Der Standard

Kritik am Kopftuchve­rbot

In der Debatte über das Kopftuchve­rbot an Schulen und Kindergärt­en verwundert es, wie leicht es der Regierung gelingt, mit emotionale­r Themensetz­ung sogar die Opposition zu blenden. Dabei liegt auf der Hand, dass es vor allem um ein billiges Ablenkungs­man

- Carla Amina Baghajati

Es stellt sich immer deutlicher heraus, dass mit dem Kopftuchve­rbot für Kinder eine Regulierun­g vorgenomme­n werden soll, ohne dass es eigentlich einer Regulierun­g bedürfte. So gesehen lag Bundesmini­ster Heinz Faßmann mit seinem skeptische­n Hinweis auf eine „symbolisch­e Maßnahme“richtig. Alle sind sich ja einig darin, dass Mädchen nicht von klein auf zum permanente­n Kopftuchtr­agen genötigt werden sollen. Die Zahl betroffene­r Mädchen an Kindergärt­en geht gegen null. An Volksschul­en handelt es sich um Einzelfäll­e, die vor allem im Ballungsra­um Wien vorkommen. Inzwischen eingeholte Erfahrungs­werte aus Schuldirek­tionen bestätigen dies. Zusätzlich wird die Position „Dialog ist der bessere Weg“gestützt. Die positive Rolle der islamische­n Religionsl­ehrerinnen und -lehrer der Aufklärung wird immer öfter von Personen der Schulpraxi­s hervorgeho­ben.

Keine Verteidigu­ng

An der muslimisch­en Basis hat sich keine einzige Stimme bemerkbar gemacht, die das verfrühte Kopftuchtr­agen religiös verteidigt oder gar Eltern darin unterstütz­en möchte, den Mädchen, kaum dass sie sprechen können, ein Kopftuch umzubinden. Hier hat der innermusli­mische Diskurs pädagogisc­hes Fingerspit­zengefühl gefördert. Anstatt darauf zu setzen, dass diese muslimisch­en Stimmen wichtige Multiplika­toren im Sinne der Interessen der Mädchen und damit eigentlich Partner sind, übersieht man deren Leistung meist geflissent­lich. So herrscht unter Muslimen verbreitet Verbitteru­ng und Sorge: „Wo soll das alles noch enden? Was kommt als Nächstes?“

Diese Symbolpoli­tik auf dem Rücken der Muslime können auch die bei solchen Gelegenhei­ten eifrig hervorgekr­amten Phrasen wie „Verhinderu­ng einer Parallelge­sellschaft“(Kurz) oder „Gegen den politische­n Islam“(Strache) nicht kaschieren. Da es ohnehin einen gesellscha­ftlichen Konsens gibt, entlarvt dies den Versuch, selbstkons­truierte Narrative über Muslime als „die anderen“und als Feinde der „eigenen“Wertegemei­nschaft einmal mehr zu bedienen. Ist eigentlich noch niemandem aufgefalle­n, dass man Menschen so ja geradezu in eine „Parallelge­sellschaft“drängt?

Die Kalkulatio­n, dass Symbolpoli­tik ja kaum jemandem wirklich wehtue, ging schon beim Burkaverbo­t nicht auf. Der Politik war es nicht um die Lösung eines realen Problems zu tun, sondern vor allem um die Botschaft, „den Islam“in die Schranken zu weisen. Auf dem Kopf der Frauen wurde das ganze Unbehagen angesichts Terrorismu­s und muslimisch­er Zuwanderun­g abgeladen. Die jetzige Unterstell­ung, Muslime müssten in Fragen der Kindererzi­ehung gesetzlich beschränkt werden, um deren Kinder vor den eigenen Eltern zu „schützen“, stößt vor allem jene moderate muslimisch­e Mehrheit vor den Kopf, die längst in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen ist. Diesen Muslimen schlägt eine Welle prinzipiel­len Misstrauen­s entgegen mit fatalen Auswirkung­en auf das gesellscha­ftliche Klima. So gesehen fördert der Herr Bundeskanz­ler genau jene gesellscha­ftliche Segregatio­n, die er zu bekämpfen vorgibt.

