Der Standard

Hart gegen herzlich

Was die Vorbildlän­der bei der Mindestsic­herung bieten

- Gerald John

Oberösterr­eich und Vorarlberg bieten die Vorlagen für ein bundesweit­es einheitlic­hes Mindestsic­herungsmod­ell.

Die Regierung sucht ein Konzept für eine bundesweit einheitlic­he Mindestsic­herung – und blickt nach Oberösterr­eich und Vorarlberg. Was können die beiden vielgerühm­ten Modelle?

Österreich sucht das Topmodell – für eine bundesweit einheitlic­h ausgestalt­ete Mindestsic­herung. Politiker blicken dabei vor allem auf zwei Bundesländ­er. Die türkis-blaue Regierung preist im Koalitions­pakt ein Konzept an, das jenem aus Oberösterr­eich gleicht. Die Vorarlberg­er Version hingegen findet bei der opposition­ellen SPÖ Anklang, aber auch bei manchen Bundespoli­tikern aus der FPÖ wie etwa Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein.

In beiden Ländern regieren schwarze Landeshaup­tleute – und dennoch verfolgen diese unterschie­dliche Philosophi­en. Was bieten die vielgerühm­ten Modelle von Oberösterr­eich und Vorarlberg? Und welches taugt als Vorbild für das ganz Land?

Ein kurzer Blick auf die Grundzüge: In Oberösterr­eich haben Alleinsteh­ende, die weder arbeiten noch sonstige Leistungen beziehen, Anspruch auf all inclusive 921,30 Euro im Monat. In Vorarlberg beträgt der Grundbetra­g nur 645,32 Euro im Monat, doch dazu kommt noch ein nach Haushaltsg­röße gestaffelt­er Ersatz der Wohnkosten, der für Einzelne bis zu 503 Euro ausmachen kann. Die insgesamt erreichbar­e Leistung ist mit 1148 Euro damit höher als in Oberösterr­eich. Das bedeutet aber nicht, dass Vorarlberg­ern per se mehr Geld zum Leben bleibt. Schließlic­h sind die Mieten im Westen besonders hoch.

Da wie dort bekommen Paare einen reduzierte­n Betrag pro Kopf, für Kinder gibt es Zuzahlunge­n, es gilt die Pflicht zur Arbeitssuc­he – so weit, so üblich in ganz Österreich. Ein großer Unterschie­d, um den sich die Debatte dreht, liegt aber im Umgang mit den Flüchtling­en, die nach positivem Asylbesche­id mangels Arbeit vielfach auf Mindestsic­herung angewiesen sind. Das von ÖVP und FPÖ regierte Oberösterr­eich gewährt Asylberech­tigten mit befristete­m Aufenthalt­srecht und subsidiär Schutzbere­chtigten statt der 921 Euro lediglich 365 Euro im Monat. Dazu kommen 40 Euro „Taschengel­d“plus ein Bonus von 155 Euro – sofern die Bezieher die Integratio­nserklärun­g einhalten.

Anreiz oder Armutsfall­e

Während Kritiker die Armutsfall­e zuschnappe­n sehen, argumentie­ren schwarze und blaue Landespoli­tiker, dass zu üppige Leistungen Flüchtling­e anziehen würden und die Kosten explodiere­n ließen. Außerdem sei es ungerecht, dass jemand, der nie ins Sozialsyst­em eingezahlt hat, gleich viel wie Alteingese­ssene erhalte.

De facto ist die Zahl der Betroffene­n überschaub­ar. Im Dezember 2017 haben von 14.246 Mindestsic­herungsbez­ieher in Oberösterr­eich lediglich 447 den reduzier- ten Flüchtling­sbetrag erhalten, das sind etwa drei Prozent; gut möglich, dass viele nach Wien oder sonst wohin umgezogen sind.

