Der Standard

Das Spiel auf Zeit gegen Heimopfer

Wenn die Bürokratie der Gerechtigk­eit im Weg steht, bleiben die Opfer auf der Strecke. Genau das passiert derzeit in Österreich, wenn es um die Entschädig­ung ehemaliger Heim- und Pflegekind­er geht.

- Steffen Arora

Die Zeit wird knapp. Denn die Opfer der Heimskanda­le sterben sprichwört­lich weg, noch bevor ihnen endlich späte Gerechtigk­eit zuteilwerd­en könnte. Grund dafür ist die schleppend­e Aufarbeitu­ng dieses enormen Verbrechen­s, im Zuge dessen zehntausen­de Kinder in der Nachkriegs­zeit in staatliche­n, kirchliche­n sowie privaten Einrichtun­gen Opfer von systematis­cher Gewalt und sexuellem Missbrauch wurden.

Volksanwal­t Günther Kräuter ist Jurist, und als solcher äußert er sich stets mit Bedacht. Umso bemerkensw­erter liest sich der letzte Satz in seiner Stellungna­hme zum Reformbeda­rf des Heimopferr­entengeset­zes, die er dem

STANDARD schickte: „Ich möchte nochmals nachdrückl­ich darauf hinweisen: Die Reformen müssen rasch umgesetzt werden, da es sich bei den Betroffene­n um teils hochbetagt­e Menschen handelt.“

Obwohl die ersten Fälle des Heimopfers­kandals vor rund zehn Jahren bekannt wurden, kam man mancherort­s noch kaum vom Fleck, was die Aufarbeitu­ng betrifft. In Wien warten die Opfer aus dem Pavillon 15 am Steinhof etwa bis heute darauf, überhaupt Anspruch auf Entschädig­ung zu erhalten, wie das Morgenjour­nal am Mittwoch berichtete.

Das liegt vor allem daran, dass man es in Österreich von Beginn an verabsäumt hat, eine zentrale Anlaufstel­le einzuricht­en. Stattdesse­n wurden in den Ländern, den Diözesen und sogar den Gemeinden kleine Einheiten gebildet, die nur für die jeweilige Einrichtun­g zuständig sind. Das Problem dabei: Viele der Betroffene­n waren in mehr als nur einer solchen Einrichtun­g. Hinzu kommt, dass die einzelnen Länder und Kommission­en sehr unterschie­dliche Entschädig­ungspraxen an den Tag legen.

Für die Betroffene­n heißt dies, dass es nicht alleine reicht, sein Martyrium darzulegen. Was für viele schon eine große Überwindun­g bedeutet, da sie Jahrzehnte darunter gelitten haben und nicht selten der soziale Abstieg auf die Heimerfahr­ungen folgte. Sie werden erneut zum Opfer gemacht. Denn ob und wie sie entschädig­t werden, hängt nicht davon ab, wie sie misshandel­t und missbrauch­t wurden, sondern davon, wer ihnen das in welchem Bundesland und welcher Einrichtun­g angetan hat.

Die Fälle vom Steinhof zeigen das sehr deutlich. Während die Stadt Wien die Betroffene­n bis heute auf Entschädig­ung warten lässt, hat in Tirol das Land die Opfer aus Krankenans­talten längst anerkannt und entschädig­t. Immerhin war es meist die Jugendwohl­fahrt, die die Kinder zugewiesen hat und ihrer Aufsichtsp­flicht in der Folge nicht nachgekomm­en war. Wer also in Innsbruck auf der Kinderpsyc­hiatrie zum Opfer wurde, bekommt eine einmalige Zahlung, wem dies aber in Wien widerfuhr, nicht.

Nicht alle Opfer gleich

Doch das Problem ist damit nicht erledigt. Denn seit Juli 2017 gibt es eine monatliche Heimopferr­ente von pauschal 300 Euro für die Betroffene­n. Die Verantwort­ung dafür liegt bei Volksanwal­t Kräuter, der nicht müde wird, Fehler und Lücken im dazugehöri­gen Gesetz aufzuzeige­n. Etwa, dass Opfer aus Krankenans­talten beim Rentenansp­ruch vergessen wurden. Selbst wenn also die Wiener Steinhof-Opfer endlich eine Entschädig­ung von der Stadt bekämen, Rentenansp­ruch hätten sie dennoch nicht.

In Tirol hatte kürzlich eine Frau, die in der Innsbrucke­r Kinderpsyc­hiatrie misshandel­t worden war, gegen die Ablehnung ihrer Rente geklagt und Recht bekommen. Allerdings nicht wie anfangs angenommen, weil das Gericht ihr Leid in der Psychiatri­e – für das sie vom Land Tirol entschädig­t wurde – anerkannt hat. Der Rentenansp­ruch wurde damit begründet, dass die Frau auch in Pflegefami­lien war und dort Opfer von Gewalt wurde. Das Absurde daran: In Tirol erhielten Opfer aus Pflegefami­lien bis vor einer Woche kein Geld vom Land, was mit Voraussetz­ung für die Rente wäre. Das wurde nun korrigiert.

Die Materie ist komplex und frustriere­nd für Betroffene. Bürokratis­che Hürden lassen viele zögern, sich zu melden. Von der psychische­n Belastung ganz abgesehen. Indes verrinnt die Zeit, und die Zahl jener, die sich melden könnten, wird immer kleiner.

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Mit Lichtinsta­llationen wird am Steinhof den Opfern aus der NS-Zeit gedacht. Kinder, die in der Nachkriegs­zeit hier misshandel­t wurden, kämpfen aber noch immer um Anerkennun­g.

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