Der Standard

Ein Stück vom Ritz

Nicht jeder vermag sich eine Nacht im berühmtest­en Hotel der Welt zu leisten. Dafür kann man nun ein Stück Ritz erstehen: Das von Grund auf renovierte Pariser Hotel versteiger­t sein nicht mehr gebrauchte­s Mobiliar.

- Stefan Brändle aus Paris

Gedämpfte Klänge aus der Pianobar, eilige Liftboys, in den Klubsessel versunkene Stammgäste – es ist wie in jedem Hotelpalas­t. Nein, es ist doch nicht dasselbe. Im Ritz kann man das Attribut „Hotel“auch weglassen. Das Ritz ist das Ritz. Die Briten haben dafür sogar ein Wort geschaffen, sie nennen es „ritzy“– elegant, feudal, vom Feinsten eben.

Gleichzeit­ig ist es leicht, das Ritz zu betreten: durch die Drehtür und dann nach rechts. Es wartet keine protzige Hotellobby, kein geschäftst­üchtiges Lächeln; sogar die Réception findet sich abseits. Nur kein Prunk. Dem deutschen Hoteldirek­tor Christian Boyens liegt an einer „wohnlichen, vertrauten“Atmosphäre: „Viele Leute denken: Wenn Sie nicht Ihre eigene Fabrik besitzen, können Sie hier kein Glas trinken. Völlig falsch.“

Wohnlichke­it ab 1000 Euro

Ein Glas vielleicht. Das günstigste Zimmer – wobei Zimmer nicht das richtige Wort ist, bei einer nach oben offenen Mindestflä­che von 40 Quadratmet­ern – kostet 1000 Euro, jede Suite ein Vielfaches. Wohnlichke­it hat ihren Preis. Im Badezimmer tut man sich anfangs noch etwas schwer mit dem Wasserhahn in Form eines goldenen Schwans: Seine Flügel dienen trotz entschloss­enen Versuchs nicht dazu, das Wasser aufzudrehe­n. Es ist der glitzernde Glasknopf daneben. Aber bald fühlt man sich wie in den eigenen vier Wänden, auch wenn die durch das Kingsize-Bett mit Baldachin, Kristalllü­ster und Türen so dick wie ein Banksafe ergänzt werden.

Genau dieses Gefühl kann man sich von 17. bis 21. April tatsächlic­h in die eigenen vier Wände holen: Dann werden nämlich rund 3500 Objekte aus dem Nobelhotel in Paris versteiger­t. Sie wurden bei der vierjährig­en Totalrenov­ie- rung des mehr als hundert Jahre alten Hotels aussortier­t. Zum Verkauf gelangen ganze Suiten mit Riesenbett­en, Marmortisc­hchen, Ledersofas und Samtvorhän­gen, ergänzt durch kleinere Utensilien wie Kerzenhalt­er, Lampen, silberne Kleenex-Behälter oder eine Minibar mit Ritz-Inschrift. Dazu Einrichtun­gen aus mehreren Bars und Restaurant­s. Der Mindestein­satz beträgt 100 Euro, der gesamte Ausgangssc­hätzwert zwei Millionen Euro. Er dürfte um ein Vielfaches übertroffe­n werden.

Coco Chanel lebte mit ihren eigenen Möbeln im Ritz: „Das Hotel ist mein Zuhause“, sagte die Modeschöpf­erin. Dem fülligen englischen König Eduard VII. wurde die Badewanne verbreiter­t, damit er sich dort mit seiner Herzdame nicht mehr verklemmte. Und Ernest Hemingway hatte im Ritz seine Bar. Sie war dem USSchrifts­teller so teuer, dass er bei der Befreiung von Paris im Jahr 1944 mit Gleichgesi­nnten die Nazis aus dem Hotel vertreiben wollte. „Ich komme, um das Ritz zu befreien“, rief er bei seiner Ankunft mit dem Gewehr in der Hand, obschon die Nazis bereits weg waren. „Bien sûr“, erwiderte der Portier. „Aber die Waffe lassen Sie lieber draußen.“

In der Hemingway Bar, wie sie heute heißt, sitzt man unter Wasserbüff­eltrophäen so eng und demokratis­ch wie in einem Pub. Das Ritz hat noch zwei andere Bars, wo man alles bis zum Macallan-Whisky erhält. Dessen Jahrgang 1938 kostet pro Glas 8100 Euro, wie Barmann Andi ohne ein Wimpernzuc­ken meint. Aber er beruhigt gleich, das habe in den letzten achtzig Jahren niemand bestellt.

Im Salon Marcel Proust bereitet Trang einen Long-Jing-Tee mit Haselnussg­eschmack zu. Zu ihrer

Teezeremon­ie – der einzigen in Paris, wie die Vietnamesi­n nebenbei erwähnt – benützt sie Schälchen, Sanduhren und Pfeffermüh­len, aber ja kein Porzellan. Das mache den Tee bitter, auch wenn die Wassertemp­eratur von 75 Grad genau eingehalte­n wird, meint die zierliche Frau. Und im Ritz ist nichts bitter.

Wie Marcel Proust, der Autor von Auf der Suche nach der verlo

renen Zeit, sitzt man nun im tiefen Sofa und beobachtet die Haute Société zum Apéro. Der Ort war dem mondänen Franzosen so ans Herz gewachsen, dass er auf seinem Totenbett nur noch „ein kühles Bier aus dem Ritz“wünschte. Warum gerade aus dem Hotel, das nicht als Brauerei bekannt ist? Hotelsprec­her Matthieu Goffard hat wie sämtliche Bedienstet­en auf alles eine Antwort: „Weil es das Ritz ist.“

Telefone auf den Zimmern

Lady Di hatte bekanntlic­h nicht einmal Zeit für einen letzten Wunsch; sie starb 1997 bei einem Autounfall nahe der Place Vendôme, nachdem sie das Ritz mit ihrem Begleiter Dodi Al-Fayed verlassen hatte. „Das hätten wir zu gerne vermieden“, sagt Goffard und seufzt. Dodis Vater, dem ägyptische­n Geschäftsm­ann Mohamed Al-Fayed, gehört das Fünfsternh­otel.

Erworben hatte er es 1979 von der Schwiegert­ochter des Hotelgründ­ers César Ritz. Der dreizehnte Sohn eines Schweizer Bergbauern hatte das vielleicht erste Luxushotel 1898 gegründet. Er besaß 300 Anzüge und führte als Erster Telefon und Elektrizit­ät bis in die Hotelzimme­r ein.

Seit der Wiedereröf­fnung im Juni 2016 gibt es im Louis-SeizeTisch­chen alle Highspeed-Internet-Applikatio­nen unter einem Lederdecke­l. Im Badezimmer­spiegel sind TV-Schirme eingelasse­n – diskret, raffiniert, hauchdünn exzentrisc­h. Eben „ritzy“.

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 ??  ?? Ab 100 Euro kann man an der Versteiger­ung des Mobiliars teilnehmen. Der Ausgangssc­hätzwert der 3500 Objekte liegt bei zwei Millionen Euro. Der Betrag dürfte um ein Vielfaches übertroffe­n werden.
Ab 100 Euro kann man an der Versteiger­ung des Mobiliars teilnehmen. Der Ausgangssc­hätzwert der 3500 Objekte liegt bei zwei Millionen Euro. Der Betrag dürfte um ein Vielfaches übertroffe­n werden.

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