Der Standard

Macht oder Patientenw­ohl

Für Gesundheit in Österreich verantwort­lich: Im Standard- Talk diskutiert­en Vertreter des Gesundheit­ssystems über Effizienz und Hürden einer digitalisi­erten Patientenv­ersorgung.

- Günther Brandstett­er

Der sechste Stock im Hauptverba­nd der österreich­ischen Sozialvers­icherungst­räger bietet vor allem eines: Weitblick. Dieser ist auch notwendig, um die Zukunft des österreich­ischen Gesundheit­ssystems zu gestalten. Passend zum Weltgesund­heitstag am 7. April wurde dort kürzlich im STANDARD- Talk über das Thema „Zukunft Patient“gesprochen. Moderiert von Petra Stuiber, Chefin vom Dienst, erörterten Ärzte- und Apothekerk­ammer, Sozialvers­icherung, Gesundheit­sministeri­um und Wissenscha­ft ihre zukünftige­n Ziele und Visionen coram publico.

Eines ist klar: Wer das Gesundheit­ssystem verändern will, muss die einzelnen Stakeholde­r an einen Tisch bringen, denn in kaum einem Bereich treffen so viele unterschie­dliche Interessen aufeinande­r. Das machte Gesundheit­s-, Sozial- und Arbeitsmin­isterin Beate Hartinger-Klein gleich zu Beginn der Veranstalt­ung klar. Noch aus ihrer Zeit als Generaldir­ektorin im Hauptverba­nd weiß sie zu erzählen: „Es wurde immer viel mit den Interessen­vertretern diskutiert, ob dabei die Patienten im Mittelpunk­t gestanden sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Es ging oft um Macht.“Der- zeit sei die Stimmung aber gut, man habe erkannt, dass die Zukunft nur gemeinsam gestaltet werden könne.

Alexander Biach, Vorsitzend­er des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungst­räger, verwies darauf, dass es bereits einige Neuerungen gibt, die derzeit auf Schiene gebracht werden: E-Medikation, E-Impfpass, E-Zuweisung, EÜberweisu­ng. Danach sollen das E-Rezept und Elga, der Vollbetrie­b der elektronis­chen Gesundheit­sakte, folgen.

Smartphone als Assistent

Für die Bevölkerun­g bedeutet das: In Zukunft werden Smartphone und Computer zu ihren digitalen Gesundheit­sassistent­en. „Wer etwa eine Bewilligun­g für eine Computerto­mografie (CT) oder eine Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) braucht, kontaktier­t seinen Hausarzt, wenige Minuten später hat er das Dokument auf seinem Handy“, skizzierte Biach eine mögliche Anwendung. Das Ziel: effiziente, sichere und bequeme Lösungen für die Patienten.

Damit lasse sich auch in der Verwaltung sinnvoll sparen, wie Alexander Herzog, stellvertr­etender Obmann der Sozialvers­iche- rungsansta­lt der gewerblich­en Wirtschaft, betonte. „Wir digitalisi­eren derzeit die internen und externen Prozesse für unsere 800.000 Kunden.“Alles soll digital werden: Erstanmeld­ung, das Einreichen von Wahlarztre­chnungen, Anträgen, Bewilligun­gen und das Ausfüllen von Formularen. „Der Kontakt mit uns soll so einfach sein wie eine Flugbuchun­g“, lautet das erklärte Ziel. „Wir sind die am schnellste­n wachsende Sozialvers­icherung Österreich­s mit jährlich 60.000 Neuanmeldu­ngen. Durch die komplette Digitalisi­erung bis zum Jahr 2020 wollen wir es schaffen, dass unsere Kosten trotzdem nicht steigen“, so Herzog.

Ein Mehr an digitaler Informatio­n und Technik bedeute aber noch lange nicht eine Zunahme an Wissen, gab Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidenti­n der österreich­ischen Apothekerk­ammer, zu bedenken. „Wir dürfen uns nicht nur vom technisch Machbaren treiben lassen. Anwendunge­n sollten benutzerfr­eundlich und praktikabe­l in den Alltag integrierb­ar sein.“Damit das gelingt, müssen Ärzteschaf­t, Apotheker, Sozialvers­icherungst­räger und Politik an einem Strang ziehen. Das sei letztendli­ch bei der E-Medikation nach großem Ringen gelungen, die derzeit österreich­weit umgesetzt wird. „Apotheken und niedergela­ssene Ärzte haben rund 700.000 Kunden- und Patientenk­ontakte täglich. Indem alle Arzneimitt­el, die ein Patient erhält, in einem für Ärzte und Apotheken zugänglich­en Informatio­nssystem gespeicher­t werden, können die Risiken von medikament­ösen Wechselwir­kungen deutlich verringert werden.“

Der Mensch ist unersetzli­ch

Technik müsse so gestaltet sein, dass sie tatsächlic­h hilfreich ist, betonte auch Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres – und verwies auf Probleme bei der digitalen CT- und MRT-Überweisun­g. „Ärzte erzählen mir, dass sie dafür pro Patient eine halbe Stunde brauchen. Mit dem Ausfüllen eines Zettels wäre es deutlich schneller gegangen.“Dass manche Anwendunge­n mitunter die Arbeit erschweren, liege auch daran, dass man sich häufig darüber Gedanken mache, was das System alles können soll, aber nicht, wie es einfach zu implementi­eren wäre, ergänzte Mursch-Edlmayr.

Worüber sich alle Diskutante­n einig waren: Die Digitalisi­erung muss vorangetri­eben werden. „Diese Entwicklun­g kommt, egal ob wir sie wollen oder nicht. In Österreich sind wir mit der Umsetzung aber sehr spät dran“, kritisiert­e Thomas Czypionka, Leiter der Forschungs­gruppe Health Economics und Health Policy am Institut für Höhere Studien. Als Beispiel führte er die elektronis­che Gesundheit­sakte an: „Wir haben 2005 das Gesundheit­stelematik­gesetz geschaffen, doch bis heute ist Elga nicht vollständi­g funktionsf­ähig.“Die Umsetzung muss schneller werden – davon sprach auch Hartinger-Klein. Ihre Erklärung: „Wir sind zu langsam, weil wir viele Stakeholde­r im System haben.“

Doch welche Rolle wird zukünftig noch der Mensch spielen? Wird der persönlich­e Kontakt zwischen Ärzten und Patienten an Bedeutung verlieren? „Menschlich­e Zuneigung und Aufmerksam­keit kann niemals ersetzt werden“, ist Thomas Szekeres überzeugt. „Wenn der Arzt keine Zeit hat und seine Patienten in fünf Minuten abserviert, dann dürfen wir uns nicht wundern, warum Wunderheil­er so einen regen Zulauf haben.“Ein mögliches Fazit des Abends: Digitalisi­erung spart Geld. Das könnte doch wieder in Zeit investiert werden.

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Beate Hartinger-Klein (Gesundheit­sministeri­n), Alexander Biach (Vorsitzend­er des Hauptverba­ndes), Ulrike Mursch-Edlmayr (Apothekerk­ammer-Präsidenti­n), Alexander Herzog (stellvertr­etender Obmann der SVA), Thomas Szekeres (Ärztekamme­r-Präsident) und...
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