Länder drohen Bund mit Klage und fordern mehr Geld
Wenn die Bundesregierung ständig neue Kosten verursache, müsse sie für diese bitte schön auch zahlen, fordern die Länder in rot-schwarzer Eintracht – und stellen einen Betrag in Milliardenhöhe in Rechnung.
Wien – Wegen drohender Mehrkosten fordern die Länder vom Bund zusätzliche Mittel. Auch eine Klage beim Verfassungsgerichtshof wird erwogen. Das wurde von roten und schwarzen Finanzlandesreferenten am Donnerstag einhellig beschlossen. Bereits seit längerem werden 500 bis 600 Millionen Euro an frischen Mitteln wegen der Abschaffung des Pflegeregresses gefordert. „Mehrere 100 Millionen“würden die geplanten neuen Deutschklassen für Kinder mit Sprachdefiziten kosten, rechnete Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner vor. Darüber hinaus brauche man Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung sowie zur Kompensation von Steuersenkungen. (red)
Wien – Renate Brauner sieht sich und ihresgleichen vor eine schier unmenschliche Aufgabe gestellt. Um die Forderungen der Bundesregierung zu erfüllen, „müssten wir die bezaubernde Jeannie sein“, sagt die Wiener Finanzstadträtin und meint damit die separaten Deutschklassen, in den Schüler mit Sprachdefiziten bereits ab September untergebracht werden sollen: „Schulklassen kann man nicht einfach herbeizwinkern.“
Die Sozialdemokratin steht in natürlicher Opposition zur Bundeskoalition aus ÖVP und FPÖ, doch diesmal hat sie ein breiteres Mandat im Rücken. Als Gastgeberin der Konferenz der Finanzlandesräte am Donnerstag in Wien spricht Brauner für sämtliche Bundesländer, und die sind mehrheitlich schwarz regiert.
Der gemeinsame Nenner, den die Regionalpolitiker gefunden ha- ben: Wenn die Bundesregierung mit ihren Beschlüssen neue Kosten für die Länder verursache, müsse sie diese bitte schön auch abdecken. Die Landesvertreter nennen mehrere markante Beispiele, bei denen sie sich von der Koalition im Stich gelassen fühlen.
Deutschklassen Pädagogische Einwände einmal ausgeklammert, gebe es auch rein praktische Einwände, erläutert Brauner, flankiert von ihren Amtskollegen Christian Stöckl (Salzburg, ÖVP) und Hans Peter Doskozil (Burgenland, SPÖ): „Undenkbar“sei es, in den vier Monaten bis zum Start des neuen Schuljahres die nötigen Räume und Lehrer bereitzustellen, von den ungedeckten Mehrkosten ganz zu schweigen. Allein Wien müsste 187 Millionen Euro zusätzlich flüssig machen, rechnet sie vor, alle Länder zusammen kämen auf „mehrere 100 Millionen“.
Pflegeregress Seit die alte Regierung selbigen abgeschafft hat, dürfen die Länder nicht mehr auf das Vermögen von Pflegeheimbewohnern zugreifen, um die Kosten der Betreuung zu bestreiten. Auch die bisherigen „Selbstzahler“reißen ein Loch ins Budget. Um dem Zugriff aufs Hab und Gut vorsorglich zu vermeiden, haben manche Pflegebedürftige die Rechnung lieber gleich selbst gezahlt. In diesen Fällen muss die öffentliche Hand nun ebenfalls einspringen.
Ob darüber hinaus auch Menschen, die bisher zu Hause gepflegt wurden, en masse ins nun günstigere Heim drängen, ist strittig. Wien registriert einen starken Zulauf, was Brauner auch für die restlichen Länder geltend macht. Ein Rundruf des Standard hat unlängst hingegen ergeben: In der Mehrheit der Länder ist kein „Run“auf die Heime bemerkbar. So oder so fallen die Forderungen an die Regierung, die bisher zur Kompensation 100 Millionen Euro bietet, üppig aus: Das Aus für den Regress koste in Summe 500 bis 600 Millionen Euro.
Steuerentfall Der als Steuerabsetzbetrag konzipierte Familienbonus, die Senkung der Umsatzsteuer für die Hotellerie: Weil die Länder von den staatlichen Steuereinnahmen automatisch „Ertragsanteile“erhalten, haben die von der Regierung verfügten Entlastungen unerwünschte Nebenwirkungen. Stöckl beziffert den Einnahmen-Entfall für sämtliche Länder für heuer mit 189 Millionen, im Vollausbau ab 2020 sollen es dann 285 Millionen sein.
AUVA Muss die Unfallversicherung, wie von der Regierung gefordert, hunderte Millionen Euro einsparen, drohe in AUVA-Spitälern eine eingeschränkte Versorgung, argumentiert Stöckl – wofür die Länder in ihren Krankenhäusern dann einspringen müssten.
