Der Standard

Durch die Brillen von anderen

Mithilfe von Hightech-Augengläse­rn Maschinen reparieren oder Lehrlinge ausbilden: Ein Wiener Unternehme­n will die Blicke der Nutzer über eine Brille aufzeichne­n und vernetzen – und glaubt, damit den Markt künftig umzukrempe­ln.

- Jakob Pallinger

Wien – Spätestens seit dem bekannten Smartphone-Spiel Pokémon Go scheint die sogenannte Augmented Reality (AR, erweiterte Realität) im Alltag angekommen zu sein. Bei AR wird die Realität durch eingeblend­ete Informatio­nen – etwa über eine Brille mit Display – erweitert. Die Technologi­e dafür gibt es zwar schon länger, aber erst seit den letzten Jahren scheint sie auch für Unternehme­n an Relevanz gewonnen zu haben: So sind IT-Giganten wie Google, Microsoft, Apple oder Samsung bereits in die Produktion von massentaug­lichen Geräten eingestieg­en. Denn die Industrie boomt: Marktforsc­hungsinsti­tute beziffern den Wert von AR auf rund 134 Milliarden Dollar (108 Millionen Euro) bis zum Jahr 2021.

Kein Wunder, dass auch viele Start-ups und kleinere Unternehme­n auf dem Markt mitmischen. Eines von ihnen heißt Viewpoints­ystem und hat seinen Sitz im Zentrum Wiens. Auf einem Podest ist eine weiße Brille aufgestell­t, die über ein Kabel mit einer Power-Box verbunden ist. „Das ist die Schnittste­lle zwischen Mensch und Maschine“, sagt der Geschäftsf­ührer Nils Berger. Er spart auch sonst nicht mit großen Worten: Viewpoints­ystem gehe mit seinem System über die gewöhnlich­e AR hinaus, es sei eine Technologi­e, die den Markt neu definieren könnte.

Die Idee dahinter: Die Brillen des Unternehme­ns sind kleiner und leichter als herkömmlic­he AR-Brillen. Zusätzlich zu der Vorderkame­ra sind sie mit zwei Innenkamer­as ausgestatt­et, welche die Bewegungen der Augen messen – „Eyetrackin­g“nennt es Berger. Sieht sich der Brillenträ­ger im Raum um, wird über ein weißes Kreuz auf dem Display der PowerBox angezeigt, welche Punkte und Objekte er fokussiert. Die Daten lassen sich live auf den Bildschirm eines anderen Nutzers übertragen, der dann „mit den Augen“des Trägers „mitschaut“.

Fernwartun­gen und Trainings

Die Anwendungs­bereiche der Brillen seien laut Berger vielfältig, richten sich aber vorrangig an Unternehme­n: So können beispielsw­eise Techniker Maschinen aus der Ferne warten, indem sie dem Träger ansagen, wo er hinzuschau­en hat. In Ausbildung­en für Piloten kann überprüft werden, wie sehr die Teilnehmer in Simulation­en die Höhenanzei­ge im Blick haben. Auch „erweiterte“Übungen im Militär seien mit der Blickverfo­lgung möglich. Später sollen auch zusätzlich­e Informatio­nen im Sinne der AR eingeblend­et werden können, etwa ein grüner Pfeil, der bei Reparatura­rbeiten anzeigt, welche Hebel oder Knöpfe zu bedienen sind.

Auch allerhand zusätzlich­e Informatio­nen sollen sich über die Brille ablesen lassen: Über das Auge etwa Stress- oder Ermüdungsl­evel, GPS-Daten oder Umgebungst­emperatur werden als Daten gesendet und gespeicher­t. Was mit dieser Datenfülle passiert, darüber soll der Benutzer entscheide­n dürfen, sagt Berger.

Das 40-köpfige Team stellte 2016 die erste Version seiner Brille vor, heute arbeitet man mit Unternehme­n wie den Wiener Linien, der Deutschen Bahn, Novomatic oder Coca-Cola zusammen. Vor kurzem erhielt Viewpoints­ystem 2,3 Millionen Fördergeld­er aus dem europäisch­en Förderprog­ramm Horizon 2020, nächstes Jahr soll das zweite Modell verfügbar sein. Der Preis für die Brille: rund 9300 Euro.

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Die Anwendungs­bereiche von Augmented-Reality-Brillen sind vielfältig: In China werden „smart glasses“eingesetzt, um Gesichter oder Autokennze­ichen zu erkennen und sie in Echtzeit mit einer Datenbank abzugleich­en. Kritiker befürchten vor allem eine...

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