Spiel der Diktatoren in der Wiege der Demokratie
In der griechischen Super League herrscht Chaos, Investoren genießen Narrenfreiheit. Für Minas Dimitriou aus Saloniki, Sportwissenschafter an der Uni Salzburg, ist der Fußball ein Teufelskreis.
Wien/Athen – „Ivan Savvidis hat den griechischen Fußball um Jahrzehnte zurückgeworfen“, sagt Minas Dimitriou. Der Sportwissenschafter der Universität Salzburg wurde in Saloniki geboren. Jenem Ort im Norden des Landes, an dem PAOKPräsident Savvidis am 11. März nach einem aberkannten Tor mit einem Revolver im Halfter das Spielfeld stürmte. Das Spiel gegen AEK Athen wurde abgebrochen, die Super League für drei Wochen unterbrochen. Dimitriou: „Schiedsrichter dienen gern als Bauernopfer. Manche PAOK-Anhänger sahen den Fehler sogar darin, dass Savvidis die Waffe nicht benützt hat.“
Ausgebrochen sei das Chaos im Hellas-Fußball aber bereits früher, sagt Dimitriou. Die Wirtschaftskrise stürzte die Klubs in finanzielle Abhängigkeiten. Schwerreiche Oligarchen halfen und regieren die „strukturlosen Klubs seither als Diktatoren. Sie können sich alles erlauben, der Sport wurde zur Bühne der Investoren.“Letztere gibt es in der Super League viele. „Entweder man hat Geld oder steckt im Überlebenskampf“, sagt Dimitriou. Savvidis übernahm PAOK 2012. Er besitzt Anteile am Hafen von Saloniki sowie ein Luxushotel und mischt auch im Mediengeschäft mit. Über die schönste Nebensache der Welt konnte er sich die Sympathie des Fußvolkes sichern. Beim Arbeiterklub Olympiakos Piräus hat seit 2010 Evangelos Marinakis das Sagen. Er ist genauso Reeder wie Dimitris Melissanidis, der ist seit 2013 Chef von AEK Athen. Beim bürgerlichen Stadtrivalen Panathinaikos ist Ex-Torhüter Vasilios Konstantinou zwar Präsident, diene aber Giannis Alafouzos – ja, der ist auch Reeder – als „Marionette. Alafouzos hat erst unlängst eine Garantie für die Spielergehälter im Oktober 2017 abgegeben“, sagt Dimitriou. In Österreich sei das unvorstellbar, „Panathinaikos wäre hier längst zwangsabgestiegen. In Griechenland ticken die Uhren anders.“
Liga-Präsident Giorgos Stratos habe nichts zu sagen, die Politik rund um Ministerpräsident Alexis Tsipras wolle nicht eingreifen: „Die Investoren schaffen ja Arbeitsplätze und lenken von politischen Problemen ab.“Stratos und Tsipras hätten jedoch eine Gemeinsamkeit. „Ihnen wird Nähe zu Savvidis nachgesagt. Der Fußball ist nur Mittel zum Zweck. Alle Geldgeber wollen dasselbe: politischen, wirtschaftlichen und sportlichen Einfluss.“Die Herkunft trennt die Fußballbosse. Der in der Sowjetunion, im heutigen Georgien, geborene Savvidis stammt im Gegensatz zu seinen Rivalen nicht aus Griechenland, in Russland war er noch Abgeordneter der Putin-nahen Partei Einiges Russland. „Für den linken Politiker Tsipras ist er unbelastet. Alle anderen sind für ihn Reliquien aus der Vergangenheit, die Mitschuld an der Krise tragen“, sagt Dimitriou.
Marinakis wittere nun „eine Verschwörung gegen Olympiakos“. Nach sieben Titeln in Folge, 19 in den jüngsten 21 Jahren, wird der Rekordmeister (44) leer ausgehen. Aus Frust und als populistische Maßnahme werde eben einfach das ganze Team beurlaubt. „Dritter hinter PAOK zu sein ist aber die größere Schmach“, sagt Dimitriou. „Zwischen PAOK und Olympiakos herrscht Krieg.“Es sei auch Spiegelbild des NordSüd-Konflikts im Land des Europameisters von 2004. „Alles aus der Hauptstadt wurde in der Peripherie mit Skepsis betrachtet.“
Der lachende Dritte mit acht bzw. neun Punkten Vorsprung vier Runden vor Schluss ist AEK Athen, im Gegensatz zur Konkurrenz auch ohne Punkteabzug. Der Klub, der in der Europa League die Wiener Austria eliminierte, hatte erst 2013 einen finanziellen Neustart in der dritten Liga gewagt. AEK wurde genauso wie PAOK von Flüchtlingen aus dem kleinasiatischen Raum, der heutigen Türkei, gegründet. „Die Leute sahen Fußballvereine als Zufluchtsort und Heimat.“Das hat sich bis heute nicht geändert. Die Wirtschaftskrise sorgte für einen großen Zuschauerrückgang in der Super League. Vor zehn Jahren gingen noch 500.000 Personen mehr pro Saison in die Stadien. „Übrig blieben die fanatischen Fans. Manche Vereine zahlen ihnen sogar Arztrechnungen“, sagt Dimitriou. „Ausschreitungen wurden irgendwann als normal angesehen.“Ende Februar verwundete ein PAOK-Anhänger ExSalzburg- und mittlerweile auch Ex-Olympiakos-Trainer Oscar Garcia mit der Rolle einer Registrierkasse am Kopf.
In der Ligapause einigten sich die 16 Erstliga-Teams auf strengere Strafen, Savvidis erhielt ein dreijähriges Stadionverbot. Dimitriou bleibt trotzdem pessimistisch. Zu verzwickt seien die Machtspiele in Politik, Sport und Wirtschaft. Einen großen Knall erwarte er nicht, aber der Fußball werde eben so weitergehen. „Nach griechischen Regeln. Alle sagen: So sind wir einfach.“