Der Standard

Der „illiberale Staat“bleibt

Viktor Orbáns Herrschaft ist gegen demokratis­che Mechanisme­n resistent – vorerst

- Gregor Mayer

Den Sieg des Rechtspopu­listen Viktor Orbán bei der Parlaments­wahl in Ungarn hatte man erwartet. Am Ende fiel er aber doch weitaus deutlicher aus, als es die meisten Prognosen erahnen ließen. Letztlich fehlte die Fantasie, um sich auszumalen, welche Durchschla­gskraft die über alle denkbaren Ressourcen verfügende Propaganda- und Wahlkampfm­aschinerie von Ungarns Leader zu entfalten vermag.

Ihr gegenüber stand eine heterogene ungarische Opposition, die von der sozialdemo­kratischen MSZP bis zur rechtsradi­kalen Jobbik reichte. Sie schien etwas besser aufgestell­t als vor vier Jahren. Zumindest punktuell existierte­n Absprachen über ein koordinier­tes Antreten der Opposition­skandidate­n in den Direktwahl­kreisen. Und der Sieg des unabhängig­en Fidesz-Kritikers Péter Márki-Zay bei der Bürgermeis­terwahl in der FideszHoch­burg Hódmezövás­árhely im Februar hatte große Hoffnungen geweckt.

Aber es fehlte an einer Botschaft, die verständli­ch gemacht hätte, was die Opposition nach der Abwahl mit dem Land zu tun gedacht hätte. Sie hätte signalisie­ren müsen, dass echte Stärke in einer Demokratie aus Pluralität, Konsens- und Koalitions­fähigkeit kommt, nicht aus der monolithis­chen Macht einer Führerpart­ei. Aber dafür war die Opposition zu wenig einig. ennoch: Selbst eine ideale Opposition agiert in einer „illiberale­n Demokratie“, wie sie Orbán 2014 ausrief, wie in einem Hamsterrad, in dem sie keinen Fuß auf den Boden bekommt. Das Wahlrecht ist ganz auf die Erforderni­sse des „zentralen Kraftfelds“zugeschnit­ten, in dessen Mittelpunk­t wie eine Sonne der Führer thront. Die reichweite­nstarken Medien arbeiten bis in die kleinste Sprachrege­lung mit Vorgaben aus Orbáns Propaganda­team. Die Wahlkampfm­aschinerie nützt Datensamml­ungen, die Facebook und Cambridge Analytica zu Ehren gereichen würden. Ein Heer von Aktivisten-Trollen flutet Social Media mit vorgekaute­n Fake-News und Hass-Postings. Die systematis­che Gehirnwäsc­he funktionie­rt in signifikan­ten Segmenten der Gesellscha­ft und schlägt sich in den Wahlergebn­issen nieder.

Die Ankündigun­gen autoritäre­r Populisten sind unbedingt ernst zu nehmen. Im Wahlkampf drohte Orbán den politisch unbotmäßig­en Bürgern

D„Genugtuung“an, was im Kontext so viel heißt wie Vergeltung oder Rache.

Nach dem deutlichen Wahlsieg wird sich der „Viktator“, wie ihn seine Gegner nennen, die letzten Inseln von Freiheitli­chkeit und Widerborst­igkeit vorknöpfen, das steht zu befürchten. Noch in der Wahlnacht bekräftigt­e Regierungs­sprecher Zoltán Németh: „Wer sich (von den Nichtregie­rungsorgan­isationen) in die Politik einmischt, wird zugesperrt.“

Ein diesbezügl­icher Verbotsent­wurf liegt bereit, sobald sich das neue Parlament konstituie­rt. Bereits im Mai könnte er von der neuen Zweidritte­l- mehrheit durchgewin­kt werden, hieß es am Montag.

Die „illiberale Demokratie“lässt sich offensicht­lich nicht so einfach abwählen. Demokratis­che Mechanisme­n greifen in einem System, wie es Orbán geschaffen hat, kaum noch. Das heißt nicht, dass Ungarn verloren ist. Autokratis­che Gebilde dieser Art kollabiere­n irgendwann – an ihren inneren Widersprüc­hen, oder weil sie nicht mehr in ihre Umgebung passen, oder wegen einer Kombinatio­n dieser Faktoren. Wann das eintritt, ist unvorherse­hbar. Und bis dahin werden die Ungarn mit dem Orbán-Staat leben müssen.

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