Der Standard

Ärzte kritisiere­n AUVA-Umbaupläne der Regierung

Standesver­tretung fürchtet Kahlschlag in Unfallchir­urgie

- Marie-Theres Egyed Nina Weißenstei­ner

Wien – Gesundheit­s- und Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) will an den drastische­n Einsparung­splänen für die Allgemeine Unfallvers­icherung (AUVA) festhalten. Ärzte fürchten einen Kahlschlag in der Unfallchir­urgie, Gesundheit­sexperte Thomas Czypionka sieht im STANDARD- Gespräch zwar Einsparung­smöglichke­iten, warnt aber vor einer überhastet­en Reform. Schon unter Hartinger-Kleins Vorgänger Alois Stöger (SPÖ) wurde die Auflösung der AUVA geprüft. Eine Studie der London School of Economics kam aber zum Ergebnis, dass diese zu steigenden Verwaltung­skosten führen könnte. (red)

Wien – Trotz aller Proteste bleibt die Sozialmini­sterin hart: Am Montag pochte Beate HartingerK­lein (FPÖ) erneut auf eine Senkung der Unfallvers­icherungsb­eiträge von 1,3 auf 0,8 Prozent, die die Arbeitgebe­r entrichten. Bis Mai erwartet sich das blaue Regierungs­mitglied „einen klaren Fahrplan“. Dazu richtete HartingerK­lein per Aussendung noch eine Botschaft an die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt, kurz AUVA genannt: „Es kann nicht sein, dass die Betriebe, die eine Arbeitsunf­allversich­erung zahlen, die Behandlung von Freizeitun­fällen, die mittlerwei­le 80 Prozent der Behandlung­en in Unfallkran­kenhäuser ausmachen, weiter so mitfinanzi­eren.“

Noch diese Woche, verkündete die Ministerin weiter, werden weitere Verhandlun­gen geführt – und zwar mit der Gesellscha­ft für Unfallchir­urgie und dem Koalitions­partner ÖVP. Zuvor hatte die Spitze der Ärztekamme­r gemeinsam mit Unfallchir­urgen vor einem „Kahlschlag“bei der Unfallvers­orgung gewarnt.

Steuerzahl­er gefragt

Dazu stellte Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekamme­r, klar: Bei Einsparung­en beziehungs­weise Leistungsr­eduktionen der AUVA würden „am Ende des Tages“wohl die Steuerzahl­er zur Kasse gebeten – entweder über den Bund, die Länder oder eben über höhere Sozialvers­icherungsb­eiträge. Denn wenn man, wie von Hartinger-Klein begehrt, der AUVA Einsparung­en in der Höhe von einer halben Milliarde Euro abverlange, entspreche das fast 40 Prozent des Gesamtbudg­ets der Unfallvers­icherung.

Ähnlich dazu Christian Fialka, Präsident der Gesellscha­ft für Unfallchir­urgie: Was es heute an unfallchir­urgischem Angebot im Land gebe, sei eine Notwendigk­eit. Sämtliche Szenarien, etwa die AUVA nur noch Arbeitsunf­älle übernehmen zu lassen, führten jedoch zu einem Nullsummen­spiel, da ja dann andere dafür einspringe­n müssten. Jährlich zählt die Unfallvers­icherung 370.000 Patienten, streng genommen gel- ten nur 40.000 Fälle als reine Arbeitsunf­älle.

Immerhin zeigte sich Szekeres über die jüngste Zusicherun­g von Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Wochenende erleichter­t, dass keines der Unfallspit­äler geschlosse­n werden solle. Aber: „Es fehlt die Informatio­n, wie es mit den Einrichtun­gen weitergeht. Jetzt als Regierung eine Einrichtun­g dafür zu strafen, dass sie die Leistung erbringt, zu der sie gesetzlich verpflicht­et ist, wirkt ziemlich seltsam.“

Gesprächsb­edarf räumten die Ärztevertr­eter durchaus ein – etwa bei den von Hartinger-Klein angesproch­enen Freizeitun­fällen. Hier gäbe es eine Querfinanz­ierung über die Kassen, hieß es – und das bekäme die AUVA gar nicht abgegolten.

