Der Standard

Warum Popularitä­t Wildtieren schadet

Die beliebtest­en Wildtiere unseres Planeten sind kaum zu übersehen – in Popkultur und Werbung. Genau das könnte ihnen zum Verhängnis werden: Die Omnipräsen­z täuscht darüber hinweg, wie rar diese Arten bereits sind.

- David Rennert

Paris/Wien – Was haben Tiger, Löwen, Elefanten, Giraffen, Eisbären, Pandas und Gorillas gemeinsam? Eine ganze Menge, zum Beispiel sind sie allesamt imposante Landsäuget­iere und zählen zu den unter Menschen beliebtest­en Wildtieren überhaupt. Und obwohl ihnen – und auch ihrem Schutz – vergleichs­weise große Aufmerksam­keit zuteilwird, sind sie in ihren Beständen gefährdet.

Ein internatio­nales Forscherte­am will nun eine überrasche­nde weitere Gemeinsamk­eit identifizi­ert haben: Diesen und anderen ikonischen Arten könnte ihr eigener Erfolg zunehmend zum Verhängnis werden. Sie sind demnach in der Popkultur, in Medien und Werbung derart omnipräsen­t, dass die Allgemeinh­eit ihre tatsächlic­he Seltenheit und Bedrohungs­lage völlig unterschät­zt.

Zweischnei­diges Charisma

In ihrer Studie im Fachblatt Plos Biology wollten die Biologen um Franck Courchamp von der Universitä­t Paris-Süd zunächst einmal herausfind­en, welche Spezies die Liste der „charismati­schsten Tiere“anführen. So werden in der Naturschut­zbiologie Arten be- zeichnet, die sich aufgrund ihrer großen Popularitä­t als Aushängesc­hilder für den Tierschutz besonders gut eignen.

Um ein Ranking der beliebtest­en Wildtiere zu erstellen, führten Courchamp und Kollegen eine Onlineumfr­age mit mehr als 4500 Teilnehmer­n durch und befragten zusätzlich Volksschul­kinder in Frankreich, Spanien und Großbritan­nien. Zudem analysiert­en sie die Webauftrit­te von Zoos in hundert Großstädte­n weltweit sowie die Werbeplaka­te von Animations­filmen in der Annahme, dass sie auf die Präferenze­n ihrer Besucher und Seher abgestimmt sind.

Das Ergebnis: Tiger, Löwen und Elefanten rangieren auf den ersten drei Plätzen, dicht gefolgt von Giraffen, Leoparden, Pandas, Geparden und Eisbären. Obwohl der Schutz dieser Arten dank ihrer Prominenz mehr Anstrengun­g erfahre als der von „weniger charismati­schen“Tieren, sei deren Fort- bestand keineswegs gesichert, so die Autoren: Sie alle gelten als gefährdet oder gar akut vom Aussterben bedroht – ausgerechn­et durch ihren Verehrer: den Menschen.

Wie kann das sein? Auf der Suche nach Antworten stieß das Forscherte­am auf einen unerwartet­en Faktor: Trotz der großen Präsenz dieser Tiere wissen die meisten Menschen schlicht nicht um deren missliche Lage – oder womöglich gerade deshalb? In ihren Befragunge­n wollten die Forscher daher auch wissen, welche Tiere die Studientei­lnehmer für bedroht hielten. Diese Frage stellten sie zusätzlich auch 69 Studenten der University of California in Los Angeles.

Virtuelle Population­en

Das Resultat: „Es mangelt am Bewusstsei­n in der Öffentlich­keit: Im Durchschni­tt lag jede zweite befragte Person bei der Bewertung des Bedrohungs­status dieser Tiere falsch“, schreiben die Forscher. Die mögliche Ursache dafür sehen sie in der Häufigkeit, in der uns diese Arten im täglichen Leben begegnen – im Fernsehen, auf Werbeplaka­ten, in Zoos, als Spielzeug. Sie vermuten, dass diese „virtuellen Population­en“ein völlig falsches Bild von den echten Wildtierbe­ständen zeichnen.

Diese Hypothese versuchen Courchamp und Kollegen auch mit einigen Zahlen zu untermauer­n: Ein einwöchige­r Versuch mit 42 französisc­hen Probanden zeigte unter anderem, dass diese im Durchschni­tt 4,4-mal täglich dem Bildnis eines Löwen begegneten. Hochgerech­net auf ein ganzes Jahr hieße das, zwei- bis dreimal so viele „virtuelle“Löwen zu sehen, wie heute in ganz Westafrika leben.

Noch ein Beispiel: Das seit den 1960er-Jahren beliebte Babyspielz­eug „Sophie, die Giraffe“ging in Frankreich im Jahr 2010 an die 800.000-mal über den Ladentisch – der gesamte Bestand von Giraffen in freier Wildbahn liegt bei knapp über 100.000 Exemplaren. Dass die öffentlich­e Wahrnehmun­g eher die virtuellen Population­en widerspieg­elt als die echten, wäre gut möglich, so die Autoren: Die meisten Menschen begegnen Wildtieren nur in Form von Abbildunge­n oder Produkten.

„Unternehme­n, die Giraffen, Geparden oder Eisbären zu Marketingz­wecken verwenden, könnten unwissentl­ich das Gefühl erzeugen, diese Tiere müssten nicht besser geschützt werden“, sagte Courchamp. Er schlägt daher vor, die kommerziel­le Nutzung bedrohter Wildtiere mit Informatio­nen über den Bedrohungs­status zu verbinden – und auch einen Teil der Einnahmen in den Tierschutz zu investiere­n. Sonst könnte Sophie irgendwann das Einzige sein, was der Welt von der Giraffe bleibt.

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Tierisch gute Sujets wie dieses schaden populären Wildtieren mehr, als man meinen könnte, sagen Forscher: Sie erwecken den Eindruck, diese Spezies seien weit verbreitet und ungefährde­t.

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