Der Standard

Nach der Impfung ist vor der Impfung

Die Grippeimpf­ung hat einen schlechten Ruf – das wahre Problem sind aber die mutationsf­reudigen Influenzav­iren

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Wien – „Die Grippeimpf­ung wirkt nicht“, heißt es häufig. Schuld daran sei die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, ist ebenfalls ein weitverbre­itetes Vorurteil. Schließlic­h bestimmt sie darüber, wie der Impfstoff für die jeweils nächste Saison zusammenge­setzt sein wird. Welche Virenstämm­e genau von dem Vakzin abgedeckt werden, ergibt sich aus der permanente­n Beobachtun­g der weltweit zirkuliere­nden Influenzae­rreger. Für die nördliche Erdhalbkug­el spricht die WHO ihre Empfehlung bereits Ende Februar aus – also zu einer Zeit, in der Europa noch mit der aktuellen Grippewell­e zu kämpfen hat.

Die Erreger sind kleine, stachelige Eiweißkuge­ln, gefüllt mit Erbgut. Um sich zu vermehren, sind sie auf einen Wirt angewiesen. Ein ideales Zuhause bieten Mensch oder Tiere. Sogar Pflanzen können eine Heimstätte sein. Im Gegensatz zu anderen Viren wie Wind- pocken, Masern oder Hepatitis A verändern sich Influenzav­iren ständig. Deshalb muss jedes Jahr ein neuer Impfstoff hergestell­t werden. Daraus folgt: Es gibt keinen 100-prozentige­n Impfschutz. „Eine Schutzrate von rund 70 Prozent ist schon sehr gut“, sagt Monika Redlberger-Fritz, Virologin an der Med-Uni Wien. Wie gut der Impfstoff in der vergangene­n Saison gewirkt hat, lässt sich derzeit noch nicht klar beurteilen.

Heuriger Schutz

Momentan werden die Daten allerdings noch gesammelt. Ersten Schätzunge­n des Robert-KochInstit­uts zufolge lag der Schutz gegen Influenza A(H1N1) zwischen 55 und 68 Prozent, gegen Influenza B zwischen 36 und 54 Prozent. Das heißt, selbst Geimpfte hatten ein relativ hohes Risiko zu erkranken.

Das größte Problem: Die Produktion des Impfstoffs ist aufwen- dig und dauert zwischen sechs und acht Monaten. Dazu werden sogenannte Saatviren auf Hühnereier­n vermehrt. Laut WHO sind dafür etwa 500 Millionen Eier jährlich notwendig. Um die Reprodukti­on der Erreger anzukurbel­n, müssen die Eier mehrere Tage bebrütet, danach entnommen, gereinigt und inaktivier­t werden. Das Ergebnis ist ein sogenannte­r Totimpfsto­ff.

„Die Schutzrate ließe sich verbessern, wenn die Produktion wesentlich kürzer wäre“, ist Redlberger-Fritz überzeugt. Derzeit sieht die Situation so aus: Die Herstellun­g für Europa startet bereits im Frühjahr, bis zum Winter haben die Viren also genügend Zeit zu mutieren und dadurch für unangenehm­e Überraschu­ngen zu sorgen. Einige Hersteller sind bereits dazu übergegang­en, statt Hühnereier­n Zellkultur­en zu verwenden. „Rund fünf bis zehn Prozent der Grippeimpf­stoffe werden bereits auf Zellkultur­en entwickelt, die aus dem Nierentumo­r eines Hundes gewonnen wurden“, sagt Redlberger-Fritz. Der Vorteil: Damit lässt sich die Produktion­sdauer auf etwa die Hälfte verkürzen. „Mit der Herstellun­g des Serums könnte also bis zum Sommer gewartet werden. Die Prognose lässt sich dadurch deutlich verbessern“, so die Expertin.

Seriöse Prognose unmöglich

Doch warum setzen die meisten Pharmakonz­erne nach wie vor auf das Ei? „Eine Umstellung der Produktion ist eine milliarden­schwere Investitio­n. Vor allem in Europa sieht die Pharmaindu­strie zu wenig Profit, da nicht genügend Impfstoffe abgesetzt werden“, erklärt Virologin Redlberger-Fritz. Besonders deutlich wird das angesichts der Durchimpfu­ngsrate der österreich­ischen Bevölkerun­g, die mit fünf bis acht Prozent europaweit zu den geringsten zählt. Die Virologin der Med-Uni Wien vermutet, dass hier auch sprachlich­e Besonderhe­iten eine Rolle spielen könnten. „Während es im Englischen eine klare Unterschei­dung zwischen ‚flu‘ und ‚respirator­y infection‘ gibt, werden bei uns ‚Grippe‘ und ‚grippaler Infekt‘ häufig gleichgese­tzt. Gegen Letzteren kann aber das Vakzin nichts ausrichten. Deshalb denken viele Menschen, dass die Impfung keinen Sinn hat.“

Die aktuelle Empfehlung der WHO für die Saison 2018/19: Die derzeit dominieren­den Viren, Influenza B-Yamagata und A(H1N1)pdm09, bleiben gleich, die Komponente A/Singapore/INFIMH-16-0019/2016-like virus und B/Colorado/06/2017-like virus kommen neu hinzu. Die Prognose von Virologin Redlberger-Fritz: „Eine seriöse Vorhersage ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, wir müssen uns überrasche­n lassen.“(gueb)

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