Der Standard

„DNA- Speicher kann man nicht hacken“ Für den britischen Bioinforma­tiker Nick Goldman ist die DNA das Speicherme­dium der Zukunft: Sie ist billig, bewährt – und verfügt über Speicherka­pazitäten, von denen Computerhe­rsteller nur träumen können.

- INTERVIEW: Robert Czepel

Es war kaum mehr ein Scherz, als der Bioinforma­tiker Nick Goldman 2011 im Gespräch mit Kollegen auf die Idee kam, das Problem der immer größeren Datenmenge­n zu lösen, indem man Informatio­nen in DNA-Form abspeicher­t. Zwei Jahre später berichtete­n die Forscher im Fachblatt Nature, dass sie eine Methode gefunden hatten, um digitale Daten – darunter Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede und sämtliche Shakespear­e-Sonette – in synthetisc­h hergestell­ten DNA-Molekülen zu speichern und die Originalda­teien fehlerfrei wiederherz­ustellen. Dabei übersetzt eine Software den üblichen Binärcode (bestehend aus 0 und 1) in den vierteilig­en Code von A, T, G und C – die vier Basen, aus denen DNA besteht. Aus diesem Code wird tatsächlic­he DNA gebaut, die mithilfe eines DNA-Sequenzier­ers wieder ausgelesen werden kann.

STANDARD: Die Speicherdi­chte von Festplatte­n hat sich seit den 1950er-Jahren hundertmil­lionenfach vergrößert – und sie steigt weiterhin. Warum brauchen wir ein neues Speicherme­dium? Goldman: Die gegenwärti­gen Speicherme­dien werden besser, das stimmt, aber das ist nicht genug. Denn die Menge der Daten weltweit wächst noch schneller. Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem wir mehr Daten haben als Speicherpl­atz.

Standard: Wann wird das der Fall sein?

Goldman: Die zeitlichen Prognosen gehen auseinande­r, in zehn bis 40 Jahren wird das jedenfalls ein großes Problem sein. Ein anderer Grund, warum wir neue Speicherme­dien brauchen, ist: Auch die großen Datenzentr­en der Welt werden ihr Wachstum nicht unbegrenzt fortführen können. Daher plädiere ich für DNA als Datenspeic­her: DNA ist sicher und extrem preiswert. Und vor allem: Sie wird als Technologi­e nie veralten. DNA wird man immer lesen können.

Standard: Wie funktionie­rt die DNA-Datenspeic­herung? Goldman: Wir verändern das Molekül nicht, wir verwenden es bloß für einen anderen Zweck als in lebenden Zellen. Die DNA besteht aus vier Bausteinen, und deren Abfolge kann jede beliebige Informatio­n repräsenti­eren. Im Grunde ist das wie bei den Nullen und Einsen der Computer, nur dass wir hier eben vier „Buchstaben“zur Verfügung haben. Ich habe ein Computerpr­ogramm geschriebe­n, das digitale Informatio­n in die Sprache der DNA übersetzt. Wir können diese Sequenzen schreiben,

weil DNA physisch einfach zu synthetisi­eren ist. Und wir können sie auch lesen, die entspreche­nden Automaten gibt es ebenfalls schon. Das ist alles, was wir brauchen.

Standard: Wie speichern Sie die Informatio­n –

in Zellen? Goldman: Nein, wir verwenden keine lebenden Zellen. Es ist reine DNA, nur das Molekül. Speichern wir die Informatio­n nur für ein paar Tage, belassen wir die DNA in einer wässrigen Lösung, weil das im Labor praktische­r ist. Für längere Zeiträume kommt die DNA in den Gefriertro­ckner – wie bei der Herstellun­g von Löskaffee – und dann in den Kühlschran­k.

Standard: Könnten Mutationen keine Probleme

erzeugen? Goldman: Mutationen entstehen zum allergrößt­en Teil nur in lebenden Zellen, wenn sich das genetische Material verdoppelt. Die einzige Fehlerquel­le, die es bei unserer Technologi­e gibt, ist die Übersetzun­g, also das Schreiben und Lesen. Hier verwenden wir Korrekturc­odes, um auf Nummer sicher zu gehen, das funktionie­rt so ähnlich wie bei der Datenübert­ragung von Handys. UV-Licht könnte auch Probleme bereiten, darum müssen wir unsere Proben im Dunkeln aufbewahre­n.

