Orbán verschärft nach Wahltriumph Politik gegen NGOs
Fidesz will Verbote rasch beschließen Kritik und Gratulationen aus EU- Staaten
Budapest – Nur einen Tag nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl in Ungarn hat die rechtsnationale Regierungspartei Fidesz von Premierminister Viktor Orbán eine massive Verschärfung ihrer bisherigen Politik angekündigt. Diese betrifft in erster Linie Nichtregierungsorganisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Bereits im Mai könnte das Parlament ein entsprechendes Gesetz beschließen, erklärte ein FideszSprecher am Montag. Es solle der Regierung die Möglichkeit geben, derlei NGOs aus Gründen der „nationalen Sicherheit“zu verbieten. Außerdem sei eine Steuer von 25 Prozent auf ausländische Spenden an solche Organisationen geplant. Der Entwurf ist Teil von Orbáns Anti-Migrationskampagne, die sich auch gegen den ungarischstämmigen US-Investor George Soros richtet und im Zentrum des Fidesz-Wahlkampfs stand.
Die Fidesz-Partei kann ihre Pläne künftig noch rasanter umsetzen, weil sie bei der Wahl am Sonntag erneut mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet wurde, mit der sie auch Verfassungsänderungen im Alleingang durchsetzen kann. Zwar hatte Fidesz auch 2014 eine Zweidrittelmehrheit erzielt, diese jedoch bei Nachwahlen später wieder eingebüßt.
Viele europäische Politiker, vor allem im EU-Parlament, blicken nun mit Sorge nach Budapest. Orbán war zuletzt immer wieder auf Konfrontationskurs zu Brüssel gegangen. Vor allem in der Flüchtlingspolitik und in der Debatte um Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung gibt es Differenzen. Die Verteidigung demokratischer Grundsätze sei Aufgabe ausnahmslos aller Mitgliedsstaaten, sagte am Montag ein EU-Sprecher.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bot Orbán gleichwohl an, im Rahmen „der uns in Europa einenden Werte weiter die Zusammenarbeit voranzutreiben“. Bundeskanzler Sebastian Kurz gratulierte dem Premier und sagte, er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit. In Polen sieht man das Wahlergebnis als Bestätigung von „Osteuropas Emanzipation in der EU“. (red)
Standard: Der Hoffnungsschimmer für Ungarns Opposition vor der Wahl hatte einen Namen: Hódmezővásárhely. In der Fidesz-Hochburg hatte sich bei der Bürgermeisterwahl im Februar ein gemeinsamer Oppositionskandidat durchgesetzt. Warum hat das bei der Parlamentswahl nicht funktioniert? Schweitzer: Offenbar ließ sich dieses Beispiel nicht direkt auf die staatliche Ebene übertragen. Der Sieger in Hódmezővásárhely war ein unabhängiger Kandidat, der von allen Oppositionsparteien unterstützt wurde. Bei der Parlamentswahl aber war dieses Konzept kaum attraktiv. Versuchen wir ein Gedankenexperiment: Wenn es im Parlament nur FideszLeute und einzelne Unabhängige aus einzelnen Wahlkreisen gäbe, was könnten Letztere dann tun?
Standard: Eine Aussicht, die keine Motivation für die Wähler war. Schweitzer: Genau. Die Frage war außerdem, ob man zum Beispiel liberale Wähler bewegen könnte, Jobbik zu unterstützen – eine weit rechts stehende Partei, die auch mit antisemitischen und AntiRoma-Sagern aufhorchen ließ –, nur um Fidesz zu besiegen. Die Rechnung ging einfach nicht auf.
Standard: Jobbik hat sich zuletzt in die politische Mitte bewegt, während Fidesz nach rechts gedriftet ist. Auch diese Rechnung ging nicht auf. Parteichef Gábor Vona ist zurückgetreten. Wird sich Jobbik nun erneut radikalisieren? Schweitzer: In Ungarn gibt es einen Kampf der Narrative, und ich weiß nicht, für welches sich Jobbik entscheiden wird. Die Partei könnte versuchen, weder in die Mitte noch nach rechts zu rücken, sondern eine zusätzliche Dimension einzuführen – etwa den verstärkten Kampf gegen Korruption. Standard: Warum haben die vielen Korruptionsvorwürfe gegen Orbán und sein Umfeld Fidesz nicht schon bei dieser Wahl spürbar geschadet? Schweitzer: Die vielen Medien, die unter dem Einfluss von Fidesz stehen, berichten kaum darüber. Außerdem gab es in Ungarn schon immer das Gefühl, dass Politiker nun mal korrupt sind. Die Menschen, die von diesen Vorwürfen überhaupt etwas wissen, sind häufig der Ansicht, dass andere Parteien diesbezüglich auch nicht besser wären.
Standard: Was wird Orbán mit der nun wiedergewonnenen Zweidrittelmehrheit anfangen? Schweitzer: Ich rechne mit einer weiteren Zentralisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht sowie mit einer Schwächung der Gewaltenteilung. Außerdem wird das Leben für die verbleibenden unabhängigen Medien und für viele NGOs künftig wohl noch schwieriger werden.
Standard: Welche Entwicklungen erwarten Sie für Ungarns Europapolitik? Schweitzer: Orbán verbindet eine gewisse Abneigung gegen Brüssel, das mit liberalen Ideen „infiziert“sei, mit einer Idee von Europa an sich, zu dem auch Ungarn gehört. Die Konfrontation mit Brüssel wird also wohl weitergehen. Aber ich glaube, auch Orbán hat kein Interesse daran, dass Ungarn die EU verlässt.
ANDRÁS SCHWEITZER (47) lehrt als Politikwissenschafter an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Er ist auch Vizevorsitzender der Ungarischen Europagesellschaft.