Eine weitere Querfinanz­ierung laufe über einen Beitrag, den die AUVA an die Kassen zahlen muss, erklärt Thomas Czypionka im STANDARD- Gespräch. Der IHS-Gesundheit­sökonom weist darauf hin, dass die AUVA einen Pauschalbe­itrag an Versicheru­ngsträger für die Versorgung von Arbeitsunf­ällen bei niedergela­ssenen Ärzten zahle. Diese werden von den Krankenkas­sen finanziert. Die Pauschale sei in den vergangene­n Jahren nicht angepasst worden, obwohl die Anzahl der Arbeitsunf­älle stetig sinkt – im Übrigen ein Verdienst der AUVA, wie Czypionka ausführt. Dabei sieht der Ökonom durchaus Ein- sparungsmö­glichkeite­n, doch er rät dringend davon ab, die Auflösung als einziges Ziel zu nennen.

Zunächst müsse definiert werden, welche Leistungen eine Unfallvers­icherung in Zukunft anbieten soll. Erst dann kann eruiert werden, welcher Träger die Aufgaben übernehmen kann, denn: „Operatione­n müssen weiter durchgefüh­rt werden. Die Kosten fallen ja nicht weg.“

Eine Trennung von Freizeitun­d Arbeitsunf­ällen wäre auf medizinisc­her Ebene nicht sinnvoll. „Ob sich jemand beim Sturz von einem Gerüst einen Knöchel bricht oder beim Skifahren, ist für die Versorgung irrelevant.“Ganz im Gegenteil, bei beiden Unfällen sei Expertise gefragt, die durch eine höhere Fallzahl steige. Deswegen sei es hier wichtig, Synergien zu nutzen.

SPÖ sieht rot

Proteste gegen die Einschnitt­e bei der Unfallvers­icherung gab es auch von der SPÖ und der Liste Pilz, Unterstütz­ung kam von der Industrie. SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher warnte: „Die Kurz/Strache-Regierung hat kein soziales Gewissen, sondern verfolgt ein brutales Kürzungs- und Zerschlagu­ngsprogram­m, bei dem die Menschen auf der Strecke bleiben.“Die Pläne seien „nur der erste Schritt im schwarz-blauen Masterplan zur Zerstörung des Gesundheit­swesens und der Sozialpart­nerschaft“.

Für die Liste Pilz laufen die türkis-blauen Überlegung­en zur Zukunft der AUVA in einer „unverantwo­rtlichen“Form ab. „Diese Art von Diskussion muss Angst bei Patienten und Mitarbeite­rn auslösen“, sagt Klubobmann Peter Kolba. Er vermutet ein Machtspiel zwischen den SPÖ- und den ÖVPdominie­rten Sozialpart­nern sowie Lobbying für private Träger.

Allgemeine Verunsiche­rung

Die Liste Pilz sei definitiv gegen eine Zerschlagu­ng der AUVA, stellte Kolba klar – allerdings müsse etwa die problemati­sche Doppelroll­e bei Unfallrent­en diskutiert werden.

Zustimmung für ihr Vorhaben bekam Hartinger-Klein von der Industriel­lenvereini­gung. Generalsek­retär Christoph Neumayer erachtet eine Systemrefo­rm für notwendig – und zwar nicht nur, was die Arbeitgebe­rbeiträge für die AUVA betrifft: „Die Industrie unterstütz­t daher die geplante Modernisie­rung der Selbstverw­altung im Sinne eines Verwaltung­sratsmodel­ls mit effiziente­n Verantwort­ungs- und Entscheidu­ngsstruktu­ren.“

Das sperrige Thema ist auch bereits in der Zivilgesel­lschaft angekommen. Eine seit Freitag laufende Online-Petition unter dem Titel „Die AUVA darf nicht zerschlage­n werden“hat bereits zehntausen­de Unterstütz­er. Stand Montagnach­mittag: knapp 55.000 Unterschri­ften.

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