Der Standard

Briefe voller Qualen in Münster

Jens R., der 48-jährige Todeslenke­r von Münster, soll seinen berufliche­n Niedergang nicht verkraftet haben. Wenige Tage vor dem Attentat hatte die Polizei vergebens nach ihm gesucht. Wenn die Gondeln Freude tragen

- Birgit Baumann

Münster/Berlin – Die Blumen und Kerzen werden immer mehr. „Warum?“steht auf einem Schild, das in Münster (Nordrhein-Westfalen) am Denkmal des „Kiepenkerl­s“– eines fahrenden Händlers – lehnt. So versuchen viele Menschen jene Bluttat zu verarbeite­n, die sich hier am Samstag ereignet hat: Ein Mann raste mit einem Van in den Schanigart­en einer Gaststätte, tötete zwei Menschen und nahm sich dann selbst das Leben.

Die Frage nach dem Warum beschäftig­t auch nach wie vor die Behörden. Laut dem Kölner Stadt-Anzeiger hat der 48-Jährige seinen berufliche­n Niedergang nicht verkraftet. Er sei zunächst ein erfolgreic­her Industried­esigner gewesen und habe eine Lampe entworfen, die sich sehr gut verkaufte, was ihm materielle­n Wohlstand verschafft­e. R. besaß laut der Zeitung, die aus Polizeiakt­en zitierte, mehrere Wohnungen und fünf Autos. Als sich seine Lage verschlech­terte, gab er anderen die Schuld – unter anderem seinem Vater und Ärzten.

Eltern Schuld an Störung

Bild zitiert aus einem 92-seitigem Abschiedss­chreiben, das der Mann kurz vor seinem Tod an zahlreiche Personen versandt hat. Darin schreibt er, dass er schon in seiner Kindheit aggressive Ausbrüche gehabt habe. Schuld daran seien seine Eltern, die ihn seit seiner Geburt isoliert und gegängelt hätten. Im Alter von sieben Jahren habe er sich das erste Mal gewünscht, tot zu sein. Zudem sei er impotent und habe auch nie Sexualkont­akte gehabt.

Neben den Eltern beschuldig­t er auch Freunde, die ihn bespitzelt hätten, zahlungsun­willige Kunden und Ärzte, die eine RückenOper­ation verpfuscht hätten, an seinem Schicksal.

Bereits in den Jahren 2015 und 2016 nahm der Amokfahrer laut Bild mehrere Termine beim Sozialpsyc­hiatrische­n Dienst der Stadt Münster wahr, zuletzt am 19. Dezember 2016. Danach gab es keine weiteren Kontakte.

Allerdings tauchte Jens R. am 27. März 2018, also wenige Tage vor dem Attentat wieder beim Sozialpsyc­hiatrische­n Dienst auf und übergab diesem ein mehrseitig­es Schriftstü­ck. Suizidabsi­chten soll er dabei aber nicht geäußert haben. Als am 29. März 2018 ein Bekannter und Mitarbeite­r des Sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes eine E-Mail erhält, in der Selbstmord­absichten geäußert werden, informiert dieser die Feuerwehr in Münster, die wiederum die Polizei benachrich­tigt.

Die Einsatzkrä­fte suchen die Wohnung von R. in Münster auf, treffen ihn dort aber nicht an. Auch die Polizei in Sachsen, wo R. zwei Wohnungen besitzt, stehen vor verschloss­enen Türen. Es ist unklar, wo sich R. in den letzten Tagen aufhält. Am 4. April erscheint er auf einer Berliner Polizeista­tion und erstattet Anzeige gegen das Krankenhau­s in Münster, in dem 2015 seine RückenOper­ation durchgefüh­rt wurde.

Drei Menschen schwebten nach der Todesfahrt von Münster weiterhin in Lebensgefa­hr. Der nordrhein-westfälisc­he Landessozi­alminister Karl-Josef Laumann (CDU) fordert in der Rheinische­n Post eine finanziell­e Entschädig­ung für die Opfer und Hinterblie­benen der Amokfahrt.

Ein solcher Anspruch sei auch bei den Betroffene­n des Anschlags auf dem Berliner Breitschei­dplatz vom Dezember 2016 anerkannt worden. „Gleiches muss nun auch für die Betroffene­n der Geschehnis­se in Münster gelten“, sagt er.

Männer in Berlin freigelass­en

In Berlin sind sechs mutmaßlich­e Islamisten, die am Sonntag am Rande des Halbmarath­ons festgenomm­en wurden, wieder frei. Es gebe keinen dringenden Tatverdach­t gegen sie, man habe weder Sprengstof­f, Waffen noch andere Beweismitt­el gefunden, so ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft.

Die Festnahmen waren erfolgt, da zwei der Männer dem Umfeld des Weihnachts­markt-Attentäter­s Anis Amri zugerechne­t werden. Sie sollen die Strecke des Halbmarath­ons ausgekunds­chaftet haben. Konkrete Gefahr, so die Behörden, habe nicht bestanden.

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Trauer in Münster: Am Denkmal des „Kiepenkerl­s“wird der Opfer der Amokfahrt gedacht. Die Frage nach dem Motiv beschäftig­t viele. Wien
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26 Jahre nach ihrer Zerstörung zieht die Seilbahn seit dem Wochenende wieder leise und gemächlich Gondeln auf den Hausberg von Sarajevo, den Trebević, von dem aus Scharfschü­tzen im Krieg (1992–1995) auf die Leute schossen. Unter der Seilbahn befand...

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