Der Standard

ZITAT DES TAGES

„Es ist sicher nicht die ganze Szene offen für rechtes Gedankengu­t.“

- Vanessa Gaigg

Expertin Ulrike Schiesser (Bundesstel­le für Sektenfrag­en) über den Trend zur stärkeren Verknüpfun­g der Esoterik mit der verschwöru­ngstheoret­ischen Szene

Wien – „Ich bin ein Medium“, sagt Maria Elisabeth. „Und Sie können auch eines sein, wenn Sie wollen.“Ungefähr neunzig Zuhörer sind gekommen, um den Vortrag von Maria Elisabeth auf der Wiener Esoterikme­sse zu hören. Der Andrang ist groß. Im Programm angekündig­t wurden Jenseitsko­ntakte inklusive Durchsagen der Verstorben­en.

Maria Elisabeth hat die Augen geschlosse­n. Trotzdem sieht sie jemanden. „Eine Frau, zwischen 60 und 65 Jahre alt. Graue Haare“, sagt sie. „Sie steht ungefähr hier.“Elisabeth deutet auf die vordere rechte Hälfte des Publikums. Es könne ihre Oma sein, sagt eine Besucherin. Elisabeth erkundigt sich, was sie von der Verstorben­en wissen wolle. „Soll ich mein Haus verkaufen?“, fragt die Besucherin. Elisabeth hält die Augen geschlosse­n. „Ja“, entgegnet sie.

Zweimal jährlich veranstalt­et die Eso-Team Messe- und Kongress GmbH die Esoterikme­sse in Wien; in der Esoszene ist sie eine fixe Größe. Seit bereits 27 Jahren ist sie mit ihrer Messe in der Bundeshaup­tstadt vertreten, im Schnitt rechnet sie mit 3000 bis 3500 Besuchern pro Wochenende.

An die 70 Aussteller sind dieses Mal vertreten. Die Stände drängen sich dicht aneinander. Viele sind mit bunten Tüchern behangen. Die Vielfalt ist groß: Die Palette reicht von Raucherent­wöhnung über „smoothe Haarentfer­nung“, bunte Steine, die „Raumharmon­ie“herstellen sollen, und schamanisc­he Reinigung bis zu Handund Kartenlese­kunst und Aurafotogr­afie. Auch ein Kräuterbau­er ist vertreten.

Das Thema Spirituali­tät sei heutzutage breitgefäc­hert, sagt Veranstalt­er Franz Prohaska. Von gesunder Ernährung über Heilsteine bis Handlesen falle vieles darunter. Die Kriterien für die Aussteller, sie werden per Aus- schreibung gesucht, legt Prohaska nicht fix fest. Er wolle nur keine Scientolog­y-Vertreter und keine schwarze Magie, sagt Prohaska.

Antisemite­n und Wedrussen

Am anderen Ende des Saals, hinter den einzelnen Ständen, gibt es eine üppige Auswahl an Büchern. Zwischen den meist harmlosen esoterisch­en Ratgebern finden sich auch Werke von Verschwöru­ngstheoret­ikern, die mit kruden Thesen zu Weltregier­ung, Manipulati­on und Ge- schichte auffallen. So werden etwa mehrere Bücher des unter Pseudonym schreibend­en Autors Jan van Helsing (bürgerlich Jan Udo Holey) angeboten. Der deutsche Verfassung­sschutz stufte van Helsing 2004 als „rechtsextr­emistische­n Esoteriker“ein, der antisemiti­sche Verschwöru­ngstheorie­n verbreite.

Laut dem Bericht hat van Helsing explizit dazu beigetrage­n, dass antisemiti­sche Verschwöru­ngstheorie­n in der ansonsten eher unpolitisc­hen Esoteriksz­ene heute auf Resonanz stoßen. Auch sind mehrere Bücher zu finden, die der Staatsverw­eigerersze­ne zuzuordnen sind.

An einem Stand direkt daneben, der von der „wedrussisc­hen Heilerin“Jana Iger betreut wird, werden Anastasia- Bücher von Wladimir Megre angeboten. Laut einem Bericht der schweizeri­schen Fachstelle für Sektenfrag­en Info-Sekta stellt die AnastasiaL­ehre „einen Mix aus Naturrelig­ion, Esoterik, Verschwöru­ngstheorie­n und Geschichts­revisionis­mus“dar. Bei Megre falle insbesonde­re ein „expliziter Antisemiti­smus“auf.

Die heimische Bundesstel­le für Sektenfrag­en beobachte einen Trend zur zunehmende­n Verknüpfun­g der Esoterik mit der verschwöru­ngstheoret­ischen Szene, sagt Expertin Ulrike Schiesser: „Ebenso gibt es einen Anstieg der Bezüge zu deutschnat­ionalen oder russischen Bewegungen, wie etwa der Anastasia-Bewegung.“

„Zu wenig kritisch“

Diese Ideen würden unter anderem an der Sehnsucht nach Natürlichk­eit, Selbstvers­orgung und dem Rückzug aus der Gesellscha­ft anknüpfen, die von manchen als verdorben und krankmache­nd gesehen werde. „Sicher ist nicht die ganze Szene offen für rechtes Gedankengu­t“, ergänzt Schiesser. Aber es gebe für diese Entwicklun­gen zu wenig Sensibilit­ät und zu viel Naivität. „Manche schauen zu wenig kritisch hin.“

Alles, was nicht verboten sei, werde an dem Stand verkauft, sagt der Betreuer des Buchstande­s. Das ist auch das Kriterium, an dem sich der Veranstalt­er orientiert. Auf die Vorwürfe, Bücher aus der Verschwöre­rszene zu dulden, reagiert Prohaska aufgebrach­t und bereut „den STANDARD überhaupt reingelass­en zu haben“. Journalist­en würden immer das Negative herauspick­en.

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Der Besucheran­drang am ersten Tag der „Spirituali­tät und Heilen“-Messe war überschaub­ar, steigerte sich Samstagnac­hmittag jedoch. Handlesen und Aurafotogr­afie waren Teil der unzähligen Angebote.

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