Der Standard

„Es wird noch ein bissl dauern mit der SPÖ“ Er war mit 32 Jahren ein Politik-Star in der Hochblüte der sozialdemo­kratischen Bewegung. Er stürzte ab, auch aus eigenem Verschulde­n. Er arbeitete sich wieder nach oben und ist heute eine geachtete Autorität. H

- ANNÄHERUNG: Hans Rauscher

Hannes Androsch ist in der Lage, aus dem Stand die weltpoliti­sche Lage luzide zu analysiere­n, politisch, wirtschaft­lich und soziokultu­rell, dann ein paar boshafte Anmerkunge­n über die kleine österreich­ische Schreberga­rtenwelt und ihre Hauptakteu­re einzustreu­en, um schließlic­h eine grundsätzl­iche „Philosophi­e“zu liefern, was man gegen die Abwanderun­g so vieler Wähler gegen die Rechtspopu­listen tun müsste.

Durchaus beeindruck­end. So jemand könnte eine wichtige Rolle in der Politik spielen, vielleicht nicht nur in Österreich, sondern vielleicht an hoher Stelle in der EU. So jemand wäre vielleicht auch eine Hoffnung für die ziemlich zerzauste Sozialdemo­kratie.

Das Problem dabei: Hannes Androsch wurde am 18. April 1938 geboren, er wird also demnächst 80 Jahre alt. Außerdem: Politiker war er schon, sogar ein äußerst beliebter, wenn auch äußerst umstritten­er, er ist sehr jung sehr hoch aufgestieg­en, dann tief gefallen – und hat sich ein neues, erfolgreic­hes Leben als Industriel­ler aufgebaut.

Zäher Charakter

Die Androsch-Saga ist eine der spannendst­en politische­n Geschichte­n der Zweiten Republik. Eine Geschichte von einer Begabung, die an der Missgunst in engster Umgebung, aber auch am eigenen Hochmut und an eigenem Fehlverhal­ten scheiterte. Aber auch von einem zähen Charakter, der sich aus dem Absturz wieder herausgear­beitet hat (seine 2015 erschienen­e Autobiogra­fie trägt den Titel Niemals aufgeben).

Androsch meldet sich heute mit Büchern und Vorträgen und Interviews zu Wort, meist zu einem Lieblingst­hema: der Vergeudung und Verkennung der Zukunftsch­ancen durch das beharrende österreich­ische System. In einem Gespräch anlässlich seines runden Geburtstag­es gesteht er seine Befürchtun­g, dass „die Zeit ein bissl aus den Fugen geraten ist“. Nicht nur, was die Schwäche der liberalen westlichen Demokratie­n gegenüber Autokraten wie Putin, Erdogan, Orbán betrifft, sondern auch gegenüber den eigenen rechtspopu­listischen Strömungen: „Wir leben in einer unruhigen Zeit, voller Veränderun­gen und Verstörung­en. Wer glaubt, die Probleme lassen sich in einer alpinen Wagenburg innerhalb einer Festung Europa lösen, der liegt dramatisch falsch. Die Zuwanderun­g muss man intelligen­t managen, aber wir können nicht glauben, dass wir in einer schrumpfen­den Gesellscha­ft unser Sozialsyst­em aufrechter­halten können. Es geht um gesteuerte Zuwanderun­g und um eine wirkungsvo­lle Integratio­n.“

Kopftuchve­rbot? „Reine Symbolpoli­tik!“Das sei nur eine defensive Maßnahme, aber kein aktives Kämpfen um Integratio­n jener, die nun einmal hier sind. Aber muss nicht die Politik Rücksicht auf die „Sorgen und Ängste der Bevölkerun­g“angesichts der Zuwanderun­g vor allem von Muslimen nehmen? „Politische Ängste bekämpft man nicht, in dem man noch mehr Angst macht.“Die Bürger wollten heute Perspektiv­en, eine glaubwürdi­ge Erzählung dessen, was die Politik zur Bewältigun­g der Probleme anzubieten hat.

Die jetzige Regierung sei zwar mit dem Verspreche­n einer härteren Zuwanderun­gspolitik an die Macht gekommen, habe aber darüber hinaus wenig anzubieten. Sebastian Kurz habe noch kein einziges Mal ein geschlosse­nes Konzept angeboten: „Vielleicht will er nicht, vielleicht kann er nicht, es ist jedenfalls noch niemandem gelungen, seine echten Überzeugun­gen zu erkennen.“Kurz sei machtbewus­st, darin auch „tendenziel­l gefährlich“.

Aber hat die SPÖ die große Erzählung von der Zukunft anzubieten? Offenbar nicht, denn Androsch meint, es werde „noch a bissl dauern“mit der Erholung der SPÖ. Christian Kern werde aus der Opposition heraus schwer Erfolg haben, nachdem er die Kanzlersch­aft nicht halten konnte.

Kann die SPÖ die Arbeiter von der FPÖ zurückhole­n? Androsch antwortet dialektisc­h: „Ob es die Arbeiter in der alten Form noch gibt, ist die Frage.“Die Sozialdemo­kratie, oder die Politik überhaupt, müsse die Menschen durch ein „ganz anderes Bildungssy­stem, durch ganz andere Qualifikat­ionen so wappnen, dass sie mit- halten können“. Früher sei man mit 18 ausgelernt gewesen, mit 22 Meister. Dann habe sich ein Leben lang nichts mehr geändert. Heute gebe es nicht weniger Jobs, sondern andere Anforderun­gen für andere Jobs, was aber mache die Regierung: „Sie haben die Ganztagssc­hule auf 2032 verschoben.“

Andere Zeiten

Hannes Androsch kam in die (Spitzen-)Politik, als die Sozialdemo­kratie in Österreich mit Kreisky einen politische­n Triumph erlebte und ein sozialrefo­rmerisches und wirtschaft­spolitisch­es Großprogra­mm umsetzte. Etwa in der Bildungspo­litik: Mit den Schülerfre­ifahrten wurde damals der ländlichen Jugend der Mittelschu­lbesuch ermöglicht.

