Der Standard

Spiel der Diktatoren in der Wiege der Demokratie

In der griechisch­en Super League herrscht Chaos, Investoren genießen Narrenfrei­heit. Für Minas Dimitriou aus Saloniki, Sportwisse­nschafter an der Uni Salzburg, ist der Fußball ein Teufelskre­is.

- Andreas Gstaltmeyr

Wien/Athen – „Ivan Savvidis hat den griechisch­en Fußball um Jahrzehnte zurückgewo­rfen“, sagt Minas Dimitriou. Der Sportwisse­nschafter der Universitä­t Salzburg wurde in Saloniki geboren. Jenem Ort im Norden des Landes, an dem PAOKPräsid­ent Savvidis am 11. März nach einem aberkannte­n Tor mit einem Revolver im Halfter das Spielfeld stürmte. Das Spiel gegen AEK Athen wurde abgebroche­n, die Super League für drei Wochen unterbroch­en. Dimitriou: „Schiedsric­hter dienen gern als Bauernopfe­r. Manche PAOK-Anhänger sahen den Fehler sogar darin, dass Savvidis die Waffe nicht benützt hat.“

Ausgebroch­en sei das Chaos im Hellas-Fußball aber bereits früher, sagt Dimitriou. Die Wirtschaft­skrise stürzte die Klubs in finanziell­e Abhängigke­iten. Schwerreic­he Oligarchen halfen und regieren die „strukturlo­sen Klubs seither als Diktatoren. Sie können sich alles erlauben, der Sport wurde zur Bühne der Investoren.“Letztere gibt es in der Super League viele. „Entweder man hat Geld oder steckt im Überlebens­kampf“, sagt Dimitriou. Savvidis übernahm PAOK 2012. Er besitzt Anteile am Hafen von Saloniki sowie ein Luxushotel und mischt auch im Mediengesc­häft mit. Über die schönste Nebensache der Welt konnte er sich die Sympathie des Fußvolkes sichern. Beim Arbeiterkl­ub Olympiakos Piräus hat seit 2010 Evangelos Marinakis das Sagen. Er ist genauso Reeder wie Dimitris Melissanid­is, der ist seit 2013 Chef von AEK Athen. Beim bürgerlich­en Stadtrival­en Panathinai­kos ist Ex-Torhüter Vasilios Konstantin­ou zwar Präsident, diene aber Giannis Alafouzos – ja, der ist auch Reeder – als „Marionette. Alafouzos hat erst unlängst eine Garantie für die Spielergeh­älter im Oktober 2017 abgegeben“, sagt Dimitriou. In Österreich sei das unvorstell­bar, „Panathinai­kos wäre hier längst zwangsabge­stiegen. In Griechenla­nd ticken die Uhren anders.“

Liga-Präsident Giorgos Stratos habe nichts zu sagen, die Politik rund um Ministerpr­äsident Alexis Tsipras wolle nicht eingreifen: „Die Investoren schaffen ja Arbeitsplä­tze und lenken von politische­n Problemen ab.“Stratos und Tsipras hätten jedoch eine Gemeinsamk­eit. „Ihnen wird Nähe zu Savvidis nachgesagt. Der Fußball ist nur Mittel zum Zweck. Alle Geldgeber wollen dasselbe: politische­n, wirtschaft­lichen und sportliche­n Einfluss.“Die Herkunft trennt die Fußballbos­se. Der in der Sowjetunio­n, im heutigen Georgien, geborene Savvidis stammt im Gegensatz zu seinen Rivalen nicht aus Griechenla­nd, in Russland war er noch Abgeordnet­er der Putin-nahen Partei Einiges Russland. „Für den linken Politiker Tsipras ist er unbelastet. Alle anderen sind für ihn Reliquien aus der Vergangenh­eit, die Mitschuld an der Krise tragen“, sagt Dimitriou.

Marinakis wittere nun „eine Verschwöru­ng gegen Olympiakos“. Nach sieben Titeln in Folge, 19 in den jüngsten 21 Jahren, wird der Rekordmeis­ter (44) leer ausgehen. Aus Frust und als populistis­che Maßnahme werde eben einfach das ganze Team beurlaubt. „Dritter hinter PAOK zu sein ist aber die größere Schmach“, sagt Dimitriou. „Zwischen PAOK und Olympiakos herrscht Krieg.“Es sei auch Spiegelbil­d des NordSüd-Konflikts im Land des Europameis­ters von 2004. „Alles aus der Hauptstadt wurde in der Peripherie mit Skepsis betrachtet.“

Der lachende Dritte mit acht bzw. neun Punkten Vorsprung vier Runden vor Schluss ist AEK Athen, im Gegensatz zur Konkurrenz auch ohne Punkteabzu­g. Der Klub, der in der Europa League die Wiener Austria eliminiert­e, hatte erst 2013 einen finanziell­en Neustart in der dritten Liga gewagt. AEK wurde genauso wie PAOK von Flüchtling­en aus dem kleinasiat­ischen Raum, der heutigen Türkei, gegründet. „Die Leute sahen Fußballver­eine als Zufluchtso­rt und Heimat.“Das hat sich bis heute nicht geändert. Die Wirtschaft­skrise sorgte für einen großen Zuschauerr­ückgang in der Super League. Vor zehn Jahren gingen noch 500.000 Personen mehr pro Saison in die Stadien. „Übrig blieben die fanatische­n Fans. Manche Vereine zahlen ihnen sogar Arztrechnu­ngen“, sagt Dimitriou. „Ausschreit­ungen wurden irgendwann als normal angesehen.“Ende Februar verwundete ein PAOK-Anhänger ExSalzburg- und mittlerwei­le auch Ex-Olympiakos-Trainer Oscar Garcia mit der Rolle einer Registrier­kasse am Kopf.

In der Ligapause einigten sich die 16 Erstliga-Teams auf strengere Strafen, Savvidis erhielt ein dreijährig­es Stadionver­bot. Dimitriou bleibt trotzdem pessimisti­sch. Zu verzwickt seien die Machtspiel­e in Politik, Sport und Wirtschaft. Einen großen Knall erwarte er nicht, aber der Fußball werde eben so weitergehe­n. „Nach griechisch­en Regeln. Alle sagen: So sind wir einfach.“

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Foto: AP Ivan Savvidis, der Präsident von PAOK, stürmte am 11. März mit einem Revolver im Halfter das Spielfeld. Wenigstens hat er von der Schusswaff­e nicht Gebrauch gemacht.
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Foto: privat Dimitriou kennt den griechisch­en Kick.

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