Kinderbetreuung Die Länder vermissen die Fortführung der BundLänder-Vereinbarung zum Ausbau der Kinderbetreuung; läuft diese aus, fielen 100 Millionen flach. Auch andere Verträge in diesem Bereich seien in Schwebe.
Wie die Länder die Bundesregierung zum Zahlen bewegen wollen? Als „Worst-Case-Szenario“nennt Brauner eine Klage beim Verfassungsgerichtshof, sollte bis Ende Juni keine Lösung gelingen – doch so weit müsse es nicht kommen. Die Länder seien nicht an parteipolitischem Hickhack interessiert und sperrten sich auch nicht prinzipiell gegen Reformen, sagt Brauner, sondern wünschten sich von der Regierung, abgesehen vom Geld, eines: „Bitte reds mit uns!“
An Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht: Regierende Landespolitiker räumten bei Wahlgängen in jüngster Vergangenheit satte Mehrheiten ab – und üppig fallen nun auch ihre Wünsche an die türkisblaue Bundesregierung aus. Wer jene Forderungen zusammenzählt, auf die sich die roten und schwarzen Finanzlandesräte am Donnerstag in Wien geeinigt haben, landet rasch bei einer Milliarde Euro.
Schicken sich da die heimlichen Machthaber Österreichs in der ihnen eigenen Maßlosigkeit an, eine erpressbare Zentralregierung auszunehmen? Die Position der Bundesländer verdient eine differenzierte Betrachtung abseits aller Klischees omnipotenter Landesfürsten. Denn ein Teil der nun angemeldeten Ansprüche ist völlig gerechtfertigt.
Das zentrale Argument der Landesvertreter ist stichhaltig. In einem System, in dem die Länder wichtige Aufgaben haben, aber der Bund hauptsächlich das Steuergeld einnimmt und verteilt, darf eine verantwortungsvolle Regierung nicht irgendwelche Segnungen beschließen, ohne sich um die Finanzierung zu scheren. Am Beispiel der aktuellen Anlassfälle: Wollen Bundespolitiker das Vermögen von Pflegeheimbewohnern schonen, muss es sie auch interessieren, wie die zuständigen Länder den Einnahmenausfall und indirekte Folgekosten stemmen. Das Gleiche gilt für die separaten Deutschklassen, wie sie Schulen praktisch von heute auf morgen einrichten sollen. „Friss, Land, und stirb“kann nicht die Basis fairer Politik sein.
Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob die Forderungen auch in der Höhe angemessen sind. Da drängen sich zumindest in einem Fall Zweifel auf: Oft haben Ländervertreter mit einem Ansturm auf die Pflegeheime argumentiert, doch eine Recherche des STANDARD ergab, dass dieser vielerorts bisher nicht stattgefunden hat. Die angemeldeten 500 bis 600 Millionen klingen frappant nach verhandlungstaktischer Übertreibung.
Gleich zur Gänze sollte die Regierung erst einmal den Wunsch abschmettern, den Einnahmenentgang wegen der beschlossenen Steuersenkungen für Familien und Hoteliers zu ersetzen. Die Bundesländer verursachen Kosten ja nicht nur wegen erbrachter Leistungen, sondern auch wegen ihrer schieren Existenz. Die zahllosen Rechnungshofberichte und Expertisen über die Auswüchse des heimischen Föderalismus lassen sich mit einem Satz zusammenfassen: Gäbe es die Länder nicht, würden sich die Steuerzahler einiges an Geld ersparen. Eine finanzielle Garantie zur Aufrechterhaltung des Status quo auf alle Zeiten ist da nicht gerechtfertigt.
Nehmen die türkis-blauen Koalitionäre all jene ehrgeizigen Ankündigungen ernst, die sie unter dem Titel „Verwaltungsreform“ins Regierungsprogramm geschrieben haben, sollten sie den drohenden Steuerentgang als Druckmittel gegen die Länder einset- zen: Kompensation nur gegen Zugeständnisse am Verhandlungstisch.
Besonders ein Regierungsmitglied sollte ja wissen, wie man da weiterkommt. Seine halbe Karriere lang hat der nunmehrige Justizminister Josef Moser gepredigt, dass der Staat Unsummen sparen könne, ohne Leistungen kürzen zu müssen. Das erste türkisblaue Budget, das gerade seinem eigenen Ressort substanziell zusetzt, hat ihn erst einmal Lügen gestraft. An der Staatsreform wird sich zeigen, ob Moser der Macher sein kann, als den ihn Sebastian Kurz verkauft hat, oder ob er doch nur als Papiertiger übrigbleibt.