Superstar Mama Winnie
Jahrzehntelang galt sie als Feindbild in Südafrika, nun wird sie posthum zur Heroin stilisiert: Mit Winnie Mandela wird eine widersprüchliche Ikone Südafrikas zu Grabe getragen. Um ihr Erbe streiten sich Parteien und Weggefährten.
Es war wie ein Tsunami. Kurz nachdem sich der Tod Winnie Mandelas herumgesprochen hatte, wurden Südafrikas Fernsehstationen von einer Flut an Sendungen mit nur noch einem Thema erfasst: dem glorreichen Beitrag der „Mutter der Nation“zur Befreiung des Landes.
Nur der Tod von Winnies ehemaligem Ehemann vor vier Jahren hatte noch größere Aufmerksamkeit erregt. Doch während Nelson Mandelas Sterben monatelang von der Weltpresse begleitet worden war, tauchten Winnies Festspiele jetzt wie aus dem Nichts auf: Denn die Heroin des Befreiungskampfs war in den vergangenen Jahren in der Versenkung verschwunden.
Über Winnie Mandela zu sprechen konnte bislang nur schiefgehen: Sie war umstritten wie keine andere der südafrikanischen Heldenfiguren. Während der Glorienschein ihres Ex-Mannes täglich heller strahlte, waren über Winnie längst finstere Wolken aufgezogen.
Unterordnung war ihr noch nie leicht gefallen. Bereits als Mädchen lieferte sie sich in ihrer Heimat, der Transkei, wilde Stockkämpfe mit Jungen. Ihr Vater brachte ihr die Verachtung für die weißen Kolonisatoren bei: Als sie später in Johannesburg Nelson Mandela begegnete, war ihr politisches Bewusstsein längst geschärft. Nachdem ihr Mann bereits im dritten Ehejahr verhaftet worden war, führte Winnie wie selbstverständlich den Kampf gegen die Rassenherrschaft fort. Gleichzeitig musste die knapp 30-Jährige noch zwei Töchter großziehen.
Winnie wurde mehrmals verhaftet, mit Auflagen drangsaliert und schließlich für 491 Tage in Isolationshaft gesperrt. Ein legendärer Folterknecht nahm sie fünf Tage und Nächte lang ins Verhör: Als sie aus der Haft freikam, war aus der rebellischen Schönheit ein „brutalisiertes“Wesen geworden: „Ich glaubte nur noch an die Sprache der Gewalt“, erinnert sie sich später.
1977 wurde Mama Winnie in das gottverlassene Dorf Brandfort verbannt. Als sie acht Jahre später nach Soweto zurückkehrte, herrschte in ihrer Heimat Krieg: Steine werfende Jugendliche lieferten sich täglich Straßenschlachten mit scharf schießenden weißen Soldaten.
Winnie legte sich zu ihrem Schutz eine Schlägertruppe zu, den Mandela-United-Fußballklub, dessen gewalttätige Umtriebe bald auch ANC-Führer vor den Kopf stießen. Unter anderem fiel dem Klub der 14-jährige Stompie Seipei zum Opfer, an dessen Ermordung Winnie beteiligt gewesen sein soll: Wegen Entführung wurde sie Anfang der 1990er-Jahre zu sechs Monaten Haft verurteilt.
Zu Unrecht, sagt Paul Erasmus, ehemaliges Mitglied der Sicherheitspolizei, nun pünktlich zu den Winnie-Festspielen. Die Mutter der Nation sei einer Rufmordkampagne seiner einstigen Einheit zum Opfer gefallen. Praktisch der gesamte Fußballklub habe aus Spitzeln bestanden. Dass er mit seiner Enthüllung bis zu Winnies Tod wartete, stärkt allerdings seine Glaubwürdigkeit nicht. Im Dickicht der damaligen Dämoni- sierungs- und heutigen Glorifizierungskampagne droht die Wahrheit für immer verlorenzugehen.
Genauso umstritten sind die Ereignisse um die Freilassung Nelson Mandelas. Dass sie mit ihrem einstigen Traumgemahl sogleich in Clinch geriet, werten ihre Kritiker als Ungehorsam einer vom rechten Pfad abgekommenen Diva, die in Affären mit jungen „Comrades“verwickelt war und sich dem Alkohol zugewandt hatte. Denselben Sachverhalt sehen andere heute als emanzipatorischen und feministischen Akt.
Auch im neuen Südafrika ließ sich Mama Winnie nicht unter Kontrolle bringen. Ihrem geschiedenen Ehemann warf sie Verrat am Volk vor: „Mandela hat uns im Stich gelassen. Er stimmte einem schlechten Deal für die Schwarzen zu, zumindest wirtschaftlich sind noch immer die Weißen am Drücker.“Als eine der wenigen ANC-Größen brachte sie den Mut auf, die verheerende Aidspolitik von Mandelas Nachfolger, Thabo Mbeki, zu geißeln. Und dessen Nachfolger Jacob Zuma warf sie vor, mit seinen korrupten Machenschaften den ANC zu zerstören. Ihre zunehmende Nähe zur Renegaten-Partei Economic Freedom Fighters (EFF) machte die Heroin immer stacheliger.
Nach ihrem Tod sieht der ANC die Chance, zumindest das Gedenken an die eigenwillige Mama Winnie unter Kontrolle zu bringen – bevor sich die Freedom Fighters ihr Vermächtnis unter den Nagel reißen. Winnie sei von ihrer eigenen Partei um das Amt der Staatspräsidentin betrogen worden, fauchte EFF-Oberbefehlshaber Julius Malema.
Was bei Winnies glorreicher Vereinnahmung auf der Strecke bleibt, ist ihre Person mit allen Widersprüchen – und die leisen Töne. Etwa die Erzählung Herman Jouberts, eines weißen Redakteurs der konservativen Zeitung Beeld, der einst in einem trostlosen Augenblick mitten in der Nacht aus Versehen die Nummer Winnies angewählt hatte und seiner Gesprächspartnerin auf deren Aufforderung erst widerwillig, dann im Schwall sein Herz ausschüttete. Die legendäre Kämpferin hörte ihm lange zu, um ihm schließlich Mut zuzusprechen. Danach habe er erstmals seit Monaten wieder ruhig schlafen können.
Wer Winnie persönlich kennt, schwärmt von einer Person, die sich das Leiden anderer zu eigen machen konnte: Dass diese Person auch Schwächen hatte, ist selbstverständlich. Es sei denn, man hat es auf die Kreation einer leblosen Heroengestalt abgesehen.