Der Standard

„Die Menschen suchen derzeit alle nach ihrer irischen Oma“

Die Grenzforsc­herin Aoife O’Donoghue warnt vor Herausford­erungen für die Bevölkerun­g aufgrund der Wiederbele­bung der inneririsc­hen Grenze.

- INTERVIEW: Fabian Sommavilla Foto: privat

Standard: Was sind derzeit die größten Herausford­erungen in den Brexit-Verhandlun­gen bezüglich der irischen Grenzfrage? O’Donoghue: Alle wollen die Grenze weiterhin möglichst offen halten – die Iren, die Nordiren und auch London. Die große Herausford­erung wird es sein, diese Position mit den Brexit-Hardlinern auf einen gemeinsame­n Nenner zu bringen. London will ja auch eigene Regeln bei Zöllen und Zugang zum europäisch­en Markt. Man wird nicht beides bekommen.

Standard: Es wird also irgendeine spürbare physische Grenze geben? O’Donoghue: Ja. Die wenig konkreten Pläne Londons, die Grenze mit technologi­schen Mitteln zu managen, sind schlicht nicht realisierb­ar. Wir sehen bereits einen Wandel in der Sprache der Regierung Theresa Mays, weg von einer „reibungslo­sen Grenze“, hin zu „einer möglichst reibungslo­sen Grenze“. Österreich sollte während der EURatspräs­identschaf­t London dazu drängen, endlich Klarheit zu schaffen, inwiefern es zu Kontrollen kommen wird. Die Menschen müssen planen können. Österreich müsste ob seiner Geschich- te um die negativen Effekte von harten Grenzen Bescheid wissen.

Standard: Wie könnte so eine Grenze aussehen? O’Donoghue: Es wird natürlich keine Mauer, wahrschein­lich aber – ähnlich wie zwischen Norwegen und Schweden – sogenannte „designiert­e Transitrou­ten“geben. Dank des einheitlic­hen Reisegebie­ts – der Common Travel Area – zwischen Irland und dem Vereinigte­n Königreich wird es aber zumindest zu keinen Personenko­ntrollen kommen, solange Irland nicht plant, dem Schengener Abkommen beizutrete­n. Aber man wird die Güter in irgendeine­r Form kontrollie­ren müssen.

Standard: Wie werden sich die Güterkontr­ollen, wie auch immer diese ausschauen, auf die lokale Bevölkerun­g der Region auswirken? O’Donoghue: Das wird äußerst schwierig. Die Region ist sehr vom agrikultur­ellen Sektor abhängig. Zahlreiche Farmen liegen entlang der 500 Kilometer langen Grenze oder ragen teils darüber. Sie werden darauf achten müssen, den jeweiligen Regulierun­gen entspreche­nd zu arbeiten. Tausende Arbeiter pendeln tagtäglich in beide Richtungen. Für sie wird aus Steuergrün­den auch entscheide­nd, ob sie ihren Status als Grenzregio­n-Arbeiter behalten können. Auch über Pässe für Weidevieh wird diskutiert. Es geht also um viele alltäglich­e Abläufe, die zu Herausford­erungen werden. Reisende werden die Grenze als deutlich kleineres Problem sehen als die Arbeiter der Region.

Standard: Wie bereiten die Menschen sich darauf vor? Nordiren sind laut Karfreitag­sabkommen ja zur irischen Staatsbürg­erschaft berechtigt. O’Donoghue: Tatsächlic­h rufen fast alle Parteien, sogar die protestant­ische und unionistis­che DUP, dazu auf, sich aus praktische­n Gründen einen irischen Pass zu beschaffen. Die Behörden haben sich bereits darauf eingestell­t, dem wachsenden Andrang Herr zu werden. Alle suchen gerade nach ihrer irischen Oma. Im ganzen Königreich gibt es diesen massiven Trend, nicht nur seine irischen Vorfahren auszumache­n, auch in Deutschlan­d, Frankreich oder Polen erhalten die Behörden zahlreiche Anfragen für Doppelstaa­tsbürgersc­haften.

AOIFE O’DONOGHUE (36) ist Professori­n für Internatio­nales Recht an der Durham Law School und stellvertr­etende Leiterin der Internatio­nal Boundaries Research Unit.

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