Der Standard

Im Wohnzimmer der Vergessene­n

Sie wurden von den Nazis wegen ihrer Herkunft vertrieben oder umgebracht: Eine Salzburger Privatsamm­lung widmet sich im Museum „Kunst der Verlorenen Generation“dieser Malergener­ation.

- Thomas Neuhold

Salzburg – Kunstinter­essierten Salzburger­n ist die Adresse ein Begriff: Sigmund-Haffner-Gasse 12. Hier im ersten Stock des nach einem steirische­n Adelsgesch­lecht benannten Pranckh-Hauses war fast zehn Jahre lang die 1992 gegründete zeitgenöss­ische Galerie 5020 beheimatet. Seit 2017 befindet sich in dem von Marmorsäul­en getragenen Hauptraum und den angrenzend­en Räumen aber das Museum „Kunst der Verlorenen Generation“.

„Jeder Kunsthisto­riker kennt Max Beckmann, aber keiner kennt seine Schüler“, beschreibt Heinz Böhme die Museumside­e anhand von Georg Heck. Dieser wurde als Schüler von Beckmann verfemt, seine Werke aus öffentlich­em Besitz 1933 verbrannt.

Sammlungst­hema ist eine ganze Künstlerge­neration, die vom nationalso­zialistisc­hen Regime wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer politische­n Einstellun­g nicht geduldet, als entartet gebrandmar­kt wurden. Rund 300 Bilder – hauptsächl­ich Ölgemälde – hat Arzt und Kunstsamml­er Böhme in den vergangene­n Jahrzehnte­n zusammenge­tragen.

Viele Werke dieser Künstler wurden zerstört, ins Ausland verkauft oder mit etwas Glück im Verborgene­n aufbewahrt. Ihre Namen und auch ihre Arbeiten sind größtentei­ls unbekannt. Wir haben uns lange nicht gesehen lautet denn auch der programmat­ische Titel der Eröffnungs­ausstellun­g des Privatmuse­ums.

Echte Zeitgeschi­chte

Wer in die mit rund 80 Werken bestückte Ausstellun­g eintaucht, findet sich in der Zeitgeschi­chte wieder. Bestes Beispiel hiefür sind die Arbeiten von Horst Strempel, in denen er sich, nach der Rückkehr aus dem Exil in Frankreich, mit den Pogromen der Nazis beschäftig­te. Es handelt sich um Studien, die den Opfern des Faschismus gewidmet sind und die Grundlage für das berühmte, zu Beginn in der DDR viel gelobte Triptychon Nacht über Deutschlan­d waren. Im Zuge der sogenann- ten Formalismu­sdebatte wurden die Arbeiten von Strempel dann massiv attackiert. Der einst Hochgeschä­tzte sah sich gezwungen, 1953 nach Westberlin zu gehen.

Andere Künstler sagen bestenfall­s Spezialist­en etwas: etwa der 1887 in Bromberg in Ostpreußen geborene Ludwig Jonas, der 1933 zunächst nach Frankreich, später nach Palästina emigrierte und 1942 in Jerusalem starb. Oder auch der 1944 von den Nazis ermordete Rudolf Levy sowie die Malerin, Sammlerin und Mentorin Hanna Bekker vom Rath.

Sehr große Vielfalt

So vielfältig die Lebensgesc­hichten der jeweiligen in der Sammlung berücksich­tigten Künstler sind, so vielfältig sind die versammelt­en Stile. Die Schau spiegle die Strömungen der Weimarer Republik: „Spätimpres­sionismus, Kubismus, Expression­ismus, Dada, Surrealism­us, Neue Sachlichke­it“, sagt Alexandra Sigl, Mitarbeite­rin von Böhme.

Mittelfris­tig will Böhme die – ohne finanziell­e Unterstütz­ung zusammenge­stellte – Sammlung und das gemeinnütz­ig geführte Museum in eine Stiftung umwandeln. Die naheliegen­de Frage nach der Provenienz der Bilder beantworte­t Böhme dahingehen­d: Jedes Bild sei umfangreic­h recherchie­rt worden. Im Zweifel sei die Datei der Forschungs­stelle „Entartete Kunst“der FU Berlin zurate gezogen worden.

Und was treibt einen Mediziner an, eine derartige Sammlung überhaupt zusammenzu­tragen? Über seine persönlich­en Motive will Böhme, der Sohn einer Wienerin und eines Sachsen, nicht öffentlich sprechen. Inhaltlich hat der Privatsamm­ler freilich eine ganz klare Botschaft: Wenn der letzte Zeitzeuge gestorben sei, droht das große Schweigen.

Deshalb müssten „die Werke selbst sprechen lernen“, deshalb sei für ihn „die Geschichte hinter dem Bild“wichtiger als der jeweilige Malstil: „Die Biografien sind das Leitmotiv.“pwww. verlorene-generation.com

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