Der Standard

Viel Kritik an, aber wenig rechtliche Bedenken gegen Deutschkla­ssen

Nur die Wirtschaft­skammer und das Land Niederöste­rreich finden Gefallen am Gesetzesen­twurf – nicht vorbehaltl­os

- Oona Kroisleitn­er, Karin Riss

Wien – Auch die am letzten Tag der Begutachtu­ngsfrist eingelangt­en Stellungna­hmen zur geplanten Einführung von separaten Deutschkla­ssen für Kinder mit Sprachdefi­ziten konnten das Ruder nicht mehr rumreißen: Zwar spricht sich etwa die Wirtschaft­skammer ganz klar dafür aus, Volksschül­er im Ausmaß von 15 Wochenstun­den und Schüler der Sekundarst­ufe I für 20 Stunden pro Woche aus dem Klassenver­band herauszune­hmen, um ihnen maximal vier Semester lang intensive Deutschför­derung zuteilwerd­en zu lassen. Aber selbst hier moniert man Verbesseru­ngsbedarf: So kommt der Interessen­vertretung die Beteiligun­g der Erzie- hungsberec­htigten im vorliegend­en Entwurf von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) zu kurz. Präsident Chrisoph Leitl fordert für Eltern, die sich weigern beim Spracherwe­rb der Kinder mitzuwirke­n, „verwaltung­sstrafrech­tliche Konsequenz­en“.

Blau-gelbe Geldsorgen

Auch die niederöste­rreichisch­e Landesregi­erung scheint grundsätzl­ich zufrieden. Einziger und gewichtige­r Einwand: Der mit der Einführung der Deutschför­derklassen befürchtet­e Personalme­hraufwand müsse vom Bund finanziell abgegolten werden.

Alle weiteren Stellungna­hmen kritisiere­n im Wesentlich­en folgende Punkte ( DER STANDARD berichtete): Das Vorhaben stünde dem eben beschlosse­nen Autonomiep­aket entgegen. Segregatio­n widersprec­he allen Studien zum Spracherwe­rb. Außerdem sei ein Wiederhole­n der Jahrgangsk­lasse nach erfolgreic­her Absolvieru­ng der Deutschför­derklasse faktisch eingeplant. Und den Schulen fehle der Platz. Der Städtebund rechnet vor: Allein in Graz gäbe es künftig einen Mehrbedarf von mindestens 48 Klassen, womöglich aber bis zu 102 Klassen.

An der Pädagogisc­hen Hochschule Steiermark wundert man sich, dass weder für „fachlich fundierte Sprachstan­dsbeobacht­ungsverfah­ren“noch für die Qualifikat­ion von Lehrkräfte­n finanziell­e Mittel vorgesehen sind.

Die Stadt Wien hatte bereits am Dienstag „verfassung­srechtlich­e Bedenken“gegenüber dem Gesetz geäußert. Laut SP-Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky würde die strikte Vorgabe des Bundes, dass eine Deutschkla­sse ab einer Zahl von sechs Schülern einzuricht­en ist, in die Länderkomp­etenz eingreifen. So bestimmt Artikel 14 der Bundesverf­assung, dass die Grundsatzg­esetzgebun­g über die äußere Organisati­on der öffentlich­en Pflichtsch­ulen in der Zuständigk­eit des Bundes liegt, die Länder hingegen für die Ausführung­sgesetze zuständig sind.

Explizit genannt werden im sogenannte­n Schulparag­rafen auch die Klassensch­ülerzahlen. „Der Landesgese­tzgeber hat nun keinen Spielraum mehr“, kritisiert Robert Oppenauer, Leiter der Magistrats­abteilung 56 – Wiener Schulen. Nicht nur die Mindestgrö­ße, auch die Bestimmung an sich stößt dem Juristen auf. „Das Problem ist die zwingende Regelung, die den Landesgese­tzgeber daran bindet, Klassen einzuricht­en“, sagt Oppenauer.

Rechtliche­r Spielraum

Anders sieht das Verfassung­sjurist Bernd-Christian Funk. Ja, die Festlegung einer konkreten Zahl sei wohl eine Detailrege­lung, die den Ländern nur wenig Spielraum lässt, erklärt der Jurist. Allerdings handle es sich bei der Schülerzah­l um eine Mindestzah­l. Der Bund habe auch früher schon Höchstzahl­en bestimmt. Dass das Gesetz ein Eingriff in die Kompetenze­n der Länder ist, ist für Funk „zweifelhaf­t“.

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