Der Standard

Als Dortmund aus der Spur geriet

Ein Jahr nach dem Sprengstof­fanschlag gegen den Mannschaft­sbus leidet der deutsche Bundesligi­st Borussia Dortmund noch immer unter den Folgen. Auch die sportliche Labilität der Mannschaft von Peter Stöger wird auf den 11. April 2017 zurückgefü­hrt.

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Dortmund – Platzt irgendwo ein Luftballon, rollt unerwartet ein Bus heran, geht es wieder einmal zum Stadion – dann sind die Bilder wieder da. Die Bilder vom 11. April 2017, als neben dem zum Europacuph­eimspiel gegen den AC Monaco fahrenden Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund drei Sprengsätz­e gezündet wurden. Kapitän Marcel Schmelzer sagt, dass er heute noch bei lauten Geräuschen zusammenzu­cke. „Ich habe die Angst in den Gesichtern gesehen. Ich versuche, es wegzuschie­ben. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen man daran denkt, was für ein Glück wir hatten.“

Der spanische Verteidige­r Marc Bartra, inzwischen zum FC Sevilla gewechselt, erlitt damals einen Armbruch und Fremdkörpe­reinspreng­ungen, ein begleitend­er Polizist ein Knalltraum­a. Das waren nur die unmittelba­ren körperlich­en Folgen eines Abends, der alle Spieler und den gesamten Verein tief erschütter­t hat. Die psychische­n sind immer noch zu spüren. „Wir müssen das irgendwie verarbeite­n“, sagte Sportdirek­tor Michael Zorc am vergangene­n Sonntag nach dem Heimsieg der Elf von Coach Peter Stöger gegen Stuttgart (3:0). „Durch die Gerichtste­rmine kam natürlich einiges wieder hoch.“

Am 8. Jänner hatte Sergej W. vor dem Landgerich­t Dortmund gestanden, die Sprengsätz­e neben dem Mannschaft­sbus gezündet zu haben. Tötungsabs­icht habe er keine gehabt. Sein Motiv soll Habgier gewesen sein, mutmaßlich wollte er mit kreditfina­nzierten Put-Optionen nach seiner Tat am sinkenden Kurs der Aktie des Vereins verdienen. Ein Beitrag im STANDARD- Forum half seinerzeit, W. auf die Spur zu kommen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm unter anderem versuchten Mord in 28 Fällen vor.

Mehrere Spieler berichtete­n im Zeugenstan­d von ernsten Schlafprob­lemen. Die Frage, inwiefern der Anschlag ein Jahr danach für sportliche Probleme verantwort­lich zu machen ist, bleibt schwierig zu beantworte­n. Auffällig ist: Die Mannschaft fällt bei geringsten Rückschläg­en wie ein misslungen­es Soufflé in sich zusam- men – gelingt aber ein glückliche­s Tor, kann sie plötzlich spielen wie Bayern München.

Den Verein geriet infolge des Attentats in sportliche Schieflage. An der Frage, ob es richtig war, die Mannschaft schon am Tag nach der Todesangst wieder in der Champions League gegen Monaco antreten zu lassen – sie verlor 2:3, –, entzündete sich ein Streit zwischen Trainer Thomas Tuchel und Geschäftsf­ührer HansJoachi­m Watzke, der nicht im Bus gesessen hatte. Am Ende musste Tuchel den BVB verlassen.

Tuchel war selbst vor Gericht als Zeuge geladen. Im Gegensatz zum zu Arsenal gewechselt­en Gabuner Pierre-Emerick Aubameyang, der sich abgemeldet hatte, erschien er auch. Er leide an keinen körperlich­en oder psychologi­schen Spätfolgen, sagte der Schwabe, allerdings sei seiner Ansicht nach der Anschlag ein Grund für seine Entlassung gewesen. „Davon würde ich ausgehen“, sagte er auf die Frage, ob er ohne das Trauma vom 11. April über den Sommer Trainer geblieben wäre.

Just am Tag vor dem Jahrestag behauptete L’Equipe, dass der 44-Jährige ein neues Engagement hat – für zumindest zwei Jahre bei Paris Saint-Germain. (sid, lü)

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Foto: AP / Martin Meissner Der beim Anschlag deutlich lädierte Mannschaft­sbus des BVB zeugte vom großen Glück, das die Mehrzahl der Spieler hatte.

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