Standard: Wie groß ist die Speicherdi­chte von DNA im Vergleich zu Festplatte­n?

Goldman: Mindestens hunderttau­sendfach besser. Wenn man ein handelsübl­iches Proberöhrc­hen aus dem Labor nimmt – das ist etwa so groß wie zwei Glieder des kleinen Fingers – und dieses mit reiner DNA befüllt, dann hat man bereits Petabytes an Informatio­n. Das ist millionenf­ach mehr, als auf einer CD Platz hat. Ein anderes Beispiel: Würde man die auf der ganzen Welt verfügbare digitale Informatio­n auf DNA speichern, dann hätte diese in einem großen Auto Platz.

Standard: Welche Arten von Daten haben Sie auf diese Weise schon gespeicher­t? Goldman: Alles Mögliche: Fotos, PDF-Files, Musik, Bitcoins – im Grunde ist es egal, man kann alles damit speichern. Kürzlich hat uns die BBC gebeten, ein Gespräch der DNA-Pioniere James Watson und Francis Crick in Form von DNA zu speichern. In der Audiodatei hört man die beiden, wie sie über ihre große Entdeckung, die DNA-Doppelheli­x, diskutiere­n.

Diese Aufnahme gibt es jetzt auch im DNAFormat.

Standard: Wie sieht es mit der Datensiche­rheit

aus? Goldman: Klar, wenn jemand in unser Labor einbricht und Proben mitnimmt, dann haben wir eine physische Bedrohung – wie überall, wenn etwas gestohlen wird. Aber ansonsten gibt es keine Schwachste­lle. Man kann unser System nicht hacken, der Kühlschran­k ist nicht mit dem Internet verbunden, und die Proben sind es auch nicht.

Standard: Wie lange wird es dauern, bis DNASpeiche­r auf dem Markt sind? Goldman: Ich würde sagen: etwa zehn Jahre. Bei der DNA-Synthese gibt es noch einigen Verbesseru­ngsbedarf. Vor allem, was die Verkleiner­ung und Arbeitsges­chwindigke­it der Geräte anlangt.

Standard: Wann entstand die Idee, DNA als Speicherme­dium einzusetze­n?

Goldman: Gesprochen hat man darüber schon in den 60ern. Erste Experiment­e gab es um die Jahrtausen­dwende. Zu dieser Zeit waren die Kapazitäte­n noch sehr begrenzt, mehr als ein paar Sätze konnte man damals nicht speichern. Der große Umschwung kam erst vor ein paar Jahren durch die Beiträge meiner Arbeitsgru­ppe sowie von Kollegen aus Boston. Wir hatten erkannt, dass man die Technologi­e der Genomforsc­hung relativ einfach für unsere Zwecke einsetzen – und damit die Effizienz millionenf­ach verbessern kann.

Standard: Wie lautete der erste Satz, der in die Sprache der DNA übersetzt wurde? Goldman: Da gibt es zwei aus dem Jahr 1999, ich weiß nicht, welcher der Erste war. Der eine wurde in Nature publiziert und lautet: „June6 Invasion Normandy“. Der andere war Teil des ersten transgenen Kunstwerks, bestehend aus lebenden Bakterien. Der Satz stammt aus der Genesis und lautet übersetzt: „Die Menschen sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht.“

NICK GOLDMAN ist Mathematik­er und Molekularb­iologe und leitet am European Bioinforma­tics Institute, Cambridge, eine Forschungs­gruppe. Am 12. April hält er in Wien bei der NextM 2018 Conference einen Vortrag zum Thema „DNA Storage“.

Würde man die auf der ganzen Welt verfügbare digitale Informatio­n auf DNA speichern, hätte diese in einem großen Auto Platz.

 ??  ?? „DNA wird als Technologi­e nie veralten. Man wird sie immer lesen können“, sagt der DNA-Speicher-Pionier Nick Goldman.
„DNA wird als Technologi­e nie veralten. Man wird sie immer lesen können“, sagt der DNA-Speicher-Pionier Nick Goldman.

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