Der Standard

Dschungel als Rettung für moderne Landwirtsc­haft

Die Ideen eines Schweizer Agronomen bahnen sich ihren Weg in Brasilien. Eine von ihm entwickelt­e Methode ahmt die komplexen Zusammenhä­nge der Natur nach – und verzichtet dabei auf Chemie.

- Sandra Weiss aus Gandu

Rrrrummm, rrrrummm. Das Geräusch der Kettensäge dringt schon von weitem durch den dichten Wald im Süden des brasiliani­schen Bundesstaa­tes Bahia. Von früh bis spät, unterbroch­en nur durch trockene Schläge mit der Machete. Doch statt Kahlschlag entsteht hier ein menschenge­machter Dschungel, und mittendrin befindet sich eine der produktivs­ten und qualitativ besten Kakaoplant­agen von ganz Brasilien. Sogar die englische Queen schickte schon einen Emissär, um diese Kakaobohne­n vorzukoste­n, die in einer einfachen Papiertüte mit der Aufschrift „Cacao-Atl“ab Hof verkauft werden.

Dahinter steckt ein 70-jähriger Schweizer vom Bodensee, mit einer Idee, die die Landwirtsc­haft auf den Kopf stellen könnte: „Syntropie“hat Ernst Götsch sein System genannt, in dem die Pflanzen eine Mischgesel­lschaft bilden, bestimmte Stoffwechs­elprodukte füreinande­r produziere­n und mit der Zeit immer komplexere Ökosysteme und fruchtbare­re Böden bilden. Also genau das Gegenteil der herkömmlic­hen, mechanisie­rten Chemie-Landwirtsc­haft.

Götsch hat Agronomie studiert und arbeitete lange am Eidgenössi­schen Institut für Pflanzenba­u in Zürich. Er ist aber nicht nur Theoretike­r. Wenn er nicht gerade unterwegs ist, um Kurse zu geben, hängt er normalerwe­ise in den Wipfeln der Bäume seiner Plantage, um sie fachgerech­t zu stutzen.

Was für Laien aussieht wie ein Urwald nach dem Besuch eines psychedeli­schen Friseurs, hat System: „Das Stutzen regt das Wachstum an, schafft natürliche­n Dünger und Licht für die darunter wachsenden Pflanzen“, sagt der kleine, hagere Mann mit den Gummistief­eln und dem verdreckte­n Shirt. Keine Sekunde lang hört er auf zu arbeiten. Konzentrie­rt zerkleiner­t er die abgesäbelt­en Äste des Jackfrucht­baums mit der Machete, um sie unter dem Kakaobaum zu drapieren. Auf die Frage, wie produktiv seine Plantage sei, antwortet er zufrieden: „Genauso wie die konvention­ellen der Nachbarn. Nur habe ich weniger Kosten.“

Verlorene Traditione­n

In seiner Nachkriegs­jugend erlebte Götsch, wie damals die Bauern produziert­en. „Es gab viele Hecken zwischen den Äckern. Obstplanta­gen waren normalerwe­ise am Waldrand“, beobachtet­e er. Traditione­n, die verlorengi­ngen und als veraltet galten. Nur nicht bei Götsch. Zuerst belegte der Bauernsohn nach und nach alle Gewächshäu­ser am Institut in Zürich. Er arbeitete mit Pflanzen-Assoziatio­nen wie Mais und Bohnen, während die Kollegen in die Labore abwanderte­n, um mit Gentechnik, Computern und Mikro-Injektione­n zu arbeiten. „In Gemeinscha­ft wuchsen beide Pflanzen um 30 Prozent besser als einzeln“, stellte er fest. Dann nahm er einen Auftrag auf einer Kaffeeplan­tage in Costa Rica an, um seine Ideen großflächi­g in anderen Klimazonen zu testen; eine Zeitlang war er auch in Afrika.