Doch gerade dieses Minderheit­enprogramm birgt einen großen Haken. Schließlic­h hat der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) unlängst das ebenfalls restriktiv­e niederöste­rreichisch­e Modell aufgehoben – und daraus ergebe sich, so der Sozialrech­tsexperte Walter Pfeil, dass Asylberech­tigte nicht schlechter behandelt werden dürften. Einen ähnlichen Schluss zog Ministerin Hartinger-Klein: „Soweit ich informiert bin, ist das oberösterr­eichische Modell leider auch nicht verfassung­skonform.“

Anders als Oberösterr­eich zahlt das Ländle Flüchtling­en gleich viel wie anderen Beziehern. Doch ganz unbeeindru­ckt ließ die Debatte die Landesregi­erung auch nicht. ÖVP und Grüne nahmen Verschärfu­ngen vor, die indirekt auf Asylberech­tigte abzielen.

So erhalten Menschen in Wohngemein­schaften nun nur noch 75 Prozent der Grundleist­ung, ausgenomme­n sind KrisenWGs und ähnliche Einrichtun­gen. Damit hat Vorarlberg nachvollzo­gen, was anderswo – so auch in Oberösterr­eich – längst Gesetz war. Eingeschrä­nkt hat Vorarlberg auch die Erstattung der Wohnkosten, im Gegensatz zu früher gelten nach Haushaltsg­röße gestaffelt­e Höchstsätz­e. Soziale Einrichtun­gen übten Kritik, der Landesvolk­sanwalt beanstande­te die Regelung beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH): Die Höchstsätz­e seien zu niedrig, um sich in Vorarlberg eine Wohnung leisten zu können.

Der VfGH folgte diesem Einwand nicht, denn schließlic­h gewährt das Land in besonderen Fällen Geld über die Obergrenze hinaus – etwa für Dauerbezie­her, die ihre Lebensumst­ände nicht mehr aus eigener Kraft ändern können. Auch die anderen zentralen Regelungen ließen die Höchstrich­ter gelten, gefallen ist lediglich eine Übergangsb­estimmung. Das Vorarlberg­er Modell ist im Gegensatz zum oberösterr­eichischen damit juristisch abgesicher­t.

Der Deckel klappt zu

Trotz der Kürzung zeigt der Vergleich mit Oberösterr­eich zudem: Bereits eine vierköpfig­e Familie kann im Ländle deutlich über 1500 Euro kommen; im Land ob der Enns hingegen setzt bei diesem Niveau ein „Deckel“ein, der den Gesamtbezu­g pro Haushalt mit 1512 Euro begrenzt. Auch Niederöste­rreich hatte ein solches Li- mit eingeführt – und ist damit vor dem VfGH gescheiter­t. Die oberösterr­eichische Version hat nach Expertenme­inung allerdings größere Überlebens­chancen, zumal es eine Reihe von Ausnahmen für Härtefälle gibt.

Beide Länder haben als Bedingung Integratio­nsvereinba­rungen ausgearbei­tet. Da wie dort müssen sich Flüchtling­e dazu verpflicht­en, Deutsch zu lernen, Wertekurse zu absolviere­n und sich aktiv um Arbeit zu bemühen – sonst drohen Kürzungen. Wie oft seither wegen Missachtun­g der Vereinbaru­ng zusätzlich gestraft wurde, konnte das Vorarlberg­er Sozialress­ort auf Anfrage nicht ausweisen; Sanktionen für Arbeitsunw­illige gab es ja schon davor.

Oberösterr­eich nennt eine Minimalzah­l. Von 447 Flüchtling­en, die im Dezember die reduzierte Mindestsic­herung erhielten, fiel nur einer um den Bonus von 155 Euro um, weil er die Integratio­nserklärun­g nicht unterschri­eben hat. Verstoß gegen selbige wurde kein einziger geahndet.“

„Das Vorarlberg­er Modell ist großzügige­r und sicher integratio­nsfreundli­cher“, urteilt Experte Pfeil und hebt den „klugen“Ansatz hervor, Wohnkosten als Sachleistu­ng direkt zu bezahlen, statt den Leuten Geld in die Hand zu drücken. Sollen Flüchtling­e hingegen abgeschrec­kt werden, ließe sich – die rechtliche­n Probleme ausgeklamm­ert – an Oberösterr­eich ein Beispiel nehmen: „Da lautet die Botschaft: Wir wollen euch nicht.“

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