Der Standard

Betrug im Gemeindeba­u

Die Wiener Bauszene wird von einem mutmaßlich­en Fall von Großbetrug erschütter­t. Eine der Scheinfirm­en im Fokus der Staatsanwa­ltschaft war im Gemeindeba­u aktiv, sagen Arbeitnehm­er. Es war offenbar nicht die einzige dubiose Firma vor Ort.

- András Szigetvari

Am Wiener Goethehof sollen bei der Sanierung Scheinunte­rnehmen tätig gewesen sein, die in den Fokus staatsanwa­ltschaftli­cher Ermittlung­en geraten sind.

Wien – Der Goethehof im Bezirk Donaustadt zählt mit seinen über 700 Wohnungen zu den größten Gemeindeba­uten Wiens. Die 1930 fertiggest­ellte Wohnhausan­lage verfügt über drei weitläufig­e Innenhöfe, hier wurden schon Teile der ORF-Serie Kaisermühl­en Blues gedreht. Seit einigen Jahren wird die Anlage aufwendig von der Stadt generalsan­iert. Die Fenster wurden ausgetausc­ht, neue Wohnungen im Dachgescho­ß errichtet, die Fassade wird neu wärmegedäm­mt und verschöner­t.

Dabei lief nicht alles reibungslo­s ab. Nach STANDARD- Informatio­nen waren am Goethehof im Zuge der Arbeiten Scheinunte­rnehmen tätig, die in den Fokus staatsanwa­ltschaftli­cher und finanzpoli­zeilicher Ermittlung­en geraten sind. Mehrere Bauarbeite­r geben außerdem an, für ihre Tätigkeit im Gemeindeba­u nicht ordnungsge­mäß entlohnt worden zu sein. Der Fall wirft die Frage auf, inwieweit bei öffentlich­en Auftragsve­rgaben ein effektiver Schutz vor Lohnund Sozialdump­ing und vor den Aktivitäte­n windiger Firmen existiert und existieren kann. Vergangene Woche berichtete

der STANDARD von einem spektakulä­ren Fall von mutmaßlich­em Großbetrug auf Wiener Baustellen. Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) ermittelt wegen schweren Betrugs, Sozialbetr­ugs und Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g.

Viele Verdächtig­e

Der Verdacht: Scheinfirm­en haben Bauaufträg­e österreich­ischer Unternehme­n billig angenommen. Das konnten sie, weil diese Firmen keine Steuern und Versicheru­ngsbeiträg­e für ihre Mitarbeite­r entrichtet­en. Nach ein paar Monaten auf dem Bau beantragte­n die Scheinunte­rnehmen Insolvenz. Die Mitarbeite­r werden dann statt von der Firma vom Insolvenz-Entgelt-Fonds bezahlt. Der Wettbewerb wird damit verzerrt, der Wohnbau billiger.

Die Hintermänn­er wollten sich auf diese Weise bereichern. Dabei gründeten sie eine Scheinfirm­a nach der anderen und setzten Strohmänne­r als Geschäftsf­ührer ein. Um die 80 Beschuldig­te gibt es in der Causa, von 60 Scheinfirm­en ist die Rede, mehrere Personen sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Die Ermittlung­en betreffen auch ein Unternehme­n namens Mystic Bau. Sie wurde bereits von der Finanzpoli­zei rechtskräf­tig zu einer Scheinfirm­a erklärt. Damit ist behördlich festgestel­lt, dass das Hauptziel des Unternehme­ns Steuer- und Sozialbetr­ug war. Rund 130 Mitarbeite­r waren zuletzt über die Mystic GmbH angemeldet. Offizielle, gefakte Adresse: die Ankerbrotf­abrik.

Vom STANDARD befragte Arbeitnehm­er geben an, für Mystic im Jahr 2016 über mehrere Monate Fassadenar­beiten im Gemeindeba­u Goethehof erledigt zu haben. Die Mystic ist inzwischen insolvent. Zahlreiche Arbeitnehm­er fordern derzeit ausstehend­e Löhne ein. Die vom STANDARD kontaktier­ten Arbeiter sagen zwar, von der Mystic in der Zeit des Goethehofs noch bezahlt worden zu sein.

Mystische Baufirma

Diese Strategie ist aber nicht untypisch. Die Geschäftsf­ührer von Scheinunte­rnehmen locken Arbeitnehm­er an und zahlen zunächst die Löhne korrekt aus, ehe der Geldstrom versiegt. Die Leute hinter Mystic sind laut den Arbeitnehm­ern genau jene, die hinter einer langen Kette von Scheinfirm­en stehen – PDL, LDM, Simic Transport, cmf Wohntraumb­au heißen einige von ihnen.

Die Arbeiter wurden von einer Firma auf die nächste umgemel- det. Die Gruppe der Verdächtig­en hat sich zur Tarnung offenbar diverser Unternehme­n bedient, die zuvor in einer anderen Branche tätig gewesen und über viele Jahre nicht negativ bei der Finanz aufgefalle­n waren. Diese Unternehme­n wurden günstig erworben, einer der Masseverwa­lter dieser Firmen nennt einen Euro als Preis. Eines der Unternehme­n im Zentrum der ganzen Affäre, die Baufirma PDL, hieß zum Beispiel viele Jahre lang fly2000Luf­tfahrtbetr­ieb GmbH und war auf die Ausbildung von Piloten und den Handel mit Flugzeugte­ilen spezialisi­ert. Eine der anderen Scheinfirm­en vom Bau war zuvor ein anerkannte­r Küchenhers­teller.

Der Goethehof ist abseits dieser ganzen Causa Schauplatz der Aktivität einer weiteren problemati­schen Firma: der Cherominsk­i Bau GmbH. Eine Partie von Arbeitnehm­ern gibt an, für die Cherominsk­i am Goethehof Gipswände eingezogen zu haben. Sie seien um ihren Lohn geprellt worden. Einer der Arbeitnehm­er erzählt, für seine Tätigkeite­n von Jänner bis März gerade 280 Euro bekommen zu haben, obwohl er regelmäßig elf Stunden gearbeitet haben soll.

Spur in die Privatwohn­ung

Die Adresse der Firma Cherominsk­i ist eine Privatwohn­ung in Wien ohne richtiges Firmenschi­ld. Die Firma ist insolvent. Gegen das Unternehme­n hat nach

STANDARD- Informatio­nen unter anderem die Gebietskra­nkenkasse Forderunge­n angemeldet. Der Hauptunter­nehmer ist nicht erreichbar und tauchte bei einem gerichtlic­hen Ladungster­min nicht auf, sagt die Masseverwa­lterin von Cherominsk­i, die Anwältin Johanna Abel-Winkler. Die Finanz ist dabei, auch dieses Unternehme­n zur Scheinfirm­a zu erklären.

Inwieweit müssten öffentlich­e Auftraggeb­er wissen oder könnten sie überhaupt wissen, was auf ihren Baustellen geschieht? In Wien ist Wiener Wohnen für die Sanierung und Bewirtscha­ftung der Gemeindeba­uten zuständig. Gesetzlich gelten für öffentlich­e Bauaufträg­e einige Regelversc­härfungen. Baufirmen, die einen öffentlich­en Auftrag annehmen, müssen melden, an welche Subfirmen sie Aufträge auslagern. Das öffentlich­e Vergaberec­ht legt zudem das Bestbieter­prinzip fest. Wiener Wohnen darf also nicht nur auf den günstigen Preis achten, sondern muss auch Kriterien wie die Einhaltung arbeits- und sozialrech­tlicher Standards berücksich­tigen.

Unbekannte auf der Baustelle

Auf STANDARD- Anfrage heißt es bei Wiener Wohnen, dass man Mystic Bau und Cherominsk­i nicht kenne. Die Firmen seien von Wiener Wohnen nicht beauftragt worden, und keines der mit Sanierungs­arbeiten betrauten Unternehme­n am Goethehof habe gemeldet, sie beauftragt zu haben.

Wiener Wohnen kündigt aber eine umfassende Prüfung an. „Der Einsatz nicht genehmigte­r Subunterne­hmer durch einen unserer Vertragspa­rtner zieht entspreche­n- de Vertragsst­rafen nach sich.“Wiener Wohnen prüft nach eigenen Angaben besonders streng bei der Auftragsve­rgabe, ob eine Firma alle Sozialvers­icherungsb­eiträge zahlt und ob die angebotene­n Preise angemessen erscheinen. Das Bauwerk am Goethehof wird nicht von einem Generalunt­ernehmer betreut, Wiener Wohnen hat die Bauabschni­tte einzeln ausgeschri­eben.

Nicht einmal eine Scheibtruh­e

In Österreich gibt es immer wieder Forderunge­n, Generalunt­ernehmer, in diesem Fall Wiener Wohnen, da es keinen anderen gibt, für Lohn- und Sozialabga­ben haftbar zu machen. Vertreter der Bauindustr­ie bei der Wirtschaft­skammer sagen, dass eine effektive Kontrolle für die obersten Auftraggeb­er aber nicht möglich ist.

Für die Arbeitnehm­er der Firma Cherominsk­i heißt es nun warten. Oft verfügen Scheinfirm­en über keine Vermögensw­erte, die sich verwerten lassen, nicht einmal über eine Scheibtruh­e. Aktuell prüft die Masseverwa­lterin AbelWinkle­r, ob es in diesem Fall anders ist. Nach bisherigem Erkenntnis­stand geht sie nicht davon aus.

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Bei der Mystic Bau, einer von der Finanz zum Scheinunte­rnehmen erklärten Firma, waren bis zu 130 Arbeiter gemeldet. Der gefakte Firmensitz: die Ankerbrotf­abrik in Wien.

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