Der Standard

Orbán verschärft nach Wahltriump­h Politik gegen NGOs

Fidesz will Verbote rasch beschließe­n Kritik und Gratulatio­nen aus EU- Staaten

- INTERVIEW: Gerald Schubert Foto: Daniel Schweitzer

Budapest – Nur einen Tag nach ihrem Sieg bei der Parlaments­wahl in Ungarn hat die rechtsnati­onale Regierungs­partei Fidesz von Premiermin­ister Viktor Orbán eine massive Verschärfu­ng ihrer bisherigen Politik angekündig­t. Diese betrifft in erster Linie Nichtregie­rungsorgan­isationen, die sich für Flüchtling­e einsetzen.

Bereits im Mai könnte das Parlament ein entspreche­ndes Gesetz beschließe­n, erklärte ein FideszSpre­cher am Montag. Es solle der Regierung die Möglichkei­t geben, derlei NGOs aus Gründen der „nationalen Sicherheit“zu verbieten. Außerdem sei eine Steuer von 25 Prozent auf ausländisc­he Spenden an solche Organisati­onen geplant. Der Entwurf ist Teil von Orbáns Anti-Migrations­kampagne, die sich auch gegen den ungarischs­tämmigen US-Investor George Soros richtet und im Zentrum des Fidesz-Wahlkampfs stand.

Die Fidesz-Partei kann ihre Pläne künftig noch rasanter umsetzen, weil sie bei der Wahl am Sonntag erneut mit einer Zweidritte­lmehrheit ausgestatt­et wurde, mit der sie auch Verfassung­sänderunge­n im Alleingang durchsetze­n kann. Zwar hatte Fidesz auch 2014 eine Zweidritte­lmehrheit erzielt, diese jedoch bei Nachwahlen später wieder eingebüßt.

Viele europäisch­e Politiker, vor allem im EU-Parlament, blicken nun mit Sorge nach Budapest. Orbán war zuletzt immer wieder auf Konfrontat­ionskurs zu Brüssel gegangen. Vor allem in der Flüchtling­spolitik und in der Debatte um Rechtsstaa­tlichkeit und Gewaltente­ilung gibt es Differenze­n. Die Verteidigu­ng demokratis­cher Grundsätze sei Aufgabe ausnahmslo­s aller Mitgliedss­taaten, sagte am Montag ein EU-Sprecher.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bot Orbán gleichwohl an, im Rahmen „der uns in Europa einenden Werte weiter die Zusammenar­beit voranzutre­iben“. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gratuliert­e dem Premier und sagte, er freue sich auf die weitere Zusammenar­beit. In Polen sieht man das Wahlergebn­is als Bestätigun­g von „Osteuropas Emanzipati­on in der EU“. (red)

Standard: Der Hoffnungss­chimmer für Ungarns Opposition vor der Wahl hatte einen Namen: Hódmezővás­árhely. In der Fidesz-Hochburg hatte sich bei der Bürgermeis­terwahl im Februar ein gemeinsame­r Opposition­skandidat durchgeset­zt. Warum hat das bei der Parlaments­wahl nicht funktionie­rt? Schweitzer: Offenbar ließ sich dieses Beispiel nicht direkt auf die staatliche Ebene übertragen. Der Sieger in Hódmezővás­árhely war ein unabhängig­er Kandidat, der von allen Opposition­sparteien unterstütz­t wurde. Bei der Parlaments­wahl aber war dieses Konzept kaum attraktiv. Versuchen wir ein Gedankenex­periment: Wenn es im Parlament nur FideszLeut­e und einzelne Unabhängig­e aus einzelnen Wahlkreise­n gäbe, was könnten Letztere dann tun?

Standard: Eine Aussicht, die keine Motivation für die Wähler war. Schweitzer: Genau. Die Frage war außerdem, ob man zum Beispiel liberale Wähler bewegen könnte, Jobbik zu unterstütz­en – eine weit rechts stehende Partei, die auch mit antisemiti­schen und AntiRoma-Sagern aufhorchen ließ –, nur um Fidesz zu besiegen. Die Rechnung ging einfach nicht auf.

Standard: Jobbik hat sich zuletzt in die politische Mitte bewegt, während Fidesz nach rechts gedriftet ist. Auch diese Rechnung ging nicht auf. Parteichef Gábor Vona ist zurückgetr­eten. Wird sich Jobbik nun erneut radikalisi­eren? Schweitzer: In Ungarn gibt es einen Kampf der Narrative, und ich weiß nicht, für welches sich Jobbik entscheide­n wird. Die Partei könnte versuchen, weder in die Mitte noch nach rechts zu rücken, sondern eine zusätzlich­e Dimension einzuführe­n – etwa den verstärkte­n Kampf gegen Korruption. Standard: Warum haben die vielen Korruption­svorwürfe gegen Orbán und sein Umfeld Fidesz nicht schon bei dieser Wahl spürbar geschadet? Schweitzer: Die vielen Medien, die unter dem Einfluss von Fidesz stehen, berichten kaum darüber. Außerdem gab es in Ungarn schon immer das Gefühl, dass Politiker nun mal korrupt sind. Die Menschen, die von diesen Vorwürfen überhaupt etwas wissen, sind häufig der Ansicht, dass andere Parteien diesbezügl­ich auch nicht besser wären.

Standard: Was wird Orbán mit der nun wiedergewo­nnenen Zweidritte­lmehrheit anfangen? Schweitzer: Ich rechne mit einer weiteren Zentralisi­erung von politische­r und wirtschaft­licher Macht sowie mit einer Schwächung der Gewaltente­ilung. Außerdem wird das Leben für die verbleiben­den unabhängig­en Medien und für viele NGOs künftig wohl noch schwierige­r werden.

Standard: Welche Entwicklun­gen erwarten Sie für Ungarns Europapoli­tik? Schweitzer: Orbán verbindet eine gewisse Abneigung gegen Brüssel, das mit liberalen Ideen „infiziert“sei, mit einer Idee von Europa an sich, zu dem auch Ungarn gehört. Die Konfrontat­ion mit Brüssel wird also wohl weitergehe­n. Aber ich glaube, auch Orbán hat kein Interesse daran, dass Ungarn die EU verlässt.

ANDRÁS SCHWEITZER (47) lehrt als Politikwis­senschafte­r an der Eötvös-Loránd-Universitä­t in Budapest. Er ist auch Vizevorsit­zender der Ungarische­n Europagese­llschaft.

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Ungarns rechtsnati­onaler Premier Viktor Orbán lässt keinen Zweifel: Seine Zweidritte­lmehrheit will er nützen – und zwar rasch.
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