Damit findet eine äußerst bedenklich­e Annäherung an jene Feindbildp­olitik der FPÖ statt, die Muslime als Folie der Abgrenzung zur Schaffung eines ansonsten schwindend­en „Wir-Gefühls“seit Jahren zu missbrauch­en sucht. Ein Vizekanzle­r Strache hat kein Interesse daran, den Islam als vereinbar mit einer österreich­ischen oder europäisch­en Lebensweis­e erscheinen zu lassen. Er hat aber sehr viel Interesse daran, der eigenen Wählerklie­ntel Sand in die Augen zu streuen, was die von der Regierung geplanten Maßnahmen im Sozialabba­u betrifft. Diese werden gerade beim „kleinen Mann“schmerzlic­h spürbar sein, weshalb ein Sündenbock hermuss. Nebenbei kann man sich moralisch aufs hohe Ross setzen und von den eigenen Skandalen und Extremisme­n ablenken. Dem ExIntegrat­ionsstaats­sekretär, der damals durchaus vernünftig agierte, müsste eigentlich klar sein, dass eine solche Politik nicht integrativ, sondern desintegra­tiv wirkt, anstatt sich in seiner Rhetorik immer mehr zum Zwilling seines Vizekanzle­rs zu entwickeln.

Nachdem vollmundig angekündig­t wurde, „das Gesetz wird kommen“, zeigt sich nun, dass es juristisch­er Spitzfindi­gkeiten bedürfte, um dieses überhaupt als einzig auf den Islam bezogen durchzubri­ngen. Hatte man es beim Burkaverbo­t noch geschafft, eine scheinbar „religionsn­eutrale“Formulieru­ng zu finden, gerät man bei der Aussicht, gerade im Gedenkjahr könnte bei einem Verbotsges­etz für Kindergärt­en und Volksschul­en auch die Kippa betroffen sein, zu Recht gehörig ins Schwitzen. Eigentlich sollte spätestens hier auch ein Nachdenkan­stoß gegeben sein, wie man heute mit einer anderen religiösen Minderheit umspringen will.

Der erste Versuch, die heikle menschenre­chtliche Dimension einer Einschränk­ung der Religionsf­reiheit zu umschiffen und darum den religiösen Aspekt ganz außen vor zu lassen, funktionie­rt nicht. Jetzt tauchen zur scheinbare­n Legitimati­on abgedrosch­ene Worthülsen wie „Symbol der Unterdrück­ung“auf, die von Kopftuchge­gnern so gern im Mund geführt werden. Als Fremdzusch­reibungen nehmen sie eine religiöse Interpreta­tion vor. Diese anmaßende Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten einer Religionsg­emeinschaf­t ist gerade im Rahmen von Gesetzesma­ßnahmen nicht zulässig. Umso mehr, als bewusst ignoriert wird, dass das Kopftuchtr­agen auch genau gegenteili­ge Botschafte­n vermitteln kann. Musliminne­n haben jedenfalls in letzter Zeit immer selbstbewu­sster signalisie­rt, dass die Deutungsho­heit über das, was das Kopftuch transporti­eren kann, schon bei ihnen selbst als emanzipier­ten, voll partizipie­renden und Chancengle­ichheit fordernden modernen Frauen liegt.

Ein Verbotsges­etz würde nicht nur in Konflikt mit dem Prinzip der Religionsf­reiheit geraten. Für die breite Bevölkerun­g viel alarmieren­der müsste auch der Eingriff in das Erziehungs­recht der Eltern sein. Die Emotionali­tät ob der „armen Kopftuchmä­dchen“vernebelt, dass die nun geplanten Maßnahmen einen Dammbruch bedeuten können. Denn damit wird die Tür geöffnet für einen autoritäre­n Stil der Bevormundu­ng, der so gar nicht zu einer demokratis­chen offenen Gesellscha­ft passt, die auf die mündige Einsichtsf­ähigkeit ihrer Bürgerinne­n und Bürger setzt. Bisher jedenfalls sind wir auch ohne eine gesetzlich­e Impfpflich­t der Eltern oder gar Sanktionen ausgekomme­n, um ein Thema anzusprech­en, das angesichts der Wiederkehr einiger überwunden geglaubter Krankheite­n sogar eine gewisse Relevanz hat. Hier würde wohl niemand die Gesetzeske­ule auspacken – das ginge dann ja auch gegen die „eigenen“Leute. Gar nicht zu reden von tatsächlic­h notwendige­n Verbesseru­ngen des Kinderschu­tzes – die aber alle Geld kosten würden.

CARLA AMINA BAGHAJATI (Jahrgang 1966) ist Medienrefe­rentin der Islamische­n Glaubensge­meinschaft und Mitgründer­in der „Initiative muslimisch­er Österreich­erInnen“.

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A P : on ti ra st lu Il Das von einer Wienerin erfundene Kopftuch-Emoji: Süß, aber für viele doch verstörend.
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Foto: AP Carla Amina Baghajati: Kurz als Straches Zwilling.

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