„Die Menschen suchen derzeit alle nach ihrer irischen Oma“
Die Grenzforscherin Aoife O’Donoghue warnt vor Herausforderungen für die Bevölkerung aufgrund der Wiederbelebung der inneririschen Grenze.
Standard: Was sind derzeit die größten Herausforderungen in den Brexit-Verhandlungen bezüglich der irischen Grenzfrage? O’Donoghue: Alle wollen die Grenze weiterhin möglichst offen halten – die Iren, die Nordiren und auch London. Die große Herausforderung wird es sein, diese Position mit den Brexit-Hardlinern auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. London will ja auch eigene Regeln bei Zöllen und Zugang zum europäischen Markt. Man wird nicht beides bekommen.
Standard: Es wird also irgendeine spürbare physische Grenze geben? O’Donoghue: Ja. Die wenig konkreten Pläne Londons, die Grenze mit technologischen Mitteln zu managen, sind schlicht nicht realisierbar. Wir sehen bereits einen Wandel in der Sprache der Regierung Theresa Mays, weg von einer „reibungslosen Grenze“, hin zu „einer möglichst reibungslosen Grenze“. Österreich sollte während der EURatspräsidentschaft London dazu drängen, endlich Klarheit zu schaffen, inwiefern es zu Kontrollen kommen wird. Die Menschen müssen planen können. Österreich müsste ob seiner Geschich- te um die negativen Effekte von harten Grenzen Bescheid wissen.
Standard: Wie könnte so eine Grenze aussehen? O’Donoghue: Es wird natürlich keine Mauer, wahrscheinlich aber – ähnlich wie zwischen Norwegen und Schweden – sogenannte „designierte Transitrouten“geben. Dank des einheitlichen Reisegebiets – der Common Travel Area – zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich wird es aber zumindest zu keinen Personenkontrollen kommen, solange Irland nicht plant, dem Schengener Abkommen beizutreten. Aber man wird die Güter in irgendeiner Form kontrollieren müssen.
Standard: Wie werden sich die Güterkontrollen, wie auch immer diese ausschauen, auf die lokale Bevölkerung der Region auswirken? O’Donoghue: Das wird äußerst schwierig. Die Region ist sehr vom agrikulturellen Sektor abhängig. Zahlreiche Farmen liegen entlang der 500 Kilometer langen Grenze oder ragen teils darüber. Sie werden darauf achten müssen, den jeweiligen Regulierungen entsprechend zu arbeiten. Tausende Arbeiter pendeln tagtäglich in beide Richtungen. Für sie wird aus Steuergründen auch entscheidend, ob sie ihren Status als Grenzregion-Arbeiter behalten können. Auch über Pässe für Weidevieh wird diskutiert. Es geht also um viele alltägliche Abläufe, die zu Herausforderungen werden. Reisende werden die Grenze als deutlich kleineres Problem sehen als die Arbeiter der Region.
Standard: Wie bereiten die Menschen sich darauf vor? Nordiren sind laut Karfreitagsabkommen ja zur irischen Staatsbürgerschaft berechtigt. O’Donoghue: Tatsächlich rufen fast alle Parteien, sogar die protestantische und unionistische DUP, dazu auf, sich aus praktischen Gründen einen irischen Pass zu beschaffen. Die Behörden haben sich bereits darauf eingestellt, dem wachsenden Andrang Herr zu werden. Alle suchen gerade nach ihrer irischen Oma. Im ganzen Königreich gibt es diesen massiven Trend, nicht nur seine irischen Vorfahren auszumachen, auch in Deutschland, Frankreich oder Polen erhalten die Behörden zahlreiche Anfragen für Doppelstaatsbürgerschaften.
AOIFE O’DONOGHUE (36) ist Professorin für Internationales Recht an der Durham Law School und stellvertretende Leiterin der International Boundaries Research Unit.