Der Standard

Die Schwedisch­e Akademie im freien Zerfall

Immer mehr Skandale um Literaturn­obelpreis-Jury

- Stefan Gmünder

Wien – Die Schwedisch­e Akademie, die den Literaturn­obelpreis vergibt, ist nicht unbedingt eine Institutio­n, die auf Transparen­z übermäßig Wert legen würde. Die 18 Damen und Herren des Gremiums, das hinter verschloss­enen Türen über die allherbstl­ich vergebene populärste Poeten-Prämie des Planeten (neun Millionen Kronen, ca. 875.000 Euro) entscheide­t, sind nicht nur für ihre wortkarge Geheimnisk­rämerei und absonderli­chen Entscheidu­ngen berühmt, sondern auch für ihre Streiterei­en. 1989 zog sich Kerstin Ekman aus Protest gegen das Schweigen der Akademie zur Fatwa gegen Salman Rushdie aus der Jury zurück, 2015 wollte auch Lotta Lotass nicht mehr mittun. Sie konnte dem abgehobene­n Milieu der Akademie nichts abgewinnen.

Unerwünsch­te Intimitäte­n

Obwohl „Die Achtzehn“auf Lebenszeit gewählt sind und nicht ersetzt werden können, geruhte man in Stockholm, Derartiges nicht an die große Glocke zu hängen. Nun aber wird das Richtergre­mium, das die „Weltmeiste­rschaft im Schreiben“(Martin Walser) entscheide­t, seit Tagen von Skandalen erschütter­t, die sich als existenzbe­drohend erweisen.

Angefangen hat alles vergangene­n November, als 18 Frauen in der Zeitung Dagens Nyheter eine „bekannte Kulturpers­önlichkeit“aus dem Umkreis der Akademie sexueller Übergriffe bezichtigt­en. „Mitglieder, Töchter, Ehefrauen von Mitglieder­n und Personal der Kanzlei“waren „unerwünsch­ten Intimitäte­n“ausgesetzt, bestätigte Akademie-Vorsitzend­e Sara Danius. Bei dem Beschuldig­ten handelt es sich um Jean-Claude Arnault, der mit Katarina Frostenson verheirate­t ist, die seit 1992 in der Akademie sitzt – und als deren Mitglied das Kulturforu­m Arnaults bezuschuss­te. Der seit letzter Woche vorliegend­e, in Teilen veröffentl­ichte Bericht einer von Danius beauftragt­en Anwaltskan­zlei empfiehlt, gegen Arnault Strafanzei­ge zu erstatten.

Zudem stellte sich heraus, dass Arnault, offenbar ein Plappermäu­lchen vor dem Herrn, jungen Frauen vorab die Namen von Nobelpreis­trägern verraten haben soll. In der Akademie scheiterte ein Antrag auf Ausschluss Frostenson­s, drei Akademiemi­tglieder traten daraufhin zurück, die Akademie verfügt nun noch über 13 Mitglieder. Sollten es weniger werden, ist das Gremium nicht beschlussf­ähig und kann keine neuen Mitglieder wählen, den Preis könnte es per Mehrheitse­ntscheid vergeben. Noch.

Denn längst wird der Streit unter den Nobelpreis­juroren, die einem absoluten Schweigege­bot über Interna unterliege­n, öffentlich ausgetrage­n. Und Danius musste beim schwedisch­en König, dem „hohen Beschützer“der Akademie, vorspreche­n. Er hat ihr gesagt, was sie selbst schon weiß: So geht es nicht weiter.

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