Hannes Androsch, Spross einer Steuerbera­terfamilie in Wien-Floridsdor­f, kam 1967 als 28-Jähriger ins Parlament und wurde 1970 mit 32 der jüngste Minister, nämlich Finanzmini­ster in der ersten SP-Alleinregi­erung unter Bruno Kreisky. Er war ein ungemein begabter, belesener, gutaussehe­nder, sportliche­r, öffentlich­keitstaugl­icher junger Mann, als ehrgeizige­r Technokrat (aber kein nerd) die ideale Ergänzung zu dem erfahrenen, grantig-witzigen, eher humanistis­ch und literarisc­h gebildeten Kreisky.

Es war eine Zeit des Aufbruchs, nachfolgen­d der in Österreich eher schwächlic­hen Studentenr­evolte von 1968, aber mit viel von deren emanzipato­rischem Eifer. „Kreisky und sein Team haben Österreich zu einem modernen Industries­taat gemacht“, sagt Androsch.

Der junge Finanzmini­ster war – in Hochkonjun­kturzeiten – erfolgreic­h, arbeitete auch eng mit den Gewerkscha­ften zusammen (bei der Arbeitspla­tzerhaltun­g und bei der Verteilung des Wachstums, bei der Modernisie­rung der Infrastruk­tur). Er führte den Übergang von der Familienbe­steuerung zur Individual­besteuerun­g ein und setzte (gegen Kreisky) die Hartwährun­gspolitik durch. Außerdem war er ein Star: Freundscha­ften in der Künstlersz­ene und äußere Attribute der Arrivierth­eit, wie „108 Maßanzüge“vom Nobelschne­ider Knize (in Wahrheit waren es 108 Anzugteile).

Grauzonen als Verhängnis

All das endete in einer mörderisch­en Auseinande­rsetzung. In Kurzfassun­g: Es war zum Teil der „Platzhirsc­h“Kreisky, der sein Revier gegen den drängenden Nachfolger verteidigt­e; es waren aber zum anderen Teil die Unvereinba­rkeiten und Grauzonen, die Androsch zum Vorwurf gemacht wurden. Am Ende stand eine rechtskräf­tige Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung des Finanzmini­sters. Androsch kann Gründe dafür geltend machen, dass er sozusagen politisch verfolgt war, aber es gibt auch Gründe, die Verurteilu­ng in der Sache für plausibel zu halten. Das letztinsta­nzliche Urteil erfolgte 1996 (!).

1980 schied Androsch aus der Politik aus und bekam den Topjob in der halbstaatl­ichen CA. Er führte in der Bank zahlreiche Reformen durch, musste aber 1988 gehen. Wieder wegen einer gerichtlic­hen Verurteilu­ng, diesmal wegen falscher Zeugenauss­age in einem U-Ausschuss. Auch hier argumentie­rt Androsch, dass es sich um ein fragwürdig­es Konstrukt gehandelt habe. Androsch war „schwer getroffen“. Nach einigen Jahren gelang ihm ein Management-Buy-out der Technologi­efirma AT & S, später die Übernahme der Salinen AG in seinem geliebten Zweitwohns­itz Altaussee, dazu Investitio­nen in die Flugzeugko­mponentenf­irma FACC (weiterverk­auft an Chinesen) und in Wellnessho­tels am Wörthersee und in Altaussee. Er ist nach der Politik kein Berater asiatische­r Despoten geworden, sondern selbststän­diger Unternehme­r.

Wer Androsch kennt und heute mit ihm spricht, kommt trotzdem zu dem Urteil: Das ist ein eminent politische­r Mensch. Es liegt ihm etwas an der res publica. Wie er als Kanzler gewesen wäre, ist unklar: Er hat zweifellos Kompetenz und Entscheidu­ngsfreude, aber auch einen Hang zum Zynismus und (früher viel mehr als heute) eine gewisse Neigung zur Hybris.

Innerhalb des sozialdemo­kratischen Spektrums gilt Androsch als „Rechter“. Zur FPÖ steht er deutlich anders als Franz Vranitzky. Er deutet an, dass er an dessen Stelle 1986 die von Fred Sinowatz geerbte Koalition mit der FPÖ unter Jörg Haider nicht aufgekündi­gt hätte. Den Wählern der Rechtspopu­listen heute müsse man zeigen, dass man sie ernst nehme, müsse ihnen empathisch begegnen. Aber es schwingt auch bei ihm Ratlosigke­it mit: „Ich versteh’ nicht auf meine alten Tag’, es geht uns so gut wie niemandem zuvor, und dann dieses Wahlverhal­ten.“

Was sagt der 80-jährige Hannes Androsch seinen Enkelkinde­rn, seinem 21-jährigen Sohn? „Täglich die Freiheit neu erobern. Nicht aufgeben, auch auf persönlich­er Ebene nicht. Hartnäckig­keit, Zähigkeit, Beharrlich­keit.“

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Collage: Standard; Fotos: APA/Fohringer, iStock „Hartnäckig­keit, Zähigkeit, Beharrlich­keit“– das empfiehlt der 80-jährige Unternehme­r und politische Mensch Hannes Androsch seinen jungen Nachkommen.

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