Der Standard

Rauchende Antihelden Seine Filme sind Bollwerke in der Kinolandsc­haft: Das Wiener Filmmuseum zeigt in einer großen Retrospekt­ive die Arbeiten des finnischen Großmeiste­rs Aki Kaurismäki.

- Michael Pekler

Die wahre Superheldi­n des Kinos taucht in keinem Blockbuste­r auf und heißt nicht Wonder Woman. Sie trägt auch keinen Schild, sondern einen Panzer. Er schützt sie vor der Welt da draußen, die es noch nie gut gemeint hat mit ihr. Sie heißt Iris, benannt nach der griechisch­en Göttin des Regenbogen­s.

Doch das einzig Bunte an ihr ist ihr rosafarben­es Haarband, das den blonden Zopf zurückhält. Wenn sie außer Haus geht, steckt ihr dünner Körper auch in keinem hautengen Kostüm, sondern in einem zu großen beigefarbe­nen Mantel. Sie kämpft ohne Waffen, aber weiß sich doch zu wehren – und erträgt dafür am Ende stoisch die Konsequenz­en. Iris ist vielleicht die wunderbars­te Heldin von Aki Kaurismäki.

Mann aus dem Tanzlokal

Das Mädchen aus der Streichhol­zfabrik (1990) ist der ebenso konsequent­e Abschluss und zugleich Höhepunkt der „proletaris­chen Trilogie“des finnischen Autorenfil­mers. Und natürlich denkt man dabei an Andersens Mädchen, das sich mit seinen Schwefelhö­lzern eine Traumwelt ausleuchte­t. Doch statt wie dieses in den Erfrierung­stod zu gehen, nimmt Iris ihr Schicksal in die Hand. Die Eltern, die sich von ihr aushalten lassen; der Mann aus dem Tanzlokal, dem sie nur für eine Nacht gut genug war – sie alle werden am Ende büßen. Und dennoch steht sie bis zuletzt am Fließband und kontrollie­rt Etiketten auf Streichhol­zschachtel­n.

Der Minimalism­us

Woraus besteht eigentlich das Leben? Aus Liebe möglicherw­eise, aus Arbeit gewiss. Und aus dem, was die anderen mit einem machen. Doch was geschieht mit den Schwachen in einer Gesellscha­ft, in der sich nur die Starken durchsetze­n? Die charakteri­stischen Merkmale, mit denen seit vierzig Jahren das Kino von Aki Kaurismäki beschriebe­n wird – seine Lakonie, sein Minimalism­us, die mürrische Schweigsam­keit seiner Figuren, aber auch deren hoffnungsv­olle Romantik –, sind letztlich allesamt Antworten auf diese eine Frage. Denn selbstvers­tändlich geschieht etwas mit den „kleinen Leuten“mit den viel zu großen Gefühlen.

In Zeiten, in denen das sozialkrit­ische europäisch­e Kino alter Schule etwa des Briten Ken Loach gegenüber einem zunehmende­n Sarkasmus – Ruben Östlunds gefeierter Film The Square ist dafür ein Paradebeis­piel – an Terrain und Aufmerksam­keit verliert, wirken die Filme Aki Kaurismäki­s wie Bollwerke in der Kinolandsc­haft.

Und doch sind es keine „realistisc­hen“Milieustud­ien, mit denen etwa die Brüder Dardenne berühmt geworden sind. Kaurismäki­s Arbeiten sind eine eigene, stille Po- esie und subtile Komik eingeschri­eben. Auch deshalb sind seine stets rauchenden, wortkargen Antihelden buchstäbli­ch liebenswer­t. Denn die Arbeiten des unbeugsame­n Finnen erzählen seit seinem an Fjodor Michailowi­tsch Dostojewsk­i angelehnte­n Debüt Schuld und Sühne (1983), in dem ein Fleischhau­er einen kaltblütig­en Mord begeht, um sich am menschenve­rachtenden System zu rächen, vom individuel­len Aufbegehre­n.

Es ist der Geist des Widerstand­s, der die Außenseite­r und Ausgestoße­nen antreibt, die man – wie Iris, die als Letzte und dann natürlich vom Falschen zum Tanz aufgeforde­rt wird – so leicht übersieht.

In einem der optimistis­chsten Filme Kaurismäki­s, Wolken ziehen vorüber (1996), eröffnet ein über Nacht arbeitslos gewordenes Ehepaar sein eigenes Restaurant. Sicher aus Not heraus, aber doch voller Überzeugun­g.

Nostalgie der Räume

Seine Filme sind immer unverwechs­elbar und tatsächlic­h dann auch auf den ersten Blick zu erkennen – so wie die finnische Band Leningrad Cowboys mit ihren Einhornfri­suren und meterlange­n Schuhspitz­en, denen Kaurismäki dann auch seine wenigen kommerziel­len Erfolge verdankt. Das liegt an den nostalgisc­h dekorierte­n Innenräume­n, in denen gern mal eine Jukebox für die typische Kaurismäki-Musik sorgt, aber auch an einem letztlich eingeschwo­renen Team.

Das ist der Kameramann Timo Salminen, der angeblich wortlos jeden einzelnen Kaurismäki-Film in formal strengen Bildern fotografie­rt. Das ist auch Stammschau­spielerin Kati Outinen, für die Kaurismäki eigens

schrieb. Und das war lange Zeit der zu früh verstorben­en Matti Pellonpää, der wie kein anderer das Bild des einsamen Losers prägte. fabrik Das Mädchen aus der Streichhol­z-

Bilder der Klarheit

Doch vor allem sind es diese Bilder von bestechend­er Klarheit und in zumeist satt leuchtende­n Farben, in denen sich die Wünsche der auf sich Zurückgewo­rfenen überaus markant spiegeln. So wie in der blutroten Nelke auf dem Tisch jenes Wachmanns im fulminante­n Film Lichter der Vor

stadt (2006), der von der Femme fatale betrogen wird und unschuldig, aber doch freiwillig ins Gefängnis geht. Erst dort lächelt er ein erstes und einziges Mal. Mit dem Gesicht in der Sonne.

„Hat man alles hingegeben und wird dann betrogen, so ist es schwer, im Leben Erinnerung zu tragen“, besingt die Band das Schicksal des Streichhol­zmädchens. Für manche aber ist das Schicksal einfach die andere Seite der Hoffnung. Bis 3. 5. pwww. filmmuseum.at

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