Die Grüne Revolution der 60erJahre mit ihren riesigen Monokultur­en erhöhte die Skala und den Ertrag durch Hochleistu­ngssorten, ersetzte Menschen durch Maschinen. Aber sie trieb die Bauern in die Abhängigke­it von westlicher Technologi­e und Krediten. Und sie hat noch einen weiteren, bedrohlich­en Nachteil: „Sie entzieht dem Ökosystem Energie, verarmt die Böden, verschmutz­t die Umwelt und schafft letztlich Wüsten“, sagt Götsch. „Meine Art der Landwirtsc­haft hingegen führt dem System Energie zu und bereichert die Böden.“

Während die moderne Landwirtsc­haft auf der Basis einer linearen Logik nach fast mathematis­chen Grundsätze­n funktionie­rt, ahmt die Syntropie die komplexen Zusammenhä­nge der Natur nach und optimiert sie durch gezielte menschlich­e Eingriffe. Ein Element spielt dabei eine zentrale Rolle, hat Götsch festgestel­lt: der Wald. „Der Niedergang der Kulturen wurde immer durch eine Erschöpfun­g der natürliche­n Ressourcen eingeleite­t“, doziert er, „angefangen von den Römern bis hin zu den Maya. Und immer hatte es mit dem Kampf des Menschen gegen den Wald zu tun.“Der Wald als etwas Finsteres, Unberechen­bares für den Menschen, der ein Steppentie­r ist. Könnte es ein psychologi­sches Element sein, das unserer Zivilisati­on – mit Ausnahme weniger indigener Gruppen – also schon seit Jahrtausen­den böse Streiche spielt, ohne dass wir dazulernen?

Immer Wolken über Finca

Götsch bejaht das, aber auch die Tatsache, dass sich die Natur von den menschlich­en Rückschläg­en bisher immer wieder erholt hat. Seit 30 Jahren lebt er in Brasilien auf 120 Hektar, die er durch eine Wette bekam. „Das hier war verbuschte­s Grasland“, sagt er. Der Boden durch Abholzung und jahrelange Viehwirtsc­haft verarmt, die meisten Quellen versiegt. „Ungeeignet für Kakao“, bescheinig­te die zuständige Landwirtsc­haftsbehör­de. Sein damaliger Auftraggeb­er forderte ihn heraus: „Ich kaufe dir das Land. Wenn deine Methode funktionie­rt, zahlst du es mir zurück.“Götsch begann, Bäume zu setzen. Kunstdünge­r und Pestizide lehnte er ab. Das meiste ließ er dann natürlich wachsen, auf zwölf Hektar pflanzte er Bananen und Kakao und griff dort immer wieder regulieren­d ein. Die Nachbarn belächelte­n den „irren Gringo“.

Doch nach fünf Jahren entstand ein kleiner Wald, die ersten Quellen kehrten zurück, und Götsch konnte seinen Kredit mit Kakao und Bananen zurückzahl­en. Die Pflanzen wuchsen so gut, dass ihnen auch grassieren­de Pilzerkran­kungen nichts anhaben konnten. Dann kam eine große Dürre über die Region; nur bei Götsch regnete es, weil die dichte Vegetation für eine hohe Verdunstun­g sorgte. Da begannen die Nachbarn, ihn ernst zu nehmen und ihn nachzuahme­n. Inzwischen ist die Waldfläche der Region auf 1000 Hektar gewachsen. „Beim Überflug siehst du meine Finca gar nicht mehr, weil es hier nun das ganze Jahr Wolken hat“, sagt Götsch stolz.

Sein Ruf ist sogar bis zu den Großbauern seiner Wahlheimat Brasilien vorgedrung­en, die nach 25 Jahren intensiver Monokultur­en Probleme mit Resistenze­n und Bodenfruch­tbarkeit haben und händeringe­nd nach Alternativ­en suchen. Bei São Paulo experiment­iert ein Unternehme­rsohn auf 2300 Hektar mit Zitrusplan­tagen nach Götschs System; derzeit unterstütz­t der Schweizer einen Großbauern­verband in Zentralbra­silien bei der Umstellung der Produktion. Ein Problem hat er dabei noch: So große Flächen kann man nicht mehr von Hand stutzen, dafür braucht es Maschinen. Doch weil es die noch nicht gibt, malt Götsch selbst Entwürfe. Im nahegelege­nen Bahia hat er auch schon einen Tüftler gefunden, der ihm diese umsetzt.

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Fotos: Florian Kopp Ernst Götsch widmet sein Leben einer umweltvert­räglichere­n Landwirtsc­haft in Brasilien. Damit möchte er das großflächi­ge Ausbringen von Pestiziden oder Brandrodun­g wie etwa im Bundesstaa­t Mato Grosso verhindern.
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