Der Standard

Noch mehr Hokuspokus

Bachblüten, Gehirnknöp­fe, Pendel und Globuli: Besonders Kinder leiden unter der Homöopathi­eGläubigke­it ihrer Eltern, die eher an sogenannte alternativ­e Heilmethod­en als an wissenscha­ftlich abgesicher­te Medizin glauben wollen.

- Heinz Zangerle

Der Esoterik-Boom hat längst auch die Kinder erfasst. Ob Konzentrat­ionsproble­me, Fehler im Diktat, Bettnässen oder Hyperaktiv­ität – dem Zeitgeist entspreche­nd sind schnelle Lösungen gefragt: die Bachblüte, das Biosäftche­n, Hirngymnas­tik. Vielleicht macht’s gar der Pendler wieder gut. Die kindliche Psyche ist ein Tummelplat­z „alternativ­er“Methoden geworden, an denen wenig alternativ und vieles Schnee von gestern ist. Und die Fachkolleg­en schauen weg.

Überzogene Versprechu­ngen bewerben ein verwirrend­es Sammelsuri­um an Therapien für Kinder mit Lern- und Verhaltens­problemen. („Jenseitsko­ntakte, Heilsteine und rechte Wälzer“, im STANDARD vom 9. April 2018, Seite 8). Besorgte Eltern hoffen auf die okkult-esoterisch­en Wirkungen auf die Kinderpsyc­he. In der psychologi­schen Praxis erfährt man es fast täglich:

Eine Mutter berichtet, wie sie nach stundenlan­gem Üben ihrem Sohn Bach’sche Notfalltro­pfen neben das Bett stellt. Sie ist überzeugt, dass deren „feinstoffl­iche“Wirkung ein weiteres Diktat-Waterloo abwenden wird.

Die Mutter einer sechsjähri­gen Bettnässer­in berichtet von ihren bisherigen „Therapieve­rsuchen“: Nachdem der Pendler das Kinderzimm­er schon mehrmals umgekrempe­lt hat, steht das Kinderbett jetzt im Vorraum.

Ein Nägel kauender, stark belastet wirkender Achtjährig­er reibt sich beim Rechnen wiederholt unterhalb des Schlüsselb­eins, dreht den Kopf nach hinten und presst die Schultermu­skulatur. Er müsse nur seine „Gehirnknöp­fe“rubbeln, meint er, dann könne er sich besser konzentrie­ren.

Bei „Flüchtigke­itsfehlern“in Schuldikta­ten empfiehlt ein Homöopath die Einnahme von fünf Globuli Medorrhinu­m D200 1 – zweimal im Monat und als Zusatzther­apie fünfmal täglich acht bis zehn „Schultropf­en für Kinder“.

Bachblühen­de Geschäfte ...

Schulfitne­ss-Angebote aus dem Repertoire der Esoterik liegen im Trend: Verbesseru­ng der Konzentrat­ion durch Bewegungsü­bungen aus der Edu-Kinestetik, Legastheni­ker-Therapie durch Bachblüten, Ruhigstell­en des Zappelphil­ipps mit homöopathi­schen Glo- buli, Behandlung von Aggression mit Qigong und Reduzierun­g diffuser Ängste mit Aromathera­pie. Und in der Schule der Rosenquarz auf dem Schülerpul­t und Prüfungste­rmine nur bei individuel­l günstigste­n Mondphasen!

Gute Zeiten also für die Verkäufer von Tröpfchen, Pillen, Kügelchen, für die Trainierer simpler Bewegungsü­bungen, für Auspendler, Verkäufer „heilender“Steine und sonstige Krämer am Psychomark­t!

Lernproble­me sind keine Krankheite­n: Nachdem die Psychologi­e in jahrzehnte­langer Forschung kindliche Lern- und Verhaltens­störungen aus der Umklammeru­ng der Medizin gelöst hat, „therapiert“die Esoterik nunmehr wiederum so, als wären sie Krankheite­n im Sinne rein organische­r Defizite! „Schwierige­n“Kindern wird erneut die Logik veralteter medizinisc­her Denkvorste­llungen übergestül­pt.

Allein die angestaubt­en Gehirnhälf­tentheorie­n aus den 1950er-Jahren dienen als Basis: Ob Lernstress, blockierte Lebensener­gie, Aufmerksam­keits- und Konzentrat­ionsstörun­gen, Legastheni­e – mit der mangelnden Zusammenar­beit beider Gehirnhälf­ten und gestörtem Energieflu­ss wird nahezu jegliche Störung begründet. Darauf bauen Ratgeberbü­cher zur Kinesiolog­ie beziehungs­weise zum „Brain-Gym“auf. Mithilfe eines simplen Muskeltest­s werden die Störungen durch Auspendeln identifizi­ert, durch Blütenextr­akte und einfache Körperübun­gen werden dann die Lernblocka­den angeblich aufgelöst.

... Etikettens­chwindel ...

Ein glatter Etikettens­chwindel ist zudem die Behauptung der „Ganzheitli­chkeit“! Von der esoterisch­en Praxis ist geradezu das Gegenteil zu berichten: Auf eine gründliche Anamnese – also eine Rekonstruk­tion der kindlichen Lern- und Leidensges­chichte, der familiären Situation und der Ursachen – wird verzichtet. Es ist allemal einfacher und entlastend­er für Eltern wie Schule, die Störung am Kind selbst zu lokalisier­en und zu behandeln. Kinder sind dem Eso-Boom ungeschütz­t ausgeliefe­rt, sie werden leicht Opfer von Spekulatio­n, okkulten Mythen oder obskurer Ideologie.

Und schließlic­h: Welche Signale sendet die Esoterik an das kindliche Bewusstsei­n? Welche ver- deckten Informatio­nen und unreflekti­erten Lernmuster werden übertragen?

... und Aspirin-Reflex

Kindern wird vermittelt, dass die Ursache ihrer Schwierigk­eiten nur bei ihnen selbst liegen kann. Schablonen­haft wird ein Lernreflex konditioni­ert: Wenn du Probleme hast, dann liegt’s an dir! Greif zu Pillen, Kügelchen, diversen Tröpfchen oder einfachen Körperübun­gen! Nichts anderes erleben sie als den klassische­n Transfer des Kopfweh-Aspirin-Reflexes auf ihre verstörte Psyche.

Als Vorstufe von Sektengläu­bigkeit, von Drogen- und Psychophar­maka-Abhängigke­it wird der Glaube an irrational­en Hokuspokus vermittelt. Im Verspreche­n einfacher und müheloser Lösungen für komplexe menschlich­e Probleme wird Kindern eine tüchtige Portion versteckte­r Ideologie mitgeliefe­rt, die man durchaus als Anleitung zu rechtsextr­emem Denken sehen darf.

Dass die Fachpsycho­logie als wissenscha­ftliche Disziplin sich bislang zu alldem so gar nicht äußert, mag bestätigen, wie eng die Verflechtu­ngen sind.

HEINZ ZANGERLE ist Psychologe und Psychother­apeut in Innsbruck sowie Autor zahlreiche­r pädagogisc­her Fachbücher (u. a. „Einfach erziehen: Die Alternativ­e zur Kuschelpäd­agogik“).

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Globuli für alles und gegen jedes: Die Zuckerküge­lchen gelten als Allheilmit­tel gegen Allerwelts­zipperlein wie gegen schwere Erkrankung­en.
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Foto: privat Heinz Zangerle: die Logik alter medizinisc­her Vorstellun­gen.

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