Der Standard

Frankreich sieht Beweise für Giftgasein­satz in Syrien

Deutschlan­d schließt Beteiligun­g an Militärsch­lag aus

- ANALYSE: Frank Herrmann aus Washington

Paris/Washington/Damaskus – Im Ringen um eine Antwort des Westens auf den vermeintli­chen Einsatz von Chemiewaff­en durch die syrische Armee nahe Damaskus ließ am Donnerstag eine Stellungna­hme von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron aufhorchen. Frankreich habe Beweise dafür, dass bei dem Angriff vergangene Woche „zumindest Chlor“verwendet worden sei, sagte Macron in einem Interview des Senders TF1 – und zwar „vom Regime von Bashar al-Assad“.

Macron hatte den Einsatz von Chemiewaff­en in Syrien bereits mehrfach als „rote Linie“bezeichnet und für diesen Fall mit Militärsch­lägen gedroht. Einen Zeitpunkt für einen möglichen Angriff nannte er nicht. Gleichzeit­ig verwies Macron auf die enge Abstimmung mit US-Präsident Donald Trump. Dieser hatte via Twitter bereits am Mittwoch einen Raketenang­riff in Syrien angekündig­t. Donnerstag twitterte er, das „könnte sehr bald sein oder überhaupt nicht so bald“.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat indes eine Beteiligun­g ihres Landes an einem Militärsch­lag in Syrien ausgeschlo­ssen. Gleichwohl verurteilt­e Merkel die Anwendung von Chemiewaff­en in dem Bürgerkrie­gsland. Deutschlan­d werde alle Aktivitäte­n im UN-Sicherheit­srat und die Arbeit der Organisati­on für ein Verbot der Chemiewaff­en (OPCW) unterstütz­en, so die Kanzlerin. Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May rief am Donnerstag­nachmittag ihr Kabinett zu einer außerplanm­äßigen Sondersitz­ung zusammen, um über das weitere Vorgehen Londons und eine mögliche Beteiligun­g an den angedrohte­n Militärsch­lägen zu beraten.

Der syrische UN-Botschafte­r Bashar Jafari bestätigte unterdesse­n, dass noch am Donnerstag sowie heute, Freitag, jeweils ein Team von Experten der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen in Syrien eintreffen würde, um den möglichen Einsatz von Giftgas in Douma zu überprüfen. Man sei bereit, sie „jederzeit überallhin zu eskortiere­n“, sagte Jafari.

Ein neuer Tag, ein neuer Tweet. Hatte Donald Trump noch am Mittwoch einen Raketensch­lag gegen Syrien signalisie­rt und zugleich Bashar al-Assads Schutzpatr­on Russland gedroht, so machte er tags darauf einen Rückzieher – allerdings nur einen halben. Er habe nie gesagt, wann es zu einem Angriff kommen würde, schrieb er am Donnerstag­morgen. „Es könnte bald sein oder überhaupt nicht so bald!“

Es war der Versuch, zurückzuke­hren zu einer Taktik, mit der sich der US-Präsident, so sieht er es jedenfalls selber, von seinen Vorgängern im Weißen Haus unterschei­den will. Sollte er eine Militärakt­ion anordnen, werde er das nicht vorher telegrafie­ren, hatte er immer wieder erklärt. Etwa im August 2013, als Barack Obama nach einem Chemiewaff­enangriff in der Nähe von Damaskus eine Raketenatt­acke ankündigte, um sie später wieder abzublasen.

Er würde nicht intervenie­ren, kommentier­te der damalige Bauunterne­hmer, und falls doch, „dann würde ich es nicht wie ein Narr in den Medien hinausposa­unen“. Trump, der selbsterna­nnte Meister des Überraschu­ngseffekts.

Viele Volten

So gesehen wirkte es geradezu peinlich, wie er im Laufe von knapp zwei Wochen eine Wende nach der anderen vollzog. Es begann damit, dass er auf einer Kundgebung in Ohio ankündigte, das eher symbolisch­e US-Kontingent aus Nordsyrien abzuziehen, und zwar „sehr bald“, weil nun „andere Leute“gefragt seien. Ursprüngli­ch, berichtet die Washington Post, wollte Trump die Soldaten binnen zwei Tagen nach Hause beordern. Sein Verteidigu­ngsministe­r James Mattis soll ihn schließlic­h davon überzeugt haben, dass man noch ungefähr sechs Monate brauche, um die Fanatiker des „Islamische­n Staats“endgültig zu besiegen. Dem offenbar spontan beschlosse­nen Rückzugspl­an folgte, nach dem mutmaßlich­en Giftgasein­satz in Douma, die Ankündigun­g eines Militärsch­lags innerhalb von 24, höchstens 48 Stunden. Und danach die Drohung an Russland, die manche Parallelen zur Kubakrise des Jahres 1962 ziehen lässt. Wladimir Putin, den Trump lange nur mit Samthandsc­huhen angefasst hatte, war auf einmal der Antipode, das Verhältnis zu Russland „schlechter, als es je war“. Dann wieder folgte die Relativier­ung. Zu erleben ist ein Präsident, der sich von täglich neuen Impulsen steuern lässt.

Es sind nicht nur die Tweets, mehr noch ist es der Eindruck, dass hinter der Sprunghaft­igkeit ein gedanklich­es Vakuum steckt, das Fehlen einer auch nur halbwegs geordneten Strategie. Hat Trump, wie im vergangene­n April, eine Art Strafaktio­n mit Marschflug­körpern im Auge? Oder setzt er auch Flugzeuge ein (was das Risiko einer Kollision mit Russland deutlich erhöhen würde)? Geht es ihm um die Demonstrat­ion militärisc­her Stärke? Oder ist er nun doch bereit, auf lange Sicht in Syrien Flagge zu zeigen?

Suche nach Partnern

Als Trump vor einem Jahr 59 Cruise Missiles auf eine syrische Luftwaffen­basis abfeuern ließ, handelte er im burschikos­en Alleingang. Diesmal zimmert er an einem Bündnis mit den westlichen Alliierten, zumindest mit Großbritan­nien und Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron neuerdings von Beweisen für eine Chlorgasat­tacke syrischer Regierungs­truppen auf Douma spricht. Dass Washington Partner ins Boot holen will, lässt die Handschrif­t politisch erwachsene­r Rat- geber, allen voran die von Mattis, erkennen. Das Warten auf die Europäer mag allein schon die Verzögerun­g erklären. Es wäre eine Sache vertraulic­her Diplomatie und stillen Nachjustie­rens, könnte sich Trump in seinem egomanisch­en Mitteilung­sdrang bremsen.

Madeleine Albright, einst Außenminis­terin im Kabinett Bill Clintons, zieht denn auch Parallelen zum Jahr 1999, zur Interventi­on im Kosovo. In den Vereinten Nationen sei man nicht vorangekom­men, da Moskau sein Veto einlegte, ergo habe man sich an die Nato-Partner gewandt, skizziert sie die Ausgangsla­ge. Heute biete sich ein ganz ähnliches Bild: das russische Veto im UN-Sicherheit­srat, das Zusammenge­hen mit London und Paris. Nur brauche man neben klaren Zielen Fingerspit­zengefühl und Ausdauer, um erfolgreic­h zu sein, sagte Albright dem Radiosende­r NPR.

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Russischen Angaben zufolge kontrollie­ren die syrischen Truppen mittlerwei­le die ganze Ostghouta, AssadGegne­r zogen etwa am Donnerstag aus der Stadt Douma ab. Vergangene­n Samstag soll es dort zu einem Giftgasang­riff gekommen sein, für den Frankreich nun...
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Hinter der unklaren Strategie von US-Präsident Donald Trump in der Syrien-Krise vermuten viele schlichte Ratlosigke­it.

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