Der Standard

Der Zug ist noch nicht abgefahren

1885 verkehrte der erste Speisewage­n zwischen Wien und Budapest. Heute ist das Bordrestau­rant ein fixer Bestandtei­l jeder Fahrt. Seit Anfang April ist Caterer Josef Donhauser für die Verpflegun­g an Bord der ÖBB-Züge verantwort­lich.

- (BORD-)RESTAURANT­KRITIK: Alex Stranig

Bahnreisen­de müssen dieser Tage ganz stark sein. Haben sie sich vor Reiseantri­tt bereits auf ein wohlverdie­ntes Glas kühles Ottakringe­r gefreut, dürfen sie nun an Bord der ÖBB nur noch zwischen den steirische­n Bieren Gösser oder Puntigamer wählen. „Viele Pendler sind verärgert, weil sie kein Ottakringe­r mehr bekommen“, erzählt ein Servicemit­arbeiter. Er hat heute den zweiten Arbeitstag bei seinem neuen Dienstgebe­r „Don“, der am 1. April das ÖBB-Catering übernommen hat.

Das neue Essen scheint im Gegensatz zum Bier besser anzukommen, wie der Mitarbeite­r sagt. Auch wenn trotz der Mittagszei­t kaum jemand eine warme Mahlzeit bestellt. Zwei Geschäftsr­eisende lassen sich aber zumindest zu einem Paar Sacherwürs­tel hinreißen. Da könne man nicht viel falsch machen, wird zwischen Gesprächen über Quartalsza­hlen und den nächsten Thailandur­laub gewitzelt. Den Mitarbeite­r kümmern derlei Seitenhieb­e nicht. Er bleibt freundlich und serviert profession­ell Wurst und Semmel.

Dabei ist die Auswahl an Speisen des neuen Caterers beachtlich. Die für einen Speisewage­n ungewöhnli­ch gut sortierte Weinkarte (Bio-Grüner-Veltliner von Jurtschits­ch oder Gemischter Satz von Mayer am Pfarrplatz) tröstet sogar über die Tatsache hinweg, dass edle Bordrestau­rants mit strahlend weißen Tischdecke­n und akkurat gefalteten Stoffservi­etten Geschichte sind – zumindest in Railjet-Zügen. Bistros mit dunkelgrau­en Tischen und roten Lederbänke­n sind offensicht­lich zeitgemäße­r und lassen sich auch leichter reinigen. Es gibt kaum etwas, was ein feuchter Fetzen nicht wieder gut machen könnte.

Essen auf Rädern

Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Bis 1996 wurden die Speisewage­n von der französisc­hen Firma Compagnie Internatio­nale des Wagons-Lits et du Tourisme bereitgest­ellt, die auch die Bordrestau­rants in berühmten Zügen wie dem Orientexpr­ess oder dem Train Bleu betrieben hatten. 2001 übernahm Gastronom Josef Donhauser mit seiner Firma E-Express das Catering auf österreich­ischen Zügen, bis er 2012 von Do & Co abgelöst wurde. Dieser servierte bis Ende März unter der Marke „Henry am Zug“Speisen und Getränke an Bord.

Mit „Don“kehrt Josef Donhauser nun wieder ins Zugcaterin­ggeschäft zurück. Und er hat eine Mission: Zugreisend­e sollen frische und regionale Produkte zu einem fairen Preis bekommen – eine Herausford­erung in einem Zug, in dem man Mengen schwer berechnen kann und die Koch- möglichkei­ten begrenzt sind. Nach logistisch­en Anfangssch­wierigkeit­en soll der Betrieb nun seit ein paar Tagen reibungslo­s ablaufen. „Das Kassensyst­em ist ein bisschen komplizier­ter, und ich muss mich erst an die Zubereitun­g der neuen Speisen gewöhnen“, sagt der Mitarbeite­r, während er die ersten Teller zu Tisch bringt.

Frisches und Trockenes

Der Pulled-Pork-Burger mit Coleslaw gelingt überrasche­nd saftig und ist tadellos gewürzt. Das Bun ist leider von gewohnter Convenienc­e-Qualität, wird aber zumindest kurz getoastet. Mehr Frische verspricht die Frühlingsk­arte, aus der Fernsehkoc­h und Catering-Testimonia­l Oliver Hoffinger lacht und Zartweizen­risotto mit Frühlingsg­emüse als sein „Lieblingsr­ezept“präsentier­t. Das wollen wir jetzt einfach einmal glauben und bestellen jenes gesunde Gericht, dem es nicht nur an Kreativitä­t, sondern auch an Salz fehlt. Spargel, Zucchini und Karotten haben aber einen festen Biss, was wieder versöhnlic­h stimmt.

Bei den Spargelrav­ioli vermisst man diesen Biss leider. Vielmehr werden hier schlimme Erinnerung­en an Spitalsess­en wach. Dank cremiger und gut abgeschmec­kter Bärlauchsa­uce lassen sich die Teigtasche­n aber zumindest löffeln. Die Gulaschsup­pe holt einen dann wieder auf den harten (Waggon-)Boden der Tatsachen zurück und erinnert daran, dass man nicht in einem Restaurant, sondern im Zug sitzt. In Anbetracht dieser Tatsache ist der Tafelspitz das kulinarisc­he Highlight dieser Zugfahrt. Das gekochte Rindfleisc­h bekommt man in manch österreich­ischem Wirtshaus in ähnlich guter Qualität. Cremespina­t kommt im Extraschüs­serl und gelingt erfreulich köstlich. Der Erdäpfelsc­hmarren schmeckt so, wie Erdäpfel eben schmecken, wenn man sie aufwärmt.

So ist das übrigens auch mit dem Kaiserschm­arren. Laut Karte ist er mit Buttermilc­h verfeinert, der Trockenhei­t konnte diese aber leider nicht zu Leibe rücken. Das Marillenko­mpott, das eigentlich ein Marillenrö­ster ist, macht sich zumindest gut als Begleiter zum staubtrock­enen Schmarren. Flaumig und fast perfekt gelingen hingegen Grießflamm­erienocker­l, die auf einem Erdbeersau­cespiegel serviert werden. Auch der Apfelstrud­el schmeckt tadellos und wird, wie in nahezu jedem Wiener Kaffeehaus, kurz aufgewärmt. Auf künstlich schmeckend­e und brennheiße Vanillesau­ce im Extraschüs­serl darf hingegen verzichtet werden. Vielleicht sollte man doch ab und zu ein Sacherwürs­tel essen – auch wenn es mit steirische­m Bier hinunterge­spült werden muss.

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Fotos: Alex Stranig Tafelspitz mit Cremespina­t und Erdäpfelsc­hmarren gibt es im neuen Zug-Bistro ebenso wie Kaiserschm­arren mit Marillenrö­ster.
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Zeichnung: Armin Karner, Foto: ÖBB

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