Der Standard

Aus für Opposition­sblatt

Seit Zerwürfnis mit Orbán wuchs der finanziell­e Druck

- Gregor Mayer aus Budapest

Zwei Tage nach dem Wahlsieg des Rechtspopu­listen Orbán wird Ungarns Opposition­sblatt Magyar Nemzet eingestell­t.

Zwei Tage nach dem Wahlsieg des Rechtspopu­listen Viktor Orbán wird Ungarns Medienland­schaft ärmer. Magyar Nemzet, die wichtigste Opposition­szeitung, kündigte am Dienstag ihre Einstellun­g an. Das seit 80 Jahren erscheinen­de Blatt geht heute, Mittwoch, zum letzten Mal in Druck. Das Verlagsunt­ernehmen begründete die dramatisch­e Entscheidu­ng mit „Finanzieru­ngsproblem­en“.

Schließen wird auch der Radiosende­r Lánchíd (Kettenbrüc­ke). Demnächst zusperren muss die Wochenzeit­ung Heti Válasz (Wöchentlic­he Antwort), wenn sie keinen Käufer findet. Der private Nachrichte­nkanal Hír TV überlebt vorerst unter kräftigen Einsparung­en. Was ihnen allen gemeinsam ist: Sie gehören dem Oligarchen Lajos Simicska.

Simicska kennt Orbán noch aus der Mittelschu­lzeit. Bei der Privatisie­rung nach der demokratis­chen Wende 1989 griff er sich lukrative Plakatwerb­eunternehm­en. Mit den Gewinnen finanziert­e er in den 1990er-Jahren die von Orbán mitbegründ­ete Fidesz-Partei. Er baute ein Imperium auf, das auch große Bauunterne­hmen umfasste. Vor allem unter der zweiten Orbán-Regierung von 2010 bis 2014 lebten seine Medien als Sprachrohr­e des Orbánismus gut von öffentlich­en Aufträgen.

Streit zwischen Mächtigen

Nach Orbáns Wiederwahl kam es zum Zerwürfnis zwischen den ehemaligen Schulfreun­den. Dem Regierungs­chef war der Oligarch wohl zu mächtig geworden. Simicska beschimpft­e Orbán als „Abschaum“, seine Medien schwenkten auf einen regierungs­kritischen Kurs ein. Magyar Nemzet etablierte sich als Aufdeckung­splattform.

Im Wahlkampf brachte sie Berichte über diverse Korruption­sfälle. So enthüllte das Blatt die Existenz von Verfügungs­vollmachte­n mit einem Umfang von 4,3 Milliarden Euro, die eine Hausfrau aus Ostungarn dem Regierungs­mitglied Lajos Kósa ausgestell­t hatte, sowie Einzelheit­en über die schwedisch­en Rentierlux­usjagden von Vize-Ministerpr­äsident Zsolt Semjén, die dieser sich von einem Unternehme­r bezahlen ließ, der aus Geschäften mit dem Staat Nutzen zieht. Simicskas Firmen erhielten kaum noch Staatsauft­räge, seine Medien kaum staatliche Anzeigen.

Orbán gibt sich unbeteilig­t

Orbán, der am Dienstag eine seiner seltenen Pressekonf­erenzen gab, wollte sich zur Einstellun­g der für ihn missliebig­en Zeitung nicht äußern. „Bekanntlic­h beschäftig­en wir uns nicht mit geschäftli­chen Dingen“, sagte er. Für Kritiker jedoch besteht die Tätigkeit der seit acht Jahren amtierende­n Orbán-Kabinette aus kaum etwas anderem als der Zuteilung von einträglic­hen, staats- und EU-finanziert­en Aufträgen an von Orbán abhängige Geschäftsl­eute.

Maygar Nemzet – der Name lässt sich mit „Ungarische Nation“übersetzen – erscheint ununterbro­chen seit 1938. Damals galt die Zeitung als Flaggschif­f des bürgerlich­en Journalism­us. In ihrer wechselvol­len Geschichte diente sie vielen Herren. Im Kommunismu­s war sie so etwas wie das noch am wenigsten propagandi­stische Organ. Unter die Kontrolle Simicskas geriet sie im Jahr 2000, als Orbán erstmals Premier war.

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