„Europa schafft sich seine Flüchtlinge“
Das Wirtschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und Afrika sollte den Markt öffnen und die Entwicklung ankurbeln. Stattdessen habe es zu mehr Arbeitslosen und Armut in der Region beigetragen, meinen Kritiker. Sie fordern mehr regionalen Handel.
Wien/Brüssel – „Europa retten ist Afrika retten“, sagte der österreichische Europaparlamentarier Heinz Becker vor zwei Jahren in Brüssel. Wie einige andere forderte er einen Marshallplan, um die Wirtschaft anzukurbeln und Migrationsursachen zu bekämpfen. Genau jene Migrationsströme erzeuge sich die Europäische Union (EU) aber auch selbst, durch Handelsabkommen mit Afrika, meint Jane Seruwagi Nalunga, Handelsexpertin aus Uganda, die am Mittwoch für eine Diskussionsveranstaltung nach Wien kam.
Rund sechzehn Jahre ist es her, seit die EU mit sieben Gruppen der sogenannten Afrika-PazifikLänder über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen verhandelt (WPA).
Konkret geht es darum, die Zölle der einzelnen Staaten zu reduzieren und die Märkte für den internationalen Handel zu öffnen, um den Handel auf die Grundlage der Welthandelsorganisation (WTO) zu stellen. Spätestens 2008 sollten die Verhandlungen eigentlich abgeschlossen sein, bis heute ziehen sie sich hin: 2015 wurde das WPA mit Westafrika unterzeichnet, 2016 trat das Abkommen mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika in Kraft, einige andere afrikanische Staaten haben bilaterale Abkommen mit der EU geschlossen. Auch weil die EU Druck ausübte, etwa durch die Androhung von Strafzöllen auf afrikanische Produkte, meint Nalunga.
Das Ziel des Abkommens ist es, 82 Prozent der europäischen Einfuhren nach Afrika zu liberalisieren. Das sei mehr als die Vorgaben der WTO, so Nalunga. So bestehe die EU zusätzlich darauf, dass keine neuen Ausfuhr- und Schutzzölle verabschiedet werden dürfen, Ausnahmen seien nur unter äußerst strengen Bedingungen möglich. Vor allem gehe es der EU aber darum, den Zugang zum wertvollen afrikanischen Rohstoffmarkt offen zu halten.
Aus europäischer Sicht heißt es, das Abkommen ermögliche eine Win-win-Situation, bei der die Partnerländer Arbeitsplätze vor Ort schaffen können. Durch eine Übergangsfrist von 20 Jahren haben die Staaten Zeit, sich auf die Öffnung des Marktes einzustellen. Außerdem kann durch einen stärkeren Austausch die Einhaltung von Sozialstandards und Menschenrechten eingefordert werden.
Dumping durch EU-Produkte
Kritiker entgegnen, dass eine 20-jährige Übergangsfrist eine relativ kurze Zeit ist, weil sich die Veränderungen nur schwer wieder umkehren lassen. „Das Argument lautet so: Wird der Handel geöffnet, gibt es Produkte zu einem billigeren Preis. Allerdings kann es sein, dass wir nie in der Lage sein werden, die Produkte selbst herzustellen“, sagt Nalunga.
Durch Zölle können spezielle Sektoren und Produkte geschützt werden, sodass eine Wertschöpfung im eigenen Land entsteht. Das Abkommen würde hingegen dazu beitragen, die heimische Industrie zu zerstören, wie es beispielsweise mit der Textilindustrie in Uganda passiert sei.
Billige und von der EU subventionierte Produkte, etwa aus dem Agrarbereich, würden den afrikanischen Markt überschwemmen.
Zusätzlich gehen den Staaten Zolleinnahmen verloren. Laut Berechnungen des Ökonomen Jacques Berthelot werden die westafrikanischen Länder ab 2020 rund 3,2 Milliarden Euro im Jahr an Zolleinnahmen einbüßen.
Grundsätzlich gilt unter Handelsexperten, dass es sinnvoll sein kann, Sektoren zu schützen, die für Beschäftigung sorgen oder für die Ernährungssicherheit wichtig sind. Liberalisiert werden sollte bei jenen Produkten, die lokal nicht hergestellt werden können oder welche die heimische Industrie unterstützen. Für Nalunga mangelt es aber derzeit gerade an dieser Balance.
Sie plädiert stattdessen für einen stärkeren Handel innerhalb Afrikas. Denn einer der größten Herausforderungen sei noch immer, dass viele afrikanische Staaten mit den ehemaligen Kolonialherren „verdrahtet“seien und mehr mit diesen als mit ihren Nachbarn im Austausch stünden. Laut WTO fand der Handel Afrikas 2016 nur zu knapp zwanzig Prozent innerhalb des Kontinents statt. Fast vierzig Prozent wird mit Europa, etwa 24 Prozent mit Asien gehandelt.
Herausforderungen bestehen auch durch die unterschiedlichen Interessen der afrikanischen Staaten. Sogenannte „Less Developed Countries“(LDCs) erfahren im Handel mit Europa beispielsweise eine privilegierte Behandlung. Ohne das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gilt für sie automatisch das sogenannte „Everything but Arms“-Abkommen: Alle Produkte außer Waffen sollen zollfrei exportiert werden können.
Trotz der unterschiedlichen Interessen haben sich mittlerweile einige regionale Zusammenschlüsse gebildet: So verhandelt die Afrikanische Union mit der Continental Free Trade Area eine Freihandelszone innerhalb Afrikas, durch die ein afrikanischer Binnenmarkt entstehen soll, mit dem der Handel untereinander in Gang kommen könnte.
„Durch einen stärkeren regionalen Handel kann die Wirtschaft gestärkt werden und Arbeitsplätze vor Ort geschaffen werden“, meint Nalunga. „Davon würde am Ende auch Europa profitieren.“