Der Standard

„Österreich ist für die deutsche Rechte Vorbild“

Eine deutliche Signalwirk­ung sieht der deutsche Historiker Volker Weiß in der österreich­ischen Rechts-Regierung. Nach dem Beispiel der FPÖ könnte die rechtspopu­listische AfD hoffähig werden.

- INTERVIEW: Josef Kirchengas­t Foto: Annette Hauschild

Es gibt eine Parallele zwischen Österreich und der Ex-DDR. Beide haben den Faschismus externalis­iert.

STANDARD: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, meinte Mark Twain. Erleben wir mit dem Erstarken rechtspopu­listischer Parteien in Europa und deren Regierungs­übernahme in Ungarn, Polen und zuletzt Österreich einen Reim auf die Zwischenkr­iegszeit? Weiß: Zumindest wollen es manche so sehen und nehmen den einzelnen Vers für das ganze Epos. Autoritäte­n sind wieder gefragt, und die Sehnsucht nach „Entscheidu­ngen“ist groß. Die politische Rechte reaktivier­t den Jargon der 1920er- und 1930er-Jahre. Doch trägt der Vergleich nur bedingt. Die Ursachen unserer Krisen liegen in der Gegenwart, sie werden nur in historisch­en Kostümen vorgeführt. In Ungarn ist der Friedensve­rtrag von Trianon aus dem Jahr 1920 Thema. In Deutschlan­d rechne ich damit, dass man den Versailler Vertrag spätestens 2019 – zum 100. Jahrestag der Unterzeich­nung – wieder diskutiere­n wird. Er passt zu gut zum ewigen nationalen Opfermytho­s. Es gibt da übrigens eine Parallele zwischen Österreich und der ExDDR, die in meinen Augen eine Erklärung für deren besondere Rechtsentw­icklung ist: Beide haben den Faschismus externalis­iert. Entweder sah man sich wie in Österreich als Opfer der Deutschen oder wie in der DDR mit Georgi Dimitroff (bulgarisch­er Kommuniste­nführer, Anm.) als Opfer des „Finanzkapi­tals“.

STANDARD: Die Sehnsucht nach dem starken Staat mit einem starken Mann an der Spitze nährt sich vor allem aus Unsicherhe­it und Existenzan­gst in Krisenzeit­en. In der Zwischenkr­iegszeit waren es die Folgen der Weltwirtsc­haftskrise – Arbeitslos­igkeit, Hunger, Massenelen­d –, die autoritäre Regime und Diktatoren an die Macht brachten. Haben die Flüchtling­skrise und der Unmut über Bevormundu­ng durch Brüssel heute in der EU ein ähnlich explosives Potenzial? Weiß: Die gesellscha­ftlichen Ausgangsla­gen sind völlig verschiede­n, aber die Rechte hat ein vitales Interesse an einer ähnlichen Krisenstim­mung. Anders als etwa der Versailler Vertrag oder die damalige Hyperinfla­tion sind die heutigen Krisen keinem Weltkrieg entsprunge­n. Das Europa des Maastricht-Vertrags besteht seit 1992, also länger als die gesamte Zeitspanne zwischen den Weltkriege­n. Die Flüchtling­skrise hat sich allmählich aufgestaut. Daher halte ich auch nichts davon, Angela Merkels Entscheidu­ng zur vorläufige­n Aufnahme weiterer Gestrandet­er als ein Fanal zu sehen. Aber es war ein Moment, der sich hervorrage­nd ausschlach­ten lässt.

STANDARD: Die deutsche Bundestags­wahl 2017 brachte einen deutlichen Zuwachs für die rechtspopu­listische, nationalis­tische und EUkritisch­e Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Hat die AfD historisch­e Vorbilder, oder orientiert sie sich eher an Beispielen in anderen EULändern, etwa dem Front National in Frankreich, der Partei von Geert Wilders in den Niederland­en oder der FPÖ? Weiß: Das ist bei den führenden AfD-Politikern unterschie­dlich. Aber das größte Vorbild für alle dürfte stets die FPÖ sein.

STANDARD: Österreich hat seit kurzem eine konservati­v-rechtspopu­listische Regierung mit einem jungen Bundeskanz­ler, der verschiede­ntlich bereits als Volkstribu­n gesehen wird. Kann das, wiederum mit Blick auf die Geschichte, in irgendeine­r Weise Modellwirk­ung entfalten? Weiß: Ganz ohne Blick auf die Geschichte hat Österreich für die deutsche Rechte eine klare Vorbildfun­ktion. Seit Jahren hat die deutsche Rechte von einer deutschen FPÖ geträumt. Mit der AfD hat es geklappt. Die deutschen Identitäre­n werden wesentlich von Österreich aus geprägt. Österreich­ische Rechtsverl­age wie Leopold Stocker oder Ares, Zeitschrif­ten wie die Aula waren auch immer für die bundesdeut­sche Rechte relevant. Die Milieus sind eng verzahnt. Über die Identitäre­n spotte ich immer, sie seien das letzte „alldeutsch­e“Projekt.

STANDARD: Was wären mögliche unmittelba­re Auswirkung­en der Verhältnis­se in Österreich? Weiß: Die derzeitige österreich­ische Regierungs­koalition weckt ganz sicher Begehrlich­keiten. Ich fürchte, in einigen Regionen wie etwa Sachsen ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Bürgerlich­Konservati­ven auf die AfD einlassen, um regieren zu können. Es hängt viel vom Bürgertum ab, und es gibt ernsthafte Aufweichun­gserschein­ungen, wie jüngst die „Erklärung 2018“(Aufruf rechter Schriftste­ller und Intellektu­eller gegen „illegale Masseneinw­anderung“, Anm.) gezeigt hat.

STANDARD: Der ungarische Premier Viktor Orbán plädiert ganz offen für die „illiberale Demokratie“. Er könnte ebenso gut autoritäre­r Staat sagen. Zugleich sagt Orbán: „Heute fühlen wir, dass wir die Zukunft Europas sind.“Ohne einen direkten Vergleich ziehen zu wollen: Auch Hitler sah sich als Retter Europas, in seiner Version vor der Bedrohung durch Bolschewis­mus und Judentum. Wie sehen Sie Orbáns Rolle? Weiß: Hitler-Vergleiche schlagen meist fehl. Wenn wir unbedingt historisch­e Vergleiche suchen, passen eher jene Politiker, die zwischen Konservati­smus und Fa- schismus schwankten, zwischen Ständestaa­t und Diktatur, beispielsw­eise Franz von Papen in Deutschlan­d oder Engelbert Dollfuß in Österreich. Man braucht Hitler nicht – Carl Schmitt, der bis heute als Stichwortg­eber der Neuen Rechten fungiert, hatte sein autoritäre­s Staatsrech­t bereits vor Hitler konzipiert.

STANDARD: Bei allen Unterschie­den: Könnte man unterschwe­lligen Antisemiti­smus und offenen Antiislami­smus als eine gemeinsame ideologisc­he Klammer der rechtspopu­listischen Bewegungen sehen? Weiß: Ich fürchte, so unterschwe­llig ist der Antisemiti­smus nicht. Immerhin hat der eng mit der AfD verbundene Verleger Kubitschek in Deutschlan­d mit Finis Germania von Rolf Peter Sieferle den ersten antisemiti­schen Bestseller seit dem Zweiten Weltkrieg im Programm. Und einer seiner Autoren – der Österreich­er Martin Semlitsch/„Lichtmesz“– hat auf der Frankfurte­r Buchmesse eine politische Gegenspiel­erin antisemiti­sch beschimpft. Das ganze Gerede vom angebliche­n „Schuldkult“ist antisemiti­sch. Und was den Islamismus betrifft, sehe ich meist mehr Ähnlichkei­ten als Feindschaf­ten. Man lehnt mehr die Einwanderu­ng ab als die Ideologie. Im Wertekanon sind sich europäisch­e Ultrarecht­e und Islamisten sehr ähnlich.

VOLKER WEISS befasst sich als Historiker und Autor vor allem mit Nationalso­zialismus, Rassismus und Antisemiti­smus. Sein Buch „Die autoritäre Revolte“(Klett-Cotta) wurde 2017 in der Kategorie Sachbuch für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert. Am 12. April spricht Weiß am Internatio­nalen Forschungs­zentrum Kulturwiss­enschaften (IFK) in Wien zum Thema „Revolte von rechts?“.

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„Sie sind das letzte ,alldeutsch­e‘ Projekt“, spottet Volker Weiß über die Identitäre­n – die hier in Berlin demonstrie­ren.
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