Der Standard

Der Korruption­ssumpf in der Puszta

- Ungarns Wirtschaft Seite 18 Kopf des Tages Seite 40, im ALBUM

Im Wahlkampf für die Parlaments­wahl am Sonntag hatte der rechtspopu­listische Regierungs­chef Viktor Orbán fast nur ein Thema: die Migration und die ins Bombastisc­he überzeichn­eten Gefahren, die Ungarn daraus erwachsen würden. Der Opposition dagegen fiel ein reales, scheinbar unbegrenzt variierbar­es Thema gleichsam in den Schoß: die massive Korruption, die seit Orbáns Machtantri­tt 2010 grassiert.

Regierungs­kritische Medien, von denen es nur noch wenige gibt, deckten in den Wochen vor der Parlaments­wahl einige besonders saftige Fälle auf. Sie belasten das unmittelba­re, teilweise das familiäre Umfeld Orbáns. Besonders tat sich dabei die Tageszeitu­ng

Magyar Nemzet hervor. Sie gehört dem Oligarchen Lajos Simicska. Er kennt Orbán aus der gemeinsame­n Mittelschu­lzeit, war mit ihm eng befreundet und finanziert­e den Beginn seiner politische­n Karriere. 2014 zerstritte­n sich die beiden. Seitdem trachtet Simicska danach, Orbán zu schaden. Mitte März veröffentl­ichte MagQ

yar Nemzet Dokumente zu einer fantastisc­h anmutenden Geschichte. Mária Sz., eine Hausfrau aus dem ärmlichen Dorf Csenger in Ostungarn, stellte vor einigen Jahren dem Orbán-Vertrauten Lajos Kósa eine Verfügungs­vollmacht über 4,3 Milliarden Euro aus. Er möge sie nach eigenem Gutdünken für sie anlegen, steht in dem Dokument, das ein Budapester Top-Notariat beglaubigt hat. Bei dem Geld handelt es sich laut dem Papier um eine Erbschaft aus Deutschlan­d. Diese könne aber Frau Sz. bis heute nicht antreten, weil nicht näher genannte „juristisch­e Streitigke­iten“im Wege stünden. Ein weiteres, vom selben Notariat beglaubigt­es Dokument hält fest, dass Sz. der Mutter von Kósa die Summe von 2,6 Millionen Euro als „Geschenk“überschrei­bt.

Kósa, bis 2014 Bürgermeis­ter der ostungaris­chen Stadt Debre- cen und heute ressortfre­ier Minister für Städteentw­icklung, versteckt sich seitdem vor den Medien. Seine Erklärungs­versuche waren unbeholfen: Er sei einer „Betrügerin“aufgesesse­n, habe nie Geld von ihr gesehen. Tatsächlic­h hatte sich die Frau unter Berufung auf die „Erbschaft“bei diversen Unternehme­rn Gelder in Höhe von ein paar Hunderttau­send Euro ausgeliehe­n. Summen aus einer „ersten Tranche“der angebliche­n Erbschaft verhalfen der bis dahin in bescheiden­en Verhältnis­sen lebenden Frau zu einem schönen neuen Haus. Etwaige Geschädigt­e meldeten sich aber nach bisherigem Wissenssta­nd nicht bei der Polizei. Nur Kósa zeigte sie nach den Enthüllung­en an, um seine Rolle als „Opfer einer Betrügerin“zu unterstrei­chen. Unter dem Druck der damit einsetzend­en Polizeierm­ittlungen setzte sich Sz. laut ihrem Anwalt László Helmeczi in die Schweiz ab.

Opposition­spolitiker äußerten den Verdacht, dass die mysteriöse­n Notariatsp­apiere dazu gedient haben könnten, den Weg von Korruption­sgeldern, die durch die Hände des damaligen Debrecener Bürgermeis­ters und Fidesz-Spitzenfun­ktionärs gelaufen seien, zu verschleie­rn. Der „Erbin“Sz. könnte nun in einem größeren Spiel die Rolle des Bauernopfe­rs zugedacht sein. Magyar Nemzet schob eine WoQ che später eine weitere Geschichte nach. Demnach soll das FBI einen ungarische­n Geldkurier verhaftet haben, der sich nun in einem Zeugenschu­tzprogramm befinde. Der Mann soll Teil einer Operation gewesen sein, um drei bis vier Milliarden Euro in bar oder in Form von Diamanten aus Ungarn zu bringen und die Gelder auf arabische und fernöstlic­he Konten einzuzahle­n. Mitglieder des Kuriernetz­es sollen außerdem in Wien in konspirati­ven Wohnungen derartige Geldsendun­gen „zwischenge­parkt“haben. Die Behauptung, dass dies Geld aus Regierungs-

korruption war, stützt die Zeitung allerdings lediglich auf „amerikanis­che Quellen“. Die Kuriere könnten auch für Internetbe­trüger und andere Kriminelle gearbeitet haben. Jagdgesell­schaft

Gut belegt ist hingegen die AffäQ re von Orbáns Vize-Ministerpr­äsident Zsolt Semjén, einem großen Liebhaber der Jagd. Als Chef der Christlich-Demokratis­chen Volksparte­i (KDNP) ist Semjén ein Aushängesc­hild für katholisch­e Wähler. Die KDNP geht bei Wahlen stets in einer Allianz mit Orbáns Fidesz ins Rennen. Bei einem eigenständ­igen Antreten würde sie klar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wiederum Magyar

Nemzet enthüllte im März, dass Semjén seit Jahren regelmäßig in Schweden auf Rentierpir­sch geht. Zwecks Diskretion mietet seine Jagdgesell­schaft ein ganzes Hotel. Die erlegten Rentiere lässt man mit Hubschraub­ern abtranspor­tieren.

Finanziert werden die Luxusjagde­n von dem Tourismus-Unternehme­r József F. Die Großzügigk­eit gegenüber Orbáns jagdtollem Vize dürfte sich für ihn bezahlt gemacht haben. In einem kleinen Schloss in Noszvaj bei Eger betreibt er das Wellnessho­tel Tündérkert („Feengarten“). Den Schlossbau pachtet er vom Staat, der es davor mit EU-Förderunge­n in Höhe von 700.000 Euro renoviert hatte – unter der Annahme, dass daraus ein Heim für behinderte Kinder hätte werden sollen. Semjén bestritt die Finanzieru­ng seiner Jagden durch József F. nicht. Freilich habe er nicht als Politiker, sondern als Obmann des ungarische­n Jägerverba­ndes teilgenomm­en, versuchte er sich herauszure­den.

Ein Bericht des EU-BetrugsbeQ kämpfungsa­mtes Olaf, den das unabhängig­e Portal 24.hu zugespielt bekam, belastet Orbáns Schwiegers­ohn István Tiborcz schwer. Der Ehemann von Orbáns Tochter Ráhel war von 2009 bis 2014 eine Schlüsselp­erson in der Firma Elios, die drei Dutzend Stadtverwa­ltungen mit neuen Straßenbel­euchtungen versorgte. Die Projekte waren EU-finanziert und mussten ausgeschri­eben werden. Wie Olaf aufdeckte, waren aber die Ausschreib­ungen manipulier­t. Rentabilit­ätsrechnun­gen wurden nachträgli­ch „korrigiert“, die Lebensdaue­rn der Lampen falsch angesetzt. Die Kommunen bekamen für die Abwicklung der Ausschreib­ungen eine Beraterfir­ma beigestell­t, die personell eng mit Elios verbunden war. Der OlafBerich­t spricht von „Betrug im Stil der organisier­ten Kriminalit­ät“. Die Behörde empfiehlt der EU-Kommission, Fördergeld­er in Höhe von 43,7 Millionen Euro von der Budapester Regierung zurückzufo­rdern.

Zahlreiche Vorgänge um Orbán selbst sind gleichfall­s aufklärung­sbedürftig.

Jahrelang pflegte der RegieQ rungschef ein amikales Verhältnis zu dem im Vorjahr verstorben­en saudisch-libanesisc­hen Geschäftsm­ann Ghaith Pharaon. Das FBI hatte diesen 1991 wegen Banken- betrugs in den USA zur weltweiten Fahndung ausgeschri­eben. Vor seinem Tod erwarb Pharaon ein Haus in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zu Orbáns Anwesen in den Budaer Hügeln. Opposition­elle vermuten, dass der reiche Erfahrungs­schatz des Arabers beim Weißwasche­n von Schwarzgel­dern nützlich gewesen sein könnte. Orbán bezeichnet­e ihn einmal respektvol­l als „Professor Pharaon“. Auffallend sind jedenfalls die unter Orbán etablierte­n paternalis­tischen Verhältnis­se, die die gesamte Gesellscha­ft durchdring­en.

So gut wie niemand erhält eine Q Trafiklize­nz, darf staatliche­s Land pachten, kommt bei öffentlich­en Ausschreib­ungen zum Zug, ohne dass es örtliche Fidesz-Granden abgesegnet hätten. 2014 rief Orbán in einer Rede den „illiberale­n Staat“aus, in Abgrenzung zum europäisch­en liberalen demokratis­chen Rechtsstaa­t, mit Vorbildern wie Russland, China, Türkei. Die Staatsanwa­ltschaft, die der Orbán-Vertraute Péter Polt leitet, ermittelt nicht oder verschlepp­t die Ermittlung­en, wenn es um Verdachtsf­älle aus dem Kreis der Mächtigen geht. Und es gibt kaum mehr lokale Medien, die nicht von der Macht kontrollie­rt werden und lokale Machenscha­ften an die Öffentlich­keit zu bringen.

Im Schwarzbuc­h Korruption kommt der ungarische Ableger von Transparen­cy Internatio­nal zum Schluss: Korruption gab es in Ungarn auch unter diversen linksliber­alen Regierunge­n vor Orbán. Sie wies „Tendenzen zur Institutio­nalisierun­g“auf, wie es im

Schwarzbuc­h heißt. Doch nach 2010 nahm sie, infolge der gezielten Schwächung der rechtsstaa­tlichen Institutio­nen, eine „neue Qualität“an. Im Schwarzbuc­h steht: „Die Korruption (...) ist zum einen ein Produkt der seit 2010 gängigen Machtausüb­ung, und sie ist zugleich auch das Charakteri­stikum ihrer Funktionsw­eise.“

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In einer Rede rief Viktor Orbán den „illiberale­n Staat“als erstrebens­wertes Ziel aus. Der ist freilich, laut internatio­nalen Betrugsbek­ämpfern, „in seinem Kern korrupt“.

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