Rekordbeteiligung bei Parlamentswahlen in Ungarn
Viktor Orbán wird wohl zum dritten Mal Ungarns Ministerpräsident. Der Andrang an den Wahllokalen war enorm, Wahllokale mussten länger offenhalten. Ein Indiz dafür, dass viele Ungarn unzufrieden sind.
Lange Schlangen vor den ungarischen Wahllokalen prägten am Sonntag das Bild in Österreichs Nachbarland. Um 18.30 Uhr hatten bereits 68 Prozent der insgesamt acht Millionen Wahlberechtigten abgestimmt. Auch die Auslandsungarn strömten zu den Urnen. Mehr als 90 Prozent der zur Wahl registrierten im Ausland arbeitenden Staatsbürger gaben ihre Stimmen ab. Die Website des ungarischen Nationalen Wahlbüros (NVI) war am Tag der Parlamentswahlen wegen Überlastung nicht erreichbar. Ob es Viktor Orbán oder der Opposition gelungen war, die Wähler zu mobilisieren, war am Sonntagabend die große Frage. Für Orbáns Partei Fidesz stand die absolute Mehrheit auf dem Spiel. Der Rechtspopulist hatte den Urnengang am Sonntag noch zur „Schicksalswahl“hochstilisiert.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán stand am Sonntag früh auf. Mit Ehefrau Anikó war er einer der Ersten, die am Morgen in seinem Wahllokal im Budaer Grünviertel Zugliget die Stimme abgaben. „Es geht um die Zukunft“, sagte er in die Kameras. „Wir wählen nicht nur Parteien, nicht nur eine Regierung, nicht nur einen Ministerpräsidenten, sondern eine Zukunft für uns.“Der Rechtspopulist hatte den Urnengang am Sonntag zur „Schicksalswahl“hochstilisiert. Die Botschaft war simpel wie fragwürdig zugleich: Entweder ich bleibe an der Macht, oder Migranten überschwemmen Ungarn. Dann werde es kein Geld mehr für Renten und Familienbeihilfen geben.
Die Ungarn schienen sich am Wahltag der Bedeutung ihres Votums bewusst zu sein. Die Wahlkommission registrierte eine Rekord-Wahlbeteiligung. Wahllokale mussten länger offenhalten, um allen Wählen, die bis 19 Uhr MEZ eingetroffen waren, die Abgabe ihrer Stimmen zu ermöglichen. Um 20 Uhr MEZ warteten immer noch tausende. Ob es die Opposition war, die besser mobilisieren konnte, oder die Fidesz-Partei von Viktor Orbán, war am Abend noch unklar. Für Fidesz stand die absolute Mehrheit auf dem Spiel.
Dritte Amtszeit
Die Perspektiven bei einer weiteren Amtszeit Orbáns sind für die, die nicht seine Fans sind, düster. Er wird wohl versuchen, die letzten unabhängigen Medien unter die Kontrolle seiner Oligarchen zu bringen, vor allem den Privat-TVSender RTL Klub, eine Tochter der RTL-Gruppe. Er wird daran arbeiten, die noch relativ unabhängig agierenden Richter unter seine Kontrolle zu bringen. Innerhalb der EU wird er nicht nur jede auf Solidarität gegründete Asylpolitik torpedieren, sondern sich auch gegen die weitere Integration der Union stemmen und dafür Mitstreiter unter anderen Ländern mit euroskeptischen Regierungen mobilisieren. In einer Rede am Nationalfeiertag am 15. März hatte er politischen Gegnern „Genugtuung“angedroht, was im Kontext so viel wie Vergeltung bedeutete. Den Wahlkampf bestritten Orbán und seine Kandidaten ohne irgendein Regierungsprogramm. Die Kam- pagne war allein auf seine Person zugeschnitten. Was er bei einer Neuauflage seiner Regierung vorhat, ist ohnehin klar: die weitere Ausgestaltung der „Demokratur“.
Bei zuletzt guten Wirtschaftsdaten, die die Konjunktur in der gesamten Region reflektierten, ist Ungarns Bevölkerung, was Orbáns Kurs betrifft, stark polarisiert. Die Opposition ist heterogen, sie reicht von der linken Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) bis zur rechtsradikalen Jobbik (Die Besseren), die unter Parteichef Gábor Vona zuletzt eine gemäßigtere Rhetorik pflegt.
Trotz schwacher Opposition sorgte Orbán vor. Mit der Wahlrechtsreform nach 2011 schnitt er das System in autokratischer Manier auf seine Bedürfnisse zu. Der Anteil der Direktmandate stieg. Die zweite Runde in den Direktwahlkreisen wurde gestrichen – bis dahin waren mindestens drei Kandidaten in diese gekommen, was es den Parteien erlaubt hatte, Absprachen aufgrund des Erstrundenergebnisses zu treffen. Das Parlament wurde von 386 auf 199 Sitze verkleinert, die neuen Wahlkreise wurden zugunsten Orbáns Partei gezeichnet – Großstädte, die traditionell eher links wählen, wurden aufgeteilt und dem ländlichen Umland zugeschlagen, wo traditionell eher rechts gewählt wird. Die ethnischen Ungarn in Nachbarländern wie Rumänien erhielten nicht nur die Staatsbürgerschaft, sondern auch das Wahlrecht in Ungarn, obwohl sie dort gar nicht wohnen.
Taktisches Wählen
Akteure der Zivilgesellschaft versuchten darauf zu reagieren, indem sie die Oppositionsparteien dazu drängten, in den Direktwahlkreisen möglichst nicht gegeneinander anzutreten. Vor allem die Bewegung Gemeinsames Land des Aktivisten Márton Gulyás und die Gruppe V-18 des ehemaligen Außenministers Péter Balázs setzten sich dafür ein. Dort, wo mehrere Oppositionskandidaten antraten, riefen sie die Bürger dazu auf, ihre Direktstimme dem jeweils aussichtsreichsten zu geben. Da die Bereitschaft zum taktischen Wählen für die Analytiker schwer einschätzbar war, war eine Verteilung der Parlamentsmandate kaum vorherzusagen.