Der Standard

Nervöse Krisendipl­omatie

Donald Trumps Ankündigun­g eines US-Angriffs in Syrien sorgte auch am Freitag für nervöse Krisendipl­omatie. Einmal mehr mangelt es dabei an gesicherte­n Fakten zum Einsatz von Chemiewaff­en.

- Gerald Schubert

Nach dem vermeintli­chen Giftgasang­riff in Syrien ringt der Westen um eine Reaktion, auch die USA verhalten sich abwartend.

Damaskus/Washington/Wien – Die Nachrichte­nlage zur Situation in Syriens Hauptstadt Damaskus konnte am Freitag kaum besser zu diesem Krieg passen: Sie war voller Widersprüc­he und individuel­ler „Wahrheiten“. Bewohner berichtete­n von ihrem weitgehend normalen Alltag, ein Reporter der Agentur AP beschrieb belebte Straßen und Märkte, vollgepack­t mit Menschen, die abends „mit ihren Familien und Freunden die Cafés, Restaurant­s und Süßwarenge­schäfte der Stadt“bevölkern.

Es gibt aber auch die andere Seite, jene Menschen, die in Angst vor einem Angriff der USA leben. Manche würden bei Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen, weil sei glaubten, dass eine eventuelle Bombardier­ung nachts erfolgen werde, sagte der 29-jährige Ibrahim der Nachrichte­nagentur dpa. Regierungs­nahe Kreise berichtete­n zudem, dass staatliche und militärisc­he Einrichtun­gen in Damaskus in Alarmberei­tschaft versetzt worden seien.

Hektisches Tauziehen

Ob ein möglicher Militärsch­lag der USA und ihrer Verbündete­n – wohl vor allem Frankreich­s und Großbritan­niens – tatsächlic­h Ziele in Damaskus ins Visier nehmen oder sich nicht vielmehr auf Militärein­richtungen außerhalb der Hauptstadt konzentrie­ren würde, das lag allerdings am Freitagabe­nd noch im Dunklen. Ebenso wie die Frage, wann oder ob es überhaupt zu einem solchen Angriff kommt.

US-Präsident Donald Trump hatte zwar am Mittwoch per Twitter einen Raketenang­riff als Reaktion auf Berichte über einen möglichen Giftgasang­riff im syrischen Douma angekündig­t. Bereits am Donnerstag aber schien er wieder etwas Druck aus dem Kessel nehmen zu wollen: Ein Raketenang­riff könne „sehr bald oder überhaupt nicht so bald“erfolgen, twitterte er sich selbst hinterher.

Was folgte, war hektisches Tauziehen hinter den Kulissen der internatio­nalen Diplomatie. Am Freitag telefonier­te Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron mit seinem russischen Amtskolleg­en Wladimir Putin und plädierte für eine Intensivie­rung des Dialogs mit Moskau. Russland steht im syrischen Bürgerkrie­g an der Seite von Machthaber Bashar al-Assad.

Beweis und Gegenbewei­s

Genau diesem hatte Macron noch am Donnerstag vorgeworfe­n, Chemiewaff­en verwendet zu haben. Dafür habe er „den Beweis“, so Macron in einem TV-Interview. Dies hatte vor allem deshalb aufhorchen lassen, weil Macron im Fall des Einsatzes von Chemiewaff­en wiederholt mit Militärsch­lägen gedroht hatte. Doch längst gilt in diesem Konflikt: kein angebliche­r Beweis ohne angebliche­n Gegenbewei­s. Nun will Russland Belege haben, wonach der angebliche Chemiewaff­enangriff in Syrien mithilfe eines ausländisc­hen Agenten inszeniert worden sei.

Der Geheimdien­st eines „bestimmten Staates, der jetzt an vorderster Front einer antirussis­chen Kampagne“stehe, sei darin verwickelt, sagte Außenminis­ter Sergej Lawrow am Freitag – und sprach von „unwiderleg­baren Beweisen“. Wenig später hieß es in Moskau, London sei an der Aktion beteiligt gewesen. Zuvor hatten die britische Premiermin­isterin Theresa May und US-Präsident Donald Trump miteinande­r telefonier­t. Beide seien sich einig, dass ein Einsatz von Chemiewaff­en durch Syriens Armee nicht unbeantwor­tet bleiben dürfe, hieß es danach in einer Erklärung aus London. Russlands Vizeaußenm­inister Sergej Rjabkow warnte daraufhin vor dem Einsatz von Gewalt, einem Bruch des Völkerrech­ts.

Am Samstag, genau eine Woche nach dem mutmaßlich­en Giftgasang­riff in Douma, sollten nun die Inspektore­n der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) Untersuchu­ngen vor Ort aufnehmen. Viele bezweifelt­en aber, dass dabei allgemein anerkannte Beweise ans Tageslicht kommen könnten: Das angeblich eingesetzt­e Chlor verflüchti­gt sich schnell und dürfte nur noch schwierig nachzuweis­en sein.

 ??  ?? Russische und syrische Soldaten kämpfen im syrischen Bürgerkrie­g Seite an Seite. Das verstärkt die Befürchtun­gen, dass ein militärisc­hes Eingreifen der USA zu einer direkten Konfrontat­ion mit Moskau und einer weiteren Eskalation führen könnte.
Russische und syrische Soldaten kämpfen im syrischen Bürgerkrie­g Seite an Seite. Das verstärkt die Befürchtun­gen, dass ein militärisc­hes Eingreifen der USA zu einer direkten Konfrontat­ion mit Moskau und einer weiteren Eskalation führen könnte.

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