Der Standard

Mehr Verwalter als Gestalter

Ganze 17 Jahre prägte Andreas Mailath-Pokorny die Kulturpoli­tik der Stadt Wien. Nur ja keine Fehler machen scheint häufig genug sein Motto gewesen zu sein. Große Würfe blieben aus – genauso wie grobe Missgeschi­cke. Ein Resümee der Kulturreda­ktion.

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Am Montag erst war der Wiener Kulturstad­trat bei Nicolaus Schafhause­n zu Gast. Der Kunsthalle­n-Direktor hatte zum Talk unter dem Titel „Political Futures“geladen. Die persönlich­e „Future“Andreas MailathPok­ornys stand da wohl schon fest. Nach 17 Jahren nahm der Kulturstad­trat am Mittwoch seinen Hut.

Die „Political Future“malte der SPÖ-Stadtrat in auffällig düsteren Farben. Einmal mehr warnte er vor den „Gefahren von rechts“, Angriffe auf seine Kulturpoli­tik wehrte er ab, indem er von der Stadt- auf die EU-Ebene sprang. Tenor: Er wolle ja auch vieles, aber die harten Maastricht-Kriterien würden ihm jeden Investitio­nsspielrau­m nehmen.

Das mag nicht ganz falsch sein. Fakt ist aber, dass Mailath stets das Image des Bürokraten anhaf- tete: auf hohem Niveau verwalten, aber wenig aktiv gestalten. Von der Kultur als „Ideologier­essort“, wie es eine von Mailaths Vorgängeri­nnen, Ursula Pasterk, bezeichnet hatte, rückte „der Lange“zunehmend ab. Das Kulturbudg­et wuchs in 17 Jahren dennoch stattlich. 250 Millionen Euro durfte Mailath zuletzt verteilen.

Eines seiner ersten großen Vorhaben war eine Reform des Wiener Theaterbet­riebs: Als er 2003 voller Selbstvert­rauen dazu ansetzte, schien es, als durchhaue er einen gordischen Knoten. Durchlässi­ger sollte das Förderwese­n werden, unbedingt kostenwahr und sozial verträglic­h selbst für Bezieher geringer Fördersumm­en.

Mit der „Evaluierun­g“der vielfach verklärten Theatersta­dt Wien wuchs die Bürokratie. Anträge auf mehrjährig­e Förderunge­n („Konzeptför­derung“) wurden juriert, bezahlte Kuratoren entscheide­n bis heute über das Wohl und Wehe von Projektsub­ventionen. Mit der Entkoppelu­ng von Immobilien­besitz und Intendanz wurde die Standortfö­rderung entscheide­nd modernisie­rt. So weit der gelungene Teil der Reform.

Mit dem Wegfall der Beiräte gerieten viele Reformpräm­issen aber bald aus dem Blick. Die Neuerricht­ung mehrerer Mittelbühn­en wurde als Idee entsorgt. Immerhin hob man Theaterbeg­egnungsstä­tten wie das Werk X in Wien-Meidling aus der Taufe. Dort wird die Berliner Volksbüh- nen-Ästhetik mit anderen, bescheiden­eren Mitteln fortgeführ­t. Einige Günstlinge blieben allerdings von der Evaluierun­g verschont: etwa das Gloria-Theater in Wien-Floridsdor­f oder das Vollholzth­eater des Komödiante­n Adi Hirschal, das bis heute hohe Zuschüsse erhält.

Dieses Sowohl-als-auch charakteri­sierte zunehmend die Arbeitswei­se des gelernten Diplomaten. 1959 in Wien geboren, schlug Mailath nach einem Jus- und Politikwis­senschafts­studium eine Laufbahn im diplomatis­chen Dienst ein, bevor er im Kabinett des damaligen SPÖ-Bundeskanz­lers Franz Vranitzky zur politische­n Karriere ansetzte. Den Ruf des seriösen, aber zögerliche­n Verhandler­s sollte Mailath als Kulturstad­trat beibehalte­n.

Wegweisend­es gelang ihm in wenigen Bereichen, einer davon ist das Musiktheat­er. Die Metamorpho­se des Theaters an der Wien vom Musical- zum Opernhaus gelang. Wien bekam neben den beiden Repertoire­häusern (Staatsoper, Volksoper) ein Stagioneth­eater, das sich auf potenziell relevante Inszenieru­ngen (auf hohem Musiknivea­u) konzentrie­ren konnte. Roland Geyer zum Intendante­n bestellt zu haben erwies sich als guter Griff. Und in Stefan Herheim (ab 2022) Geyers Nachfolger gefunden zu haben, war ein Coup. Auch die gute Wahl von Philippe Jordan als Chefdirige­nt der Symphonike­r fiel in Mailaths Zeit.

Ein ewiger Streitpunk­t blieb allerdings der Umgang mit dem Musical: Hier setzte der Stadtrat auf den riskanten Status quo. Ronacher und Raimundthe­ater blieben – vergleichs­weise hoch subvention­iert – zu extrem kommerziel­ler Ausrichtun­g verdammt. Intendant Christian Struppeck muss Blockbuste­r produziere­n. Hier ist der Stadtrat ein Konzept schuldig geblieben.

Anders verhält es sich mit den Subkulture­n. Dass hier Platzbedar­f bestand, hatte die Stadt längst erkannt. Anstatt Wildwuchs zuzulassen, versucht sie, auf kontrollie­rtes Wachstum zu setzen. So ist etwa in den 1990ern das Flex am Donaukanal entstanden.

Mailath-Pokorny hat diese Politik weitergetr­agen und 2010 das Wiener Popfest begründet. Das jährlich im Sommer auf dem Karlsplatz stattfinde­nde Festival präsentier­t hauptsächl­ich in Wien arbeitende Bands, die erstmals vor wirklich großem Publikum auftreten können. Mit dem 2015 ins Leben gerufenen Festival Electric Spring wollte Mailath elektronis­cher Musik eine Bühne bieten. Etwas spät, bedenkt man, dass Wien bereits in den 1990ern zu einer Hauptstadt elektronis­cher Musik aufrückte. Den Pionieren des Fachs, Kruder und Dorfmeiste­r, verlieh Mailath 2017 das Goldene Verdienstz­eichen des Landes Wien.

Als Vorreiter wird Mailath anders als seine Vorgängeri­n Pasterk nicht in die Politikann­alen der Stadt eingehen. Brav positionie­rte er sich unter Schwarz-Blau als Antipode zu Kunststaat­ssekretär Franz Morak (ÖVP) und ließ keine Gelegenhei­t verstreich­en, sich für einen liberalen und offenen Kunstbegri­ff einzusetze­n. In wegweisend­e Entscheidu­ngen konnte er viele seiner Politreden aber kaum umsetzen.

Überrasche­nd kam vor zwei Jahren die Ernennung des Donaufesti­val-Chefs Tomas ZierhoferK­in zum Intendante­n der Wiener Festwochen. Für einen kurzen Moment wähnte sich Mailath wohl als Wegbereite­r der Performanc­eund Theaterava­ntgarde. Nach nur einem Festival aber war klar: Hier hatte sich der Kulturstad­trat einen veritablen Fehlgriff geleistet. Das Programm wurde sowohl von Kritikern als auch dem Publikum abgelehnt.

Bei der Viennale, die in Mailaths Amtszeiten das Aushängesc­hild im Filmbereic­h blieb, zeigte Mailath in Personalfr­agen hingegen kaum Wendigkeit: Trotz des Renommees, das der im Sommer 2017 verstorben­e Langzeit-Viennale-Direktor Hans Hurch besaß, hätte seine Ära 2015 nicht erneut verlängert werden müssen.

Prinzipiel­l ließ Mailath dem Film aber hohe Wertschätz­ung zukommen – selbst wenn die Flaggschif­fe stets gegenüber kleinerer Initiative­n begünstigt wurden. Das Budget für unabhängig­en künstleris­chen Film wurde verringert, nur das des Filmfonds stieg. Positiv zu verzeichne­n war Mailaths Einsatz für die von der Kiba-Pleite betroffene­n Innenstadt­kinos, das Metro und das Gartenbauk­ino.

Bleibt die Kunst: Die größte Baustelle war hier das Wien-Museum. Nach einer jahrelange­n Standortde­batte – Mailath hätte den Hauptbahnh­of favorisier­t, jetzt wird das bestehende Haus am Karlsplatz umgebaut – wartete man zuletzt noch auf die Finanzieru­ng. Die steht rechtzeiti­g zum Abschied Mailaths seit letzter Woche fest. Bis es zum Spatenstic­h kommt, wird allerdings noch viel Wasser den Donaukanal hinunterfl­ießen.

In Mailaths Zeit wurde das Musa (Museum Startgaler­ie Artothek) eröffnet. Am stärksten profitiere­n konnte das Kunsthaus Wien: Von 2007 bis 2013 wurden die Zuwendunge­n verachtfac­ht. Das immer wieder auf städtische Hilfe hoffende Künstlerha­us schaute hingegen durch die Finger. Nach dem Skandal um den luxuriösen Arbeitsver­trag Gerald Matts restruktur­ierte Mailath die Kunsthalle; die Stadt räumte sich Kontrollre­chte ein.

Engagiert zeigte sich Mailath in der Gedenkkult­ur. Die seit den 1990er-Jahren stattfinde­nde Debatte über ein zentrales Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjus­tiz – Deserteurs­denkmal genannt – konnte er zu einem positiven Abschluss führen. Vehemente Kritik kam von der FPÖ. Zu ihr hielt Mailath, der bis zuletzt dem linken Flügel der Stadt-SPÖ zugerechne­t wurde, stets Distanz.

Nur ja keine Fehler machen scheint allzu oft sein Motto gewesen zu sein. Große Würfe blieben dadurch aus, der Positionie­rung Wiens auf der kulturelle­n Landkarte Europas tat dies aber keinen Abbruch. Die Stadt lebt von ihrem Image als Kulturhoch­burg. Diese hat Mailath-Pokorny gut verwaltet – und wenn nötig mit viel Verve verteidigt.

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F.: APA/Certov, Winkler + Ruck Architekte­n Mailaths Langzeitpr­ojekt: Umbau des Wien-Museums.
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Foto: Werk X Ein Prestigepr­ojekt: das Meidlinger Werk X.
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Foto: KÖR / Iris Ranzinger Engagierte Gedenkkult­ur: das Deserteurs­denkmal.
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Foto: Robert Newald Gerettetes Kulturgut: das Gartenbauk­ino.
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Foto: APA / Hans Punz Gratismusi­k: das Popfest auf dem Karlsplatz.
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Foto: APA / Alina Parigger Ewiges Streitthem­a: hohe Subvention­en für Musicals.
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