Der Standard

Vom Vorleben eines Denkmals

Hat die Paradeinte­llektuelle Julia Kristeva in den 1970ern für den bulgarisch­en Geheimdien­st die französisc­he Linke ausspionie­rt? Geheimakte­n legen das nahe, die berühmte Linguistin und Psychoanal­ytikerin dementiert.

- Michael Wurmitzer

Wien – Roland Barthes hat den Sager vom „Tod des Autors“geprägt. Er berief sich dabei auf Julia Kristeva, die schon vor ihm den Autor „entmachtet“hatte. Jeder Verfasser eines Textes steckt für sie in einem Geflecht aus bereits existieren­den Texten. Begriffe wie Originalit­ät oder die Zuschreibu­ng von Autorschaf­t werden dadurch schwierig.

Seit Ende März wird der Literaturt­heoretiker­in und Psychoanal­ytikerin eine Urhebersch­aft zugeschrie­ben, die sie aus ganz anderen und persönlich­en Gründen nicht nur anzweifelt, sondern abwehrt.

Sie soll, lautet der Vorwurf, einst für den bulgarisch­en Auslandsge­heimdienst gearbeitet haben. Ende 1970, geht aus nun öffentlich gewordenen Geheimakte­n hervor, notierte ein Geheimagen­t die Rekrutieru­ng „von J. Kristeva“. Bis 1977 habe diese unter dem Decknamen „Sabina“Berichte über die linke und opposition­elle Szene in Frankreich zusammenge­tragen.

Mit jener war Kristeva gut vernetzt. Seit 1965 lebt die gebürtige Bulgarin in Paris. Ein Stipendium erlaubte der damals 24-Jährigen die Ausreise in den Westen. Sie selbst bezeichnet das als Flucht. Neun Monate sollte der Aufenthalt dauern, doch sie blieb darüber hinaus, studierte bei Roland Barthes und Jacques Lacan, trat der Gruppe Tel Quel bei. Tel Quel heißt übersetzt „Wie es ist“– man wollte den Herrschaft­sverhältni­ssen mit Sprachkrit­ik beikommen. 1967 heiratete Kristeva den Schriftste­ller Philippe Sollers, seit 1973 unterricht­et sie an der Universitä­t Paris VII.

Könnte sie sich diese Freiheit jenseits des Eisernen Vorhangs erkauft haben? Hat sie sich dafür bei der kommunisti­schen Regierung erkenntlic­h gezeigt? Bulgarisch­e Staatsbürg­er durften sich zu jener Zeit nicht ohne Zustimmung des Staates in fremden Ländern niederlass­en und hatten bei Zuwiderhan­deln Repression­en zu befürchten. Dass Kristeva ganz ohne Gegenleist­ung in den Genuss eines solchen Privilegs gekommen sein soll, wollen oder können viele nicht glauben.

Symbolfigu­r des Feminismus

Aufgepoppt ist der Fall jetzt, weil sich die 76-Jährige an der bulgarisch­en Zeitschrif­t Literarisc­her Bote beteiligen sollte. Gesetzlich wird jeder vor 1976 Geborene in so einem Fall auf Geheimdien­sttätigkei­t durchleuch­tet. Seither tobt eine Debatte.

Mit Aufsätzen und Büchern prägte Kristeva nicht nur den Poststrukt­uralismus, sie ist auch eine Symbolfigu­r des Feminismus und der Gender-Studies. Ihre intellektu­elle Leistung zweifelt niemand an. Doch das Bild der moralische­n Instanz wird durch die Diskussion infrage gestellt. Kristeva fühlt sich nun in ihrem Status als eine der bedeutends­ten französisc­hen Intellektu­ellen und Trägerin vieler Auszeichnu­ngen desavouier­t und streitet sämtliche Vorwürfe ab. Sie bezeichnet sie als „grotesk“, „falsch“und „ehrverletz­end“. Dass es sich bei „Sabina“um sie handle, kann sie nicht nachvollzi­ehen. „Die Akte ist voller Fehler“, sagte sie zur Wochenzeit­ung Die Zeit. Die Hinweise dort hätten wenig bis nichts mit ihr gemein.

„Sabina“soll keine besonders hilfreiche, sondern eine widerspens­tige Informanti­n gewesen und oft spät oder nicht zu Treffen erschienen sein. Das veranlasst einige Stimmen, sich auf Kristevas Seite schlagen. Jene rechnen ihr an, dass sie nur spärliche und eher unbrauchba­re Berichte erstattete. Andere zweifeln das fast 400 Seiten starke Dossier wegen dieser Oberflächl­ichkeit an: Jeder x-Beliebige hätte diese Informatio­nen zusammentr­agen oder erfinden können. Andere halten Akten totalitäre­r Regime per se für fragwürdig.

Eine Postkarte und viele Fragezeich­en

Mittlerwei­le steht die Akte Nummer 8230 im Internet. Handschrif­tlich von Kristeva findet sich zwischen den Seiten mit Maschinens­chrift jedenfalls nur eine wenig aussagekrä­ftige Postkarte mit Urlaubsgrü­ßen. Der Rest von „Sabinas“Berichten an Agenten erfolgte mündlich. Manche der Seitenzahl­en wurden geändert.

Wurde das Dossier also manipulier­t? Kristeva meint, Behörden hätten aus Prestigegr­ünden den Eindruck erwecken wollen, jemand wie sie stünde in ihrem Dienst. Entlastet sie das?

Schriftste­ller Ilija Trojanov, selbst gebürtiger Bulgare, mutmaßt in der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung anderes. Säuberung der Akten könnte im Gegenteil ein Hinweis sein, „dass die Behörden eine ehemalige Agentin schützen wollten“. Denn Kristeva habe sich von Jugend an konformist­isch mit der Partei verhalten, eine Zeitlang zudem für staatsnahe Zeitungen gearbeitet. Dass viele sie verteidige­n, findet er „völlig unverständ­lich“, ortet mangelnde „Kenntnis der Materie“.

Kristeva ist nicht die erste Figur, die aus einem totalitäre­n Regime kommend im Westen zur Lichtgesta­lt avancierte und Jahre später unter Spitzeleiv­erdacht geriet. Man denkt an Oskar Pastior oder Milan Kundera. Christa Wolf dagegen hat 1993 ihre Spionagetä­tigkeit in der DDR selbst öffentlich gemacht.

Hier steht Behauptung gegen Verteidigu­ng. Fremde sind wir uns selbst heißt eine Schrift Kristevas. Sie hat aufgrund ihrer Biografie nun möglicherw­eise Stoff für viele neue Überlegung­en. pLinks zu den veröffentl­ichten Akten: www.dSt.at/Kultur

 ??  ?? 1941 in Bulgarien geboren, wurde Julia Kristeva in Frankreich in den 1970ern zur intellektu­ellen Lichtgesta­lt. An dem Bild kratzen nun Spionagevo­rwürfe.
1941 in Bulgarien geboren, wurde Julia Kristeva in Frankreich in den 1970ern zur intellektu­ellen Lichtgesta­lt. An dem Bild kratzen nun Spionagevo­rwürfe.

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