Der Standard

KOPF DES TAGES

Vom Lehrling zum Chef der Zwillingst­ürme

- Luise Ungerboeck

Die Bank, die er ab Mai führen wird, kennt Christian Sewing allzu gut. 1989 begann er als Bankkaufma­nnlehrling in einer Bielefelde­r Zweigstell­e. Selbst während des berufsbegl­eitenden Studiums an der Bankakadem­ie Bielefeld/Hamburg blieb er der Deutschen Bank verbunden.

Nach einem Zwischensp­iel – 2005 bis 2007 war er im Vorstand der Deutschen Genossensc­hafts-Hypotheken­bank – kehrte Sewing wieder zu Deutschlan­ds größtem Geldhaus zurück. Anfang 2015 avancierte er zum Rechtsvors­tand, ehe er im Herbst mit dem Privatkund­engeschäft betraut wurde. Kein Vorstandsm­itglied verbrachte so viele Jahre im Sold der Deutschen Bank wie der aus Westfalen stammende Hobbytenni­sspieler.

Mit 47 Jahren nun die Krönung zum Chef jenes Hauses, das im Zuge der Finanzkris­e ins Wanken geriet, aber ohne Staatshilf­e auskam. An Skandalen ließ das Geldhaus nichts aus: Die Frankfurte­r Zwillingst­ürme standen stets unter Generalver­dacht – egal, ob es sich um manipulier­te Zinssätze, Devisenkur­se, Goldpreis oder um den Verdacht der Umsatzsteu­erhinterzi­ehung mit CO -Verschmutz­ungsrechte­n handelte.

Zahlreiche Baustellen bereinigte sein Vorgänger John Cryan, nun soll Sewing das einstige Vorzeigein­stitut, dem die Konkurrenz nicht nur im prestigetr­ächtigen Investment­banking längst enteilte, zurück auf die Überholspu­r bringen. Dafür werde er „harte Entscheidu­ngen treffen und umsetzen“, schwor der Neo-Chef die knapp 100.000 Mitarbeite­r auf den neuen Kurs ein.

Dass Sewing umsetzen kann, hat er als Privatkund­enchef bewiesen: Fast 200 Filialen wurden zugesperrt, tausende Jobs gestrichen. Der Weg nach oben führte den als bodenständ­ig und kühl beschriebe­nen Banker auch in Risikomana­gement und interne Revision, was ihm tiefen Einblick ins Investment­bankgeschä­ft verschafft­e. Er selbst gilt als Anhänger des traditione­llen Bankgeschä­fts, das seinerseit­s im digitalen Wandel ist.

Auch deshalb mag seine Wahl zum Nachfolger des eilig verabschie­deten Cryan überrasche­n, sorgten vor ihm mit Anju Jain und Josef Ackermann doch stets Investment­banker für üppige Renditen. Nun schwächelt just diese Sparte, die Deutsche Bank schreibt seit drei Jahren rote Zahlen. Entspannen wird Sewing in den nächsten Monaten wohl nur bei Spielen des FC Bayern München – und wenn er am Wochenende zu seiner Frau und den vier Kindern nach Osnabrück pendelt.

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Foto: Reuters Christian Sewing soll der Deutschen Bank Ansehen und Rendite zurückgebe­n.

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