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Foto: Putschögl „Baugrund gesucht!“– Zima sucht in Wien nach Flächen.

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