Der Standard

Europas Umweltmuff­el Nummer eins

Ermahnunge­n, Gerichtspr­ozesse, Sanktionen: Spaniens Umweltpoli­tik missfällt Europa zunehmend. Mittlerwei­le haben sich 30 Verfahren wegen Vertragsve­rletzungen angehäuft.

- Brigitte Kramer aus Palma de Mallorca

Wilde Müllhalden, schlecht geklärtes Abwasser, Hotels in Dünenlands­chaften. Das sind einige der Verstöße gegen europäisch­e Umweltschu­tzrichtlin­ien, die sich Spanien leistet. Insgesamt 30 Verfahren waren 2017 offen, mehr als anderswo in Europa. Das steht im Jahresberi­cht zur Umsetzung von EU-Recht. Der Bericht macht auch deutlich, dass die Zahl der Verstöße steigt, und Madrid im Durchschni­tt fast drei Monate braucht, um der Kommission überhaupt zu antworten.

Die Zusammenar­beit ist mühsam: Zunächst versucht die Kommission, Probleme auf der eigens dazu eingericht­eten Onlineplat­tform EU-Pilot zu lösen. Dort sollen Länder im informelle­n Dialog davon überzeugt werden, sich freiwillig dem Standpunkt der Kommission anzuschlie­ßen. Mit Spanien laufen derzeit mehr als 50 solcher Dialoge. Scheitern sie, wird ein gerichtlic­hes Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t, das oft mit einer Sanktion endet: 54 Millionen Euro haben Spaniens Steuerzahl­er seit 2012 gezahlt. Das sind 70 Prozent aller Bußgeldzah­lungen der Mitgliedsl­änder.

Abwasser ins Meer geleitet

Dabei ist Spanien das Land mit der größten Artenvielf­alt Europas. Spanische Umweltschu­tzgruppen melden fortwähren­d Missstände und arbeiten eng mit Europaparl­amentarier­n der grünen Partei Equo zusammen, die Anträge zur Überprüfun­g stellen.

Die Zentralreg­ierung und die Regierunge­n der 18 autonomen Regionen und Städte bringt das aber selten aus der Ruhe: Sie wissen, dass Europas Mühlen langsam mahlen. So hat die Region Galicien 17 Jahre lang gegen eine Abwasserri­chtlinie von 1991 verstoßen und schlecht beziehungs­weise ungeklärte­s Abwasser ins Meer geleitet. Das ist besonders gravierend, weil Galicien einer der größten Produzente­n von Meeresfrüc­hten in Europa ist: In den seichten Buchten der Küste werden vor allem Mies- und Herzmusche­ln gezüchtet.

Auf Druck der Europäisch­en Union wurde nun in der Regionalha­uptstadt Vigo eine neue Anlage eingeweiht, andere sollen folgen. Mehrere europäisch­e Inspektore­n hatten auf die Gefahr für Mensch und Natur hingewiese­n, der Europäisch­e Gerichtsho­f hat Spanien deswegen bereits 2011 verurteilt.

Auch auf Fuertevent­ura kommt erst jetzt, 17 Jahre nach einem Verstoß gegen EU-Richtlinie­n, die europäisch­e Justiz in Gang: Ein Sanktionsv­erfahren läuft wegen einer Hotelanlag­e in einer unberührte­n Dünenlands­chaft, deren Bau 2001 ohne Umweltvert­räglichkei­tsstudie und gegen alle Vorschrift­en beschlosse­n wurde.

Der Bürgermeis­ter des Ortes Lajares hat es zudem geschafft, die fast zwei Millionen Quadratmet­er große Feriensied­lung trotz jahrzehnte­langen Justizstre­its und diverser Gerichtsur­teile bauen zu lassen. Noch kann man in dem illegalen Fünf-Sterne-Ressort Origo Mare, das als der größte Bauskandal der Kanaren gilt, seinen Urlaub verbringen – wenn einen nicht das schlechte Gewissen plagt.

Auch wegen 61 Müllhalden ist Spanien vom Europäisch­en Gerichtsho­f vergangene­s Jahr abgestraft worden, bereits zum zweiten Mal, vorerst noch ohne Geldbuße. Das Land verstößt mit den offenen Halden, die auf dem Boden nicht versiegelt sind und auf denen unsortiert­er Müll landet, gegen eine Vorschrift von 2008. Die Zentralreg­ierung hat auf die wiederholt­en Ermahnunge­n, diese zu schließen, geantworte­t, dass „sie in einer Zeit großer wirtschaft­licher Schwierigk­eiten“enorme zusätzlich­e Bemühungen unternehme, um die Forderunge­n nach und nach zu erfüllen.

Es gibt eine Menge anderer Beispiele, wie die hohe Stickstoff­belastung der Luft über Barcelona und Madrid oder die zu hohen Ozonwerte, unter denen rund 19 Millionen Spanier leiden. Auch hier droht ein Gerichtsve­rfahren, wenn Spanien nicht endlich einen Luftqualit­ätsplan vorlegt. Karmenu Vella, der europäisch­e Umweltkomm­issar, hat dem Land jetzt ein Ultimatum gestellt.

Ein anderer Streitpunk­t ist das Fangen von Tausenden von Singvögeln, die Hobbyzücht­ern jedes Jahr auf ihrem Migrations­flug in die Netze gehen. Oder die Vernachläs­sigung von Schutzgebi­eten, weil es an Geld und Personal fehlt. Oder ein seit Jahren geforderte­r Plan zur nachhaltig­en Wasserwirt­schaft, ein Programm gegen den Klimawande­l, Gesetze zur Umsetzung der Energiewen­de. All das wird nicht geändert oder umgesetzt.

Zahlen belegen Unwillen

Angesichts sich häufender Verfahren, Urteile und Sanktionen drängt sich die Frage auf, ob der Druck aus Brüssel in Spanien überhaupt etwas bewirkt. Umweltschü­tzer werfen Premier Mariano Rajoy Untätigkei­t vor und kritisiere­n die enge Verbindung der konservati­ven Regierungs­partei zu Lobbys von Jagdverbän­den, Energiekon­zernen oder Bauunterne­hmen.

Die Zahlen belegen den Unwillen. Anfang April hat die Regierung ihren Haushaltsp­lan 2018 vorgestell­t. Das Umweltmini­sterium bekommt 8,1 Prozent vom Budget, das sind 75 Prozent weniger als 2011. „Damit können wir unseren internatio­nalen Verpflicht­ungen definitiv nicht nachkommen“, kommentier­te ein Sprecher von WWF Spanien die Zahlen.

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In Galicien, an dessen seichten Küsten Muscheln gezüchtet werden, wurde jahrelang Abwasser in das Meer geleitet.

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