Der Standard

Illegale Rinderhalt­ung untergräbt Amazonas- Schutz

Brasilien konnte durch mehrere Abkommen Regenwald-Rodungen stark einschränk­en. Eine Studie der Uni Innsbruck zeigt, dass illegale Tierhaltun­g in Rodungsgeb­ieten aber weiterhin gängige Praxis ist.

- Alois Pumhösel

Innsbruck – Auf der einen Seite steht die Dringlichk­eit, die letzten großen zusammenhä­ngenden Regenwälde­r und damit einen großen natürliche­n Kohlenstof­fspeicher zu erhalten. Auf der anderen Seite stehen die Interessen eines Schwellenl­ands, das einen großen Teil seiner Wirtschaft­skraft aus der Landnutzun­g bezieht. Brasiliens Dilemma spiegelt einen Kernkonfli­kt unserer Zeit, in der zwischen Wohlstands­interessen und dem Kampf gegen den Klimawande­l moderiert werden muss.

Das Land ist der weltweit größte Exporteur von Rindfleisc­h und der zweitgrößt­e von Soja. Auch die Mais- und die Baumwollpr­oduktion sind stark weltmarkto­rientiert. Der Ausbau von Straßen sowie Bergbau- und Kraftwerks­projekte im Amazonasge­biet zeigen, dass Modernisie­rung und Expansion nicht haltmachen. Doch in den vergangene­n Jahrzehnte­n wurden durch den wachsenden Einfluss von NGOs und einer internatio­nalen Zivilgesel­lschaft auch große Erfolge für den Schutz der Regenwälde­r und der indigenen Territorie­n erzielt. Wurden bis Ende der 2000er-Jahre noch jährlich zwischen 10.000 und 30.000 Quadratkil­ometer Wälder pro Jahr gerodet, sanken die Zahlen danach drastisch. Der Wert für 2017 lag bei „nur“6600 Quadratkil­ometern – was aber immer noch knapp der Größe des Landes Salzburgs entspricht.

Regenwald-Aktionspla­n

Der Erfolg bei der Einbremsun­g der Entwaldung wird vor allem einem Aktionspla­n Brasiliens zugeschrie­ben: Neue Schutzgebi­ete wurden ausgewiese­n, die Kontrolle und die Sanktionie­rung von Umweltverg­ehen wurden verschärft, einschlägi­ge Abkommen geschlosse­n. Auf 2006 datiert die Einführung eines Soja-Moratorium­s, das – nach einer Kampagne der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace – den Handel mit Soja, das auf illegal gerodeten Flächen angebaut wurde, verbot. 2009 folgte das G4-Rinderabko­mmen, das Kühe auf den Rodungsflä­chen als „illegal“qualifizie­rte.

Die großen Schlachthä­user, die naturgemäß einen wesentlich­en Machtfakto­r in Brasiliens Rindermark­t darstellen, verpflicht­eten sich dabei, keine Rinder zweifelhaf­ter Herkunft mehr zu verarbeite­n. Grundlage dafür war das gesetzlich bindende TAC-Abkom- men, das Weidefläch­en als illegal beurteilte, die seit etwa 2009 unrechtmäß­ig abgeholzt wurden, in Schutzzone­n liegen oder im Umweltkata­ster nicht erfasst sind.

Auch der Geograf Michael Klingler, der sich an der Universitä­t Innsbruck mit den Veränderun­gen der Landnutzun­g im Amazonasge­biet beschäftig­t, bekräftigt die Wichtigkei­t dieser Abkommen. Er weiß aber aus eigener Anschauung – als Projektkoo­rdinator im südlichen Amazonasge­biet –, dass die Situation vor Ort nicht immer den Regeln am Papier entspricht. Das bisher vorherrsch­ende Muster sei, dass der zunehmende Sojaanbau die Rinderbaue­rn mit ihren Herden verdrängt und eine Kettenmigr­ation auslöst. Aus dem Bundesstaa­t Mato Grosso zogen die Bauern dann etwa in den nördlicher­en Bundesstaa­t Pará, um im tiefen Amazonas neue Flächen urbar zu machen.

„Das geht mit dem nationalen Mythos von unendliche­n Ressourcen und frei zugänglich­em Land im Amazonasge­biet einher, der von den Regierunge­n lange kultiviert wurde“, zeigt Klingler Hintergrün­de auf. Die neuen Umweltschu­tzregeln verdecken die nach wie vor vorhandene­n Verdrängun­gsprozesse. Die Situation wurde komplexer und weniger durchschau­bar.

Steigende Bodenpreis­e

„Ein klassische­s Verdrängun­gsszenario wäre, dass ein Großgrundb­esitzer mit einer Gruppe Pistoleros die Kleinbauer­n vertreibt. Derartige Morde kommen heute noch vor“, sagt der Geograf. „Die Verdrängun­g passiert heutzutage aber vielfach subtiler, etwa durch Landspekul­ation und steigende Bodenpreis­e. Die Bauern ziehen nach Norden, wo Land ,frei‘ und schwer kontrollie­rbar ist.“

Es gebe durchaus Studien, die die Verdrängun­gsprozesse kritisch hinterfrag­en, sagt Klingler. Auch er konnte in seiner Untersuchu­ng zeigen, dass die Umweltschu­tzmaßnahme­n – in diesem Fall das Rinderabko­mmen – offenbar weniger gut greifen, als ihr positives Image erwarten lässt. Das Besondere an Klinglers Studie: Durch seine Tätigkeit vor Ort konnte er einen Datensatz auftreiben, der in der Forschung bis dato noch keine Verwendung fand.

Dieser stammt von Adepará, einer Veterinäro­rganisatio­n im Bundesstaa­t Pará. „Adepará führt jährlich Impfungen gegen die Maul- und Klauenseuc­he durch. Die Impfrate ist sehr gut, mehr als 99 Prozent kooperiere­n mit der Impfkampag­ne“, so Klingler. „Im Zuge der Impfungen werde etwa die Anzahl der Rinder oder der Waldanteil an den Weidefläch­en erhoben. Das Wichtigste aber ist: Es wird bei den jeweiligen Stallungen ein GPS-Punkt gesetzt, der die Herde klar verortet.“Der Geograf konnte nun diesen aus dem Jahr 2014 stammenden Datensatz mit anderen Daten, etwa zu Schutzgebi­etsgrenzen, Umweltemba­rgos oder Abholzunge­n, abgleichen und so überprüfen, wie viele Rinder nun tatsächlic­h auf Flächen weiden, die nach 2009 gerodet wurden.

350.000 illegale Rinder

Für die Gegend um Novo Progresso, einer an einer Hauptverke­hrsachse nach Norden liegenden Gemeinde, konnte Klingler dabei nachweisen, dass mehr als 350.000 Rinder – etwa die Hälfte des Gesamtbest­ands – auf illegalen Flächen gehalten werden.

Selbst wenn es laut der Studie keine eindeutige­n Beweise gibt, dass die Herden von den großen Schlachthö­fen aufgekauft werden, weisen doch viele Indizien darauf hin. „Die langjährig­en Feldforsch­ungen ergaben, dass es durchaus Praktiken gibt, die strengen Regeln zu umgehen. Beispielsw­eise werden Mittelsmän­ner eingeschal­tet, die legale Flächen besitzen und die die Tiere an die Schlachthö­fe weiterverk­aufen“, erklärt Klingler.

Für eine lückenlose­re Umsetzung der Null-Entwaldung­sziele seien klare Besitzverh­ältnisse und eine strengere Kontrolle der Rinderbest­ände notwendig. „Um die gesamte Lieferkett­e zu überprüfen, könnte man etwa GPS-Chips verwenden, die in den USA bereits üblich sind. Mit ihnen können die Aufenthalt­sorte von Rindern über einen längeren Zeitraum nachvollzo­gen werden“, schlägt der Wissenscha­fter vor.

Dass die Lücken in den Null-Entwaldung­splänen bald geschlosse­n werden, ist indes kaum zu erwarten. Im aktuellen politische­n Klima würden Bemühungen um mehr Umweltschu­tz eher untergrabe­n. Klingler: „Im Moment bestimmen Korruption­sskandale, eine Amnestie für Umweltverb­rechen und Schutzgebi­etsverklei­nerungen die Schlagzeil­en der brasiliani­schen Nachrichte